"The Psychological Implications of Media-Covered Terrorism" revisited
von Bernd Zywietz
Fast dreißig Jahre ist er nun alt: Im April 1981 hielt Brian Michael Jenkins in Sizilien auf einer internationalen Konferenz zum Thema Terrorismus und Massenmedien einen Vortrag, der in erweiterter Form im selben Jahr als kleine Broschüre der RAND Corporation (deren Senior Advisor Jenkins heute ist) erschien: The Psychological Implications of Media-Covered Terrorism heißt der rund zehnseitige Text des Terrorismus-Experten und ehemaligen Special-Forces-Mitgliedes.
Vieles ist seither zum Verhältnis von Terrorismus und Medien geschrieben worden - wie auch zu der Bedeutung der Medien für den Terrorismus. Und auch damals schon waren diese Themen akut, nicht zuletzt aufgrund der US-Botschaftsbesetzung in Teheran ab 1979, die erst wenige Monate vor Jenkins‘ Vortrag zu Ende gegangen war. Ein Jahr später, 1982, erschien dann Alex P. Schmids und Janny de Graafs Insurgent terrorism and the Western newsmedia (Beverly Hills, CA: Sage), später u.a. Philip Schlesingers, Graham Murdocks und Phlllp Elliotts Televising ‚Terrorism‘: Political Violence in Popular Culture (London 1983: Comedia). Als „rhetorischen Genre“ der Medien wurde Terrorismus von Ralph E. Dowling 1986 erklärt (im Journal of Communication, 36. Jg, Nr. 1, S. 12-24).
Wie aktuell sind nun Jenkins Beobachtungen und Schlüsse nach knapp drei Jahrzehnten und angesichts der neuen aktuellen Bedrohung?
So einiges ist mittlerweile Allgemeingut und war es vielleicht damals schon: Dass die Rolle der Nachrichtenmedien nicht von terroristischen Aktionen losgelöst zu betrachten ist; dass Terrorakte von den Medien weiterverbreitet werden – und dass Terrorismus ein Sensationsfall darstellt, bei dem die mediale Aufmerksamkeit in keinem Verhältnis zu der tatsächlichen – statistischen – Opferzahl steht.
Doch Jenkins ist hier sehr genau und denkt weiter, weiter zumindest als es angesichts solcher Gemeinplätze oftmals der Fall ist. Schon im ersten Satz spricht er nicht von den Medien, sondern eben von ihrer Rolle und bringt es auf den Punkt, wenn er konstatiert, dass terroristische Taten nun mal einen hohen Nachrichtenwert haben: Dass verhältnismäßig wenig(er) über gewöhnliche Morde berichtet werde, liege eben daran, dass sie genau das seien: gewöhnlich, üblich, vielleicht gar alltäglich. Dem Vorwurf, die Massenmedien würden „zuviel“ über Terrorismus berichten, begegnet Jenkins denn auch mit der rhetorischen Gegenfrage: „Who is to say how much coverage is too much?“
Diese Selbstverständlichkeiten sind nun schnell keine mehr, wenn man Jenkins‘ Beobachtung auf ein anderes Feld, gerade in jener Zeit, überträgt: das der Risikoforschung und -bewertung (wie sie hier auf dieser Seite auch immer wieder Thema ist). Was dort mühselig als Erkenntnis erschlossen werden musste – und noch lange Jahre Streitmaterial abgab –, ist hier schon „zu haben“: Die Einsicht, dass Risiken, wie eben auch terroristische Untaten, in ihrer Bedeutung und Einschätzung für die Bürger (und die Medien stehen diesen letztlich immer näher als den in akademischen Parametern denkenden Experten) nicht auf sachlicher Zahlenkalkulation aufbaut, die ein Risiko z.B. als Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes multipliziert mit dem Schadensausmaß bemisst, sondern Faktoren wie individuelle Betroffenheit, Kosten-Nutzen-Denken, „Schrecklichkeit“ und „Gerechtigkeit“ einen hohen Stellenwert einräumt. (Die Nachrichtenwerttheorie, frei von zweckhaften Ansprüchen, wie sie das risk assessment, zum Beispiel für Planverfahren, zu erfüllen hat, hat es bei der Analyse dessen, was wichtig ist oder erscheint, deutlich einfacher.)
Die Berichterstattung sei zu oberflächlich und nur immer krisenzentriert? Selbst dem gewinnt Jenkins – implizit – etwas ab, was sich in etwa so liest: Berichtet wird natürlich nur, sobald etwas geschieht, und wenn die Hintergründe zu kurz kommen, mag dies nicht im Sinne einer aufgeklärten Bevölkerung sein, doch ebenso wenig im Sinne der Terroristen, die auf ihr Anliegen und dessen Dringlichkeit sowie die Notwendigkeit ihres Tuns aufmerksam machen wollen.
