Medienschau zum Grundeinkommens-Kongress in Zürich

Eigentlich wollte ich ja am Kongress zum Grundeinkommen teilnehmen, der am 19. März im Zürcher Kongresshaus stattfand. Ich hatte mich auch angemeldet. Doch musste ich mich praktisch in letzter Minute wieder abmelden. Es war mir an diesem Wochenende alles etwas zuviel …

Trotzdem war ich natürlich gespannt, was der Kongress in Bewegung setzt und wie sein Widerhall in den Medien sein wird. Um es gleich vornweg zu nehmen: Im Vorfeld scheint der Kongress mehr Echo ausgelöst zu haben als im Nachspann – zumindest bis jetzt.

Bei den Tageszeitungen bot die Schwäbische Zeitung mit ihrem Kongress-Bericht „Initiative: Schweiz will Grundeinkommen“ (PDF. 1,18 MB) am meisten Substanz. Ihm entnehmen wir, dass auf Frühling 2012 eine Volksinitiative geplant ist – nötig sind dafür 100’000 Unterschriften, die innerhalb von 18 Monaten zusammenkommen müssen –, um anschliessend per Volksabstimmung die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) in der Verfassung zu verankern. Ein eindrückliches Argument dafür liefert in seinem Kommentar Peter Schlefsky: Laut Prognosen würden im Jahr 2040 aufgrund der Produktivitätssteigerung gerade noch zwei Prozent der Arbeitskräfte im Produktionssektor benötigt, was die Sozialsysteme der heutigen Machart grundsätzlich in Frage stelle. Oswald Sigg, Ex-Vizekanzler und langjähriger Bundesrat-Sprecher, auf einem der Kongresspodien zur geplanten Volksinitiative: „Das Grundeinkommen ist die Mondlandung für die Schweiz. Die Rakete dazu ist die Volksinitiative.“

Doch es gab auch Schweizer Zeitungen, die vom Kongress berichteten – zumindest eine. Die Neue Zürcher Zeitung schrieb erstaunlich ausgewogen – um nicht zu sagen mit einigem Wohlwollen –, vom Kongress, allerdings unter einem fast schon peinlichen Titel: „Eine AHV-Rente ab Geburt„. Hauptthema im Artikel ist die Diskussion zwischen Klaus Wellershoff, dem ehemaligen Chefökonomen der UBS, als Befürworter und Roger Köppel, seines Zeichens Chefredaktor der Weltwoche, als ausgesprochenem Gegner des BGEs. Wichtiger Streitpunkt in diesem Gespräch war, wie so oft, die Frage, ob die Menschen überhaupt noch etwas leisten würden, wenn sie nicht mehr durch die Existenznot dazu gezwungen wären. (Dieses Kernargument der Gegner eines BGEs habe ich hier etwas unter die Lupe genommen.) Fazit des NZZ-Artikels: Das bedingungslose Grundeinkommen finde Befürworter und Gegner in allen politischen Lagern, gelte zugleich als sozialistisches Experiment wie als erzliberales Projekt. Es werde deshalb interessant zu beobachten sein, von welcher Seite der Initiative, so sie denn zustandekomme, der stärkste Wind entgegenwehe.

Radio Bern (RaBe) lässt Daniel Straub von der Agentur[mit]Grundeinkommen zu Wort kommen. Im Bericht (mp3-Datei zum Herunterladen oder Streamen) umreisst der Mitinitiator des Kongresses zunächst die Idee des BGEs in kurzen Worten und sieht sie als einen wichtigen Entwicklungsschritt, vergleichbar etwa mit der Abschaffung der Sklaverei oder der Einführung des Frauenstimmrechts. Die Schweiz in ihrer besonderen Situation könne mit der Einführung des BGEs einen Impuls für die Entwicklung der ganzen Menschheit setzen. Daniel Straub sieht den Zeitpunkt gekommen, dass aus der Utopie BGE bald Wirklichkeit werden könne – nicht zuletzt deshalb deshalb, weil die Idee auf zunehmende Resonanz stosse, zum Beispiel eben indem um die 600 Menschen an den Kongress nach Zürich fanden.

