Meer befreit

Es ist zwar erst Frühling, aber ich stecke im Sommerloch. Bis zum Hals. Es kostet mich unfassbar viel Energie, mich zu motivieren und den Alltag zu meistern. Mein Tief beschränkt sich dabei auf die „lästigen“ Dinge des Alltags. Auf die Verpflichtungen, denen ich nachkommen muss: Job und Haushalt. Wenn es um Freizeit geht, um die Tage, an denen wir als Familie spontan entscheiden können, wonach uns ist, dann ist weit und breit kein Loch in Sicht. Dann kann ich nicht genug bekommen, bin voller Tatendrang und Abenteuerlust.

Gute alte Zeit

Es gab selten eine Phase, in der ich mir so sehr den Mutterschutz oder die Elternzeit herbeigesehnt habe. Die negativen Dinge, wie vorzeitige Kontraktionen, schlaflose Nächte und die Sorge, ob wir als Eltern alles richtig machen, die finden kaum Platz in meinem Kopf. Mehrmals täglich denke ich an die Momente zurück, als ich mit dicker Kugel um die Alster spaziert bin. Als ich mit meinem Bauchbewohner durchs alte Land geradelt bin. Als ich auf Parkwiesen lag und zugesehen habe, wie das kleine Menschlein in meinem Bauch seine Turnkünste zum Besten gab.

Aber genauso wehmütig – ich weiß nicht, ob Wehmut der richtige Begriff ist, aber mein Gefühl kommt dem schon ziemlich nahe – denke ich an die Zeit zurück, in der unser Sohn das Licht der Welt erblickt hat. Die ersten Stunden, Tage, Wochen und Monate, die ich bedingungslos mit ihm verbringen durfte. Kaum Termine, kaum Verpflichtungen, einfach nur wir beide. Vollkommen frei in unserer Zeiteinteilung. Wie entspannt wir in den Tag gestartet sind, daheim in aller Ruhe gefrühstückt haben, um den Tag einfach auf uns zukommen zu lassen.

Getakteter Alltag

Entspannt geht es morgens bei uns nur selten zu. Wir stehen schon sehr zeitig auf, um nicht in Stress zu geraten. Aber es kommt meistens etwas dazwischen: Eine explodierte Windel, ein schläfriges und nähebedürftiges Kind, akute Unlust zum Zähneputzen oder Radfahren. Es gibt so einige Momente, die den eigentlich so großzügigen Zeitplan aus den Bahnen geraten lassen. Dann hetzen wir doch morgens los. Zu blöd, wenn man dann noch verkehrswidrig auf der falschen Straßenseite radelt und von der Polizei zu einem Bußgeld verdonnert wird.

Veränderung gewünscht?

Ob ich mir vorstellen kann, meinen Job niederzulegen und zu Hause zu bleiben als Hausfrau und Mutter? Diese Frage kann ich klar verneinen. Zumindest nicht in der jetzigen Situation. Denn obwohl ich tief im Motivationssumpf stecke, mag ich meinen Job. Mag ich den Alltag, den wir leben. Eigentlich. Nur zum jetzigen Zeitpunkt überfordert mich das alles irgendwie. Warum, das weiß ich nicht.

Abgesehen von mir und meiner Befindlichkeit könnte ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, unseren Sohn nicht mehr in den „Garten“ zu bringen. Zu groß ist seine Freude über seine Spielkameraden, zu sehr mag er die Erzieherinnen und zu groß ist seine Lust auf Körnerbrot mit Teewurst, sein Leibfrühstück im Kindergarten.

Verklärte Erinnerung

Trotz Sehnsucht, Wehmut und Schwelgen in Gedanken an diese wunderschöne Zeit, weiß ich, dass diese Zeit nicht nur schöne Seiten hatte. Dass es viele Tage gab, an denen ich nicht zufrieden war. An denen unser Sohn mich an den Rande meiner Kräfte getrieben hat. An denen ich mir nichts sehnlicher gewünscht habe als einen Schreibtisch, hinter dem ich sitzen darf und Aufgaben erledigen muss. Keine Aufgaben, die ich mir in aller Freiheit aussuche, sondern Dinge, die gemacht werden müssen, weil sie einfach zum Job dazu gehören. Klar hatte ich als Hausfrau auch Aufgaben, aber ich musste das Badezimmer nicht bis 16 Uhr putzen. Sondern konnte diese Aufgabe, wenn notwendig, verschieben. 

Ich weiß, dass meine Erinnerung an die Zeit des Mutterschutzes und der Elternzeit verklärt ist. Genauso verklärt wie meine Erinnerung an meine Studienzeit in Münster: Denn da war in meiner Erinnerung alles gut. Wenn ich aber genauer darüber nachdenke, war vieles gar nicht gut. Nicht das Wetter, nicht die Stadt, nicht das Studium. Deswegen bin ich nach dem Bachelor auch nach Hamburg gegangen. Aber ja, so trügerisch können meine Erinnerungen sein.

Was ich jetzt aus der Situation mache? Ganz bestimmt nicht den Kopf in den Sumpf stecken. Ich versuche, nicht großartig darüber nachzudenken und meine Energie für Vorfreude aufzuwenden. Denn am kommenden Wochenende steht ein Kurzurlaub an: Anlässlich des 70ten Geburtstags meines Schwiegervaters fahren wir nach Flensburg und legen einen Zwischenstopp in Hamburg ein. Ich bin zuversichtlich: Spätestens das Meer wird helfen.


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