Dies ist freilich etwas gewagt, denn nicht für die Terroristen berichten ist nicht dasselbe wie nicht umfangreich über sie berichten. Ein Beitrag über die Ungerechtigkeit in der muslimischen Welt, ausgelöst durch westliche Ausbeutung und oppressive Regime mag ein Punkt für die Terroristen in ihrem Propagandakampf geben. Zugleich lassen sich aber in dem Kontext auf die Untaten dieser extremistischen Gruppen in eben diesem ihrem gerechten Kampf hinweisen: so wenn beispielsweise darüber informiert wird, dass ihnen mehr Muslime als Christen bzw. Westler zum Opfer fallen – was gerade das von ihnen präsentierte manichäische Bild klarer Gut- und Böse-Lager unterminiert.
Jenkins selbst favorisiert ein Experimentieren der Medien, um die angemessene Art der Berichterstattung zu finden, denn Zensur könne ja keine Lösung sein. Dies ist auch wieder so scheinbar banal wie zugleich alles andere als selbstverständlich: Shannon A. Bowen bietet die Verweigerung der Berichterstattung, quasi zum medialen „Austrocknen“ des Terrorismus, als normativen Nachrichten-Frame an – im Jahr 2005. Eine seltsame Unzeitgemäßheit ergibt sich dabei. Weniger, weil Jenkins seiner Zeit so voraus war, als dass Bowen von einem vielleicht nicht überkommenen, so doch aber sehr traditionellem Medienbild und seiner Wirkung ausgeht, das sie denn auch mit einer großen Anzahl von Texten aus den 1980ern und 1990ern stützt.
Was nämlich Jenkins nicht voraussehen konnte und Bowen nicht recht berücksichtigt ist die Erosion des großen Blocks Massenmedien, der als eigenes aktives System zwischen den Terroristen und „seinem“ Publikum vermittelt. Natürlich erhalten wir die Informationen über Anschläge und Entführungen immer noch zumeist aus dem Fernsehen oder der Zeitung, doch gerade in Sachen Zensur (die ja auch eine freiwillige Eigenzensur sein kann und es oft auch schon gewesen ist) hat sich mit den Medien (-werkzeugen) Videokamera und vor allem dem Internet eine ganze neue mediale Praxis im Zeichen der digitalen Revolution herausgebildet, die auf der einen Seite das Publikum sich seine Informationen – auch die zu Hintergründen und Kontexten – selbst erschließen lassen kann und auf der anderen Seite für Terroristen ganz andere Formen der Vermittlung und Präsentation bietet.
Ein krasses Beispiel sind denn auch die Enthauptungsvideos radikaler Islamisten, die, selbst gedreht und ins Internet gestellt, nicht nur Terrorakt und mediale Botschaft quasi zusammenfallen lassen, sondern die Produktion und Distribution des Schock-Bildes ganz in die Hände der Terroristen legt. Zensur – und hier mag man dieses Wort schon gar nicht mehr benutzten, sondern eher von selbstverständlichem menschlichen An- und Verstand reden – bedeutet in dem Fall nicht mehr, keine Meldung, keine Aufnahmen zu machen oder machen zu können, sondern bereits Existierende quasi „verschwinden“ zu lassen. Sicher, auch von Schleyer gab es Video-Aufnahmen in seinem „Volksgefängnis“ und Fotos von Aldo Moro – doch eben noch kein World Wide Web, in dem sich als Informationsdschungel sowohl alles finden, wie verstecken und letztlich auch: anpflanzen lässt.
Jenkins, in seinem bald dreißig Jahre alten Text, streift viele wichtige Aspekte, die das Verhältnis von Terrorismus, Medien und Zuschauer ambivalent werden lässt. Niemand könne in diesem Feld jedoch zufrieden sein. Für Terroristen sorgen die Massenmedien für die nötige Aufmerksamkeit, doch oftmals nicht in der Art und dem Maße, wie die es sich wünschen; Medien können einen „public backlash“ erzeugen – und eine Abnutzung von terroristischen Taktiken durch immer dieselben Bilder und Meldungen mit sich bringen, die den Zuschauer abstumpfen lassen, der mit einem „inhaltsleeren“ Spektakel zurückbleibt. Terroraktionen sind wiederum „ansteckend“, sie inspirieren andere und dies, natürlich, über die ihre mediale Verbreitung. Die Berichterstattung führt auch die Regierung als kraftlos vor – zumindest wenn es um den Schutz der Bürger geht; sie provozieren das Zurückschlagen, um Stärke zu demonstrieren, um „sichtbar“ zu werden.
Ein weiterer interessanter Faktor, den Jenkins anspricht: Gewisse terroristische Taktiken sind quasi aus sich selbst heraus medial präsenter und „spannender“ als andere, z.B. die Geiselnahme oder Flugzeugentführung, die länger andauert und über den Ausgang im Unklaren lässt („That is genuine drama“ – Jenkins, S. 5), im Gegensatz z.B. zu Bombenanschlägen, die eher „übersehen“ würden.
Gerade hierin zeigt sich jedoch die Grenze des allgemeinen Symbiose-Konzepts von Terrorismus und Massenmedien: Zu wenig werden die unterschiedlichen Arten des Terrorismus berücksichtigt, seine Ziele und Mittel. Denn tatsächlich stammt viel vom Verständnis zum Bereich Terrorismus und Medien aus einer Zeit, in der Terrorismus in erheblichem Maße die Suche nach Aufmerksamkeit war, symbolische Gewalt, die in der noch jungen internationalen Welt der TV-Satellitenübertragung einen Platz suchte.
Aktionen wie die Geiselnahme von München 1972 oder die Flugzeugentführungen der palästinensischen Radikalen ab den späten 1960ern waren darauf ausgelegt, den Blick der Welt auf die Missstände in der Behandlung ihres Volkes aufmerksam zu machen. Die spektakulären Aktionen von al-Qaida haben dagegen eine andere Dimension. Man darf sich von dem damaligen internationalen Kleinkrieg von u.a. dem Schwarzen September gegen Israel auf der einen Seite und Osama Bin Ladens Videobotschaften und die monströse Wirkung der Bilder des 11. September auf der anderen Seite nicht täuschen lassen: Weniger wie der linksrevolutionäre Terrorismus der 1970er und mehr wie der nationalseparatistische „Zermürbungs“-Terrorismus der IRA, der ETA oder der FLN in Algerien wird beim aktuellen Neue Terrorismus eher im Sinne eines Krieges gedacht. Auch hier gibt es Forderungen (allgemeinere, weniger taktische: den Rückzug aus dem Land der Heiligen Städten, aus dem Irak, aus Afghanistan), selbstverständlich wird auf die Medienwirkung spekuliert. Doch es ist eine etwas andere Qualität, mit der es umzugehen gilt: In Nairobi und Daressalam wurden die Botschaften gesprengt, nicht besetzt – die Flugzeuge des 11. September nicht entführt, um mit den Geiseln politische Gefangene freizupressen, sondern sie und viele andere ohne Warnung oder direkter Botschaft in einer Selbstmordaktion umzubringen.
Terrorismus mag „Theater“ sein, eine Wendung, die Jenkins prägte (was allerdings auch Gabriel Weimann für sich in Anspruch nimmt), die aber auch in Rechnung stellen muss, dass es unterschiedliche Arten von Theater gibt. Neben der gepflegten Salonkomödie und dem brecht’schen Lehrstück das experimentelle Theater und das des unmittelbaren Schocks. Wir Rapoport (2004) zeigt, hat es in den unterschiedlichen Wellen des Terrorismus jeweils auch immer eigene vorherrschende Taktiken gegeben z.B. das Attentat bei den Anarchisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der vermeintlich gottgefälligen Massenmordterroristen von al-Qaida brauchen sich heutzutage nicht darum kümmern, ob seine Aktion „spannend“ ist und das Publikum als Drama ausgiebig fesselt. Ihre Ansprechpartner sind die Muslime in den eigenen Ländern; was die restliche Welt und vor allen den feindlichen „Westen“ betrifft machen sie hingegen in ihrer brüllenden „Sprachlosigkeit“ und konfrontativen Kriegs- und Vergeltungslogik die Meldungen praktisch selbst. Medial und mit aller Gewalt. Ob dabei die gleichen Parameter gelten, wenn es um die Rolle und Wirkung der Massenmedien geht, wie sie vor dreißig Jahren anzutreffen war, dürfte bezweifelt werden. Manchmal, so scheint es, wäre es geradezu beruhigend und wünschenswert, noch journalistisch unethische Interviews mit Terroristen führen zu können.
Brian M. Jenkins The Psychological Implications of Media-Covered Terrorism (1981) ist als pdf-Datei über die Website der RAND Corp. HIER herunterzuladen.
Literatur – falls nicht bereits im Text ausführlich genannt:
Bowen, Shannon A. (2008): Frames of Terrorism Provided by the News Media and Potential Communication Response. In: H. Dan O’Hair et. al. (Hg.): Terrorism. Communication and Rhetorical Perspectives. Cresskill, NJ: Hampton Press, S. 337 – 358.
Rapoport, David C. (2004): The Four Waves of Modern Terrorism. In: Audrey Kurth Cronin / James M. Ludes (Hg.): Attacking Terrorism. Elements of a Grand Strategy. Washington, D.C.: Georgetown University Press, S. 46 – 73.
von Bernd Zywietz
Fast dreißig Jahre ist er nun alt: Im April 1981 hielt Brian Michael Jenkins in Sizilien auf einer internationalen Konferenz zum Thema Terrorismus und Massenmedien einen Vortrag, der in erweiterter Form im selben Jahr als kleine Broschüre der RAND Corporation (deren Senior Advisor Jenkins heute ist) erschien: The Psychological Implications of Media-Covered Terrorism heißt der rund zehnseitige Text des Terrorismus-Experten und ehemaligen Special-Forces-Mitgliedes.
Vieles ist seither zum Verhältnis von Terrorismus und Medien geschrieben worden - wie auch zu der Bedeutung der Medien für den Terrorismus. Und auch damals schon waren diese Themen akut, nicht zuletzt aufgrund der US-Botschaftsbesetzung in Teheran ab 1979, die erst wenige Monate vor Jenkins‘ Vortrag zu Ende gegangen war. Ein Jahr später, 1982, erschien dann Alex P. Schmids und Janny de Graafs Insurgent terrorism and the Western newsmedia (Beverly Hills, CA: Sage), später u.a. Philip Schlesingers, Graham Murdocks und Phlllp Elliotts Televising ‚Terrorism‘: Political Violence in Popular Culture (London 1983: Comedia). Als „rhetorischen Genre“ der Medien wurde Terrorismus von Ralph E. Dowling 1986 erklärt (im Journal of Communication, 36. Jg, Nr. 1, S. 12-24).
Wie aktuell sind nun Jenkins Beobachtungen und Schlüsse nach knapp drei Jahrzehnten und angesichts der neuen aktuellen Bedrohung?
So einiges ist mittlerweile Allgemeingut und war es vielleicht damals schon: Dass die Rolle der Nachrichtenmedien nicht von terroristischen Aktionen losgelöst zu betrachten ist; dass Terrorakte von den Medien weiterverbreitet werden – und dass Terrorismus ein Sensationsfall darstellt, bei dem die mediale Aufmerksamkeit in keinem Verhältnis zu der tatsächlichen – statistischen – Opferzahl steht.
Doch Jenkins ist hier sehr genau und denkt weiter, weiter zumindest als es angesichts solcher Gemeinplätze oftmals der Fall ist. Schon im ersten Satz spricht er nicht von den Medien, sondern eben von ihrer Rolle und bringt es auf den Punkt, wenn er konstatiert, dass terroristische Taten nun mal einen hohen Nachrichtenwert haben: Dass verhältnismäßig wenig(er) über gewöhnliche Morde berichtet werde, liege eben daran, dass sie genau das seien: gewöhnlich, üblich, vielleicht gar alltäglich. Dem Vorwurf, die Massenmedien würden „zuviel“ über Terrorismus berichten, begegnet Jenkins denn auch mit der rhetorischen Gegenfrage: „Who is to say how much coverage is too much?“
Diese Selbstverständlichkeiten sind nun schnell keine mehr, wenn man Jenkins‘ Beobachtung auf ein anderes Feld, gerade in jener Zeit, überträgt: das der Risikoforschung und -bewertung (wie sie hier auf dieser Seite auch immer wieder Thema ist). Was dort mühselig als Erkenntnis erschlossen werden musste – und noch lange Jahre Streitmaterial abgab –, ist hier schon „zu haben“: Die Einsicht, dass Risiken, wie eben auch terroristische Untaten, in ihrer Bedeutung und Einschätzung für die Bürger (und die Medien stehen diesen letztlich immer näher als den in akademischen Parametern denkenden Experten) nicht auf sachlicher Zahlenkalkulation aufbaut, die ein Risiko z.B. als Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes multipliziert mit dem Schadensausmaß bemisst, sondern Faktoren wie individuelle Betroffenheit, Kosten-Nutzen-Denken, „Schrecklichkeit“ und „Gerechtigkeit“ einen hohen Stellenwert einräumt. (Die Nachrichtenwerttheorie, frei von zweckhaften Ansprüchen, wie sie das risk assessment, zum Beispiel für Planverfahren, zu erfüllen hat, hat es bei der Analyse dessen, was wichtig ist oder erscheint, deutlich einfacher.)
