Schon interessant, was derzeit in der Welt so passiert. Die weltgrößte Demokratie bespitzelt den Rest der Welt per Internet, nur die Briten, deren Exportschlager in die neue Welt religiöser Fundamentalismus, aber eben auch Demokratie waren, spitzeln noch besser. Aber James Bond ist schließlich auch Brite. Und ein junger Computerfuzzi, der mal eben verschwunden ist, bringt die aktuellen Großmächte dazu, sich gegenseitig die Zunge rauszustrecken: Wir tun, was wir wollen.
In der Türkei gehen massenhaft Menschen auf die Straße. Es geht längst nicht nur um ein neues Einkaufszentrum und ein paar Bäume, sondern darum, dass eine Menge Menschen einfach nicht wollen, dass Recep Tayyip Erdogan aus der Türkei einen autokratisch-islamischen Gottesstaat macht.
Auch in Brasilien sind Millionen auf die Straße gegangen, um ihren Unmut über ihre Regierung zum Ausdruck zu bringen – in diesem Fall ist es aber eine eher linke Regierung, die es nicht einfach nicht schafft, den tatsächlichen wirtschaftlichen Aufschwung im Land in den versprochenen Wohlstand für alle umzuwidmen. Hier war es eine Fahrpreiserhörung für öffentliche Verkehrsmittel, die das Fass zum Überlaufen gebracht hat – die Leute protestieren gegen die Geldverschwendung für Prestigeprojekte wie die Fußball-WM und die Korruption im Land. Bemerkenswert ist, dass die Brasilianer längst haben, was andere Protestierer auf der Welt noch fordern: Brasilien ist ein freies Land mit einer funktionierenden Demokratie. Aber offenbar richtet die korrekte Staats- und Regierungsform eben nicht alle Probleme, die die Menschen im täglichen Leben so haben. Auch in Brasilien leben Millionen Menschen unter Slumbedingungen in den Favelas der Vorstädte – Armut und Elend lassen sich eben nicht einfach demokratisch wegregieren – denn das eigentliche Regiment haben in Brasilien wie auch in der Türkei der freie Markt bzw. die Leute, die die große Kohle haben. Und das ist auf der ganzen Welt nicht gut für die Mehrheit der Menschen.
Sowohl bei der Türkei und Brasilien um aufstrebende Schwellenländer handelt, die ein beachtliches Wirtschaftswachstum hinlegen – und weil angeblich Wirtschaftswachstum automatisch für mehr Freiheit und Demokratie sorgt, müssten die Leute dort mindestens so happy sein, wie die Wachstumszahlen ihrer Wirtschaften nahelegen. Sind sie aber nicht.
Tatsächlich ist es nämlich so, dass das ganze schöne Wirtschaftswachstum, für das die Leute in der Türkei, in Brasilien und sonstwo schuften, in erster Linie mehr Einkommen und mehr Konsum für die Eliten mit sich bringt – ganz gleich, ob die Regierung eher autokratisch-religiös oder tatsächlich demokratisch organisisiert ist. Genau das ist in Brasilien ja der springende Punkt – die Leute fühlen sich von ihrer demokratisch gewählten Regierung im Stich gelassen, weil sie es einfach nicht auf die Reihe bringt, dass es den Massen tatsächlich besser geht.
Hier gibt es dann wieder Parallelen zur Situation in der Türkei: Die Menschen realisieren, dass ihre Interessen nicht zählen und deshalb gehen sie auf die Straße. Und während hier in Talkshows und im Feuilleton darüber gestritten wird, ob diese Massenproteste nun ein Anzeichen für Demokratiedefizite seien oder im Gegenteil für die eigentliche Stärke der Demokratie, kann man doch getrost konstatieren, dass das scheißegal ist.
Die Massenproteste sind in erster Linie Ausdruck dafür, dass viele Menschen von den herrschenden Zuständen die Nase voll haben und noch immer daran glauben, dass sie gemeinsam etwas ändern können, wenn sie auf die Straße gehen. Das könnten sie auch, es kommt allerdings darauf an, welche Forderungen sie vertreten. Man muss ja nur mal nachsehen, wie weit die Leute in Tunesien, Ägypten und so weiter und so fort mit ihren “Revolutionen” gekommen sind: Sie konnten sich neues Regierungspersonal zusammenwählen, aber an ihrer konkreten Situation hat sich nichts verbessert – im Gegenteil.