Etwas enttäuscht war ich über die zunächst doch recht magere Resonanz in den Online-Medien. Zwar wurde der Kongress selbst im Internet direkt übertragen, als sogenannter Livestream, doch die Kameraperspektive war dabei äusserst unvorteilhaft, und auch der Ton trug nicht viel zum besseren Verständnis bei … Völlig neu für mich war die Erfahrung des Live-Bloggings. Andreas von Gunten und „Hofrat“ protokollierten die Aussagen auf den Podien und in den Vorträgen fleissig mit und erzeugten zuweilen kernige Sätzen, die das Geschehen auf den Punkt brachten. Zum Beispiel: „15:26 Andreas Von Gunten: Für Köppel ist das BGE ganz weit links und für Wellershoff ganz weit rechts.“ – Doch das war während des Kongresses. Und danach: Ruhe in der Blogosphäre, zumindest zum Kongress.

Erst verzögert kam es dann zu einzelnen, durch den Kongress in Zürich inspirierten Veröffentlichungen – was die Behauptung Lügen straft, das Web 2.0 sei ein schnelles, aktualitätsbezogenes Medium … Doch vielleicht erträgt das Thema einfach auch keine Schnellschüsse.

Ganz bestimmt kein Schnellschuss ist der Kommentar „Die Utopie der Einfachheit“ von Stephan Wehowsky auf dem Journal 21. Der Autor lässt sich von der Idee faszinieren, fragt aber auch fundiert nach ihren Grenzen, etwa ob das BGE an die Staatsbürgerschaft geknüpft sei, oder ob  ein blosser Aufenthalt in der Schweiz genüge und wie lange dieser Aufenthalt gegebenenfalls sein müsse. Es wird so nach den unausweichlichen Bedingungen für die Bedingungslosigkeit gefragt, ohne allerdings durch diese Widersprüchlichkeit die Idee bereits als diskreditiert anzuschauen. Im Gegenteil: Die „… Chance liegt darin, dass in unserer ideenlosen Zeit des blossen Durchwurstelns so etwas wie eine Utopie zum Thema wird“. Prädikat: Sehr lesenswert.

Zuletzt sei doch noch ein echter Blogbeitrag im Nachfeld des Kongresses zum BGE aufgeführt: David Herzog sieht auf seinem Blog Substanz im Grundeinkommen „eine Idee mit vielen Zugängen„. Gerade die Buntheit der KongressteilnehmerInnen, ihre unterschiedliche soziale und politische Herkunft fasziniert ihn. Das sei nicht zuletzt den vielfältigen Zugängen zur Idee des Grundeinkommens geschuldet. Er listet sodann die unterschiedlichen Perspektiven auf, die sich durch ein BGE eröffnen, und kommentiert sie kurz. Ein paar Müsterchen: Das BGE ermögliche eine gehaltvollere Motivation in Bezug auf die berufliche Tätigkeit. Herzog nennt sie intrinsisch, also ein Bestreben, etwas seiner selbst willen zu tun und nicht bloss wegen der Verdienstmöglichkeit. „Das beste, was einem Unternehmen passieren kann, ist, dass alle Mitarbeiter freiwillig und motiviert zur Arbeit kommen. Mit dem Grundeinkommen wird das Realität.“ Auch würden die Löhne in manchen Wirtschaftsbereichen deutlich sinken, insbesondere bei Arbeiten, die angenehm und sinnstiftend sind. Zudem würde die Freiwilligenarbeit gestärkt, da dafür durch ein BGE Kräfte frei würden. Auch die Eigenverantwortung wird gefördert. Denn jeder muss nun für sein Tun die volle Verantwortung übernehmen und kann nicht mehr Sachzwänge ins Feld führen, warum er nicht das tut, was wirklich „sein Ding“ ist.

***

Fazit: Der Kongress zum Grundeinkommen hat im Vorfeld und im Nachhinein doch einiges bewegt. Er kann als Meilenstein betrachtet werden hin zu einer Volksinitiative. Die gesellschaftliche Diskussion ist zwar nicht erst seit dem Kongress eröffnet. Doch sie hat neuen Schub erhalten. Erfrischend ist, dass sie grundsätzliche Fragen zum Menschsein aufwirft und nicht so schnell in politischen Grabenkämpfen ersticken kann.


Filed under: Grundeinkommen

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