Die Berichterstattung sei zu oberflächlich und nur immer krisenzentriert? Selbst dem gewinnt Jenkins – implizit – etwas ab, was sich in etwa so liest: Berichtet wird natürlich nur, sobald etwas geschieht, und wenn die Hintergründe zu kurz kommen, mag dies nicht im Sinne einer aufgeklärten Bevölkerung sein, doch ebenso wenig im Sinne der Terroristen, die auf ihr Anliegen und dessen Dringlichkeit sowie die Notwendigkeit ihres Tuns aufmerksam machen wollen.
Dies ist freilich etwas gewagt, denn nicht für die Terroristen berichten ist nicht dasselbe wie nicht umfangreich über sie berichten. Ein Beitrag über die Ungerechtigkeit in der muslimischen Welt, ausgelöst durch westliche Ausbeutung und oppressive Regime mag ein Punkt für die Terroristen in ihrem Propagandakampf geben. Zugleich lassen sich aber in dem Kontext auf die Untaten dieser extremistischen Gruppen in eben diesem ihrem gerechten Kampf hinweisen: so wenn beispielsweise darüber informiert wird, dass ihnen mehr Muslime als Christen bzw. Westler zum Opfer fallen – was gerade das von ihnen präsentierte manichäische Bild klarer Gut- und Böse-Lager unterminiert.
Jenkins selbst favorisiert ein Experimentieren der Medien, um die angemessene Art der Berichterstattung zu finden, denn Zensur könne ja keine Lösung sein. Dies ist auch wieder so scheinbar banal wie zugleich alles andere als selbstverständlich: Shannon A. Bowen bietet die Verweigerung der Berichterstattung, quasi zum medialen „Austrocknen“ des Terrorismus, als normativen Nachrichten-Frame an – im Jahr 2005. Eine seltsame Unzeitgemäßheit ergibt sich dabei. Weniger, weil Jenkins seiner Zeit so voraus war, als dass Bowen von einem vielleicht nicht überkommenen, so doch aber sehr traditionellem Medienbild und seiner Wirkung ausgeht, das sie denn auch mit einer großen Anzahl von Texten aus den 1980ern und 1990ern stützt.
Was nämlich Jenkins nicht voraussehen konnte und Bowen nicht recht berücksichtigt ist die Erosion des großen Blocks Massenmedien, der als eigenes aktives System zwischen den Terroristen und „seinem“ Publikum vermittelt. Natürlich erhalten wir die Informationen über Anschläge und Entführungen immer noch zumeist aus dem Fernsehen oder der Zeitung, doch gerade in Sachen Zensur (die ja auch eine freiwillige Eigenzensur sein kann und es oft auch schon gewesen ist) hat sich mit den Medien (-werkzeugen) Videokamera und vor allem dem Internet eine ganze neue mediale Praxis im Zeichen der digitalen Revolution herausgebildet, die auf der einen Seite das Publikum sich seine Informationen – auch die zu Hintergründen und Kontexten – selbst erschließen lassen kann und auf der anderen Seite für Terroristen ganz andere Formen der Vermittlung und Präsentation bietet.
Ein krasses Beispiel sind denn auch die Enthauptungsvideos radikaler Islamisten, die, selbst gedreht und ins Internet gestellt, nicht nur Terrorakt und mediale Botschaft quasi zusammenfallen lassen, sondern die Produktion und Distribution des Schock-Bildes ganz in die Hände der Terroristen legt. Zensur – und hier mag man dieses Wort schon gar nicht mehr benutzten, sondern eher von selbstverständlichem menschlichen An- und Verstand reden – bedeutet in dem Fall nicht mehr, keine Meldung, keine Aufnahmen zu machen oder machen zu können, sondern bereits Existierende quasi „verschwinden“ zu lassen. Sicher, auch von Schleyer gab es Video-Aufnahmen in seinem „Volksgefängnis“ und Fotos von Aldo Moro – doch eben noch kein World Wide Web, in dem sich als Informationsdschungel sowohl alles finden, wie verstecken und letztlich auch: anpflanzen lässt.
Jenkins, in seinem bald dreißig Jahre alten Text, streift viele wichtige Aspekte, die das Verhältnis von Terrorismus, Medien und Zuschauer ambivalent werden lässt. Niemand könne in diesem Feld jedoch zufrieden sein. Für Terroristen sorgen die Massenmedien für die nötige Aufmerksamkeit, doch oftmals nicht in der Art und dem Maße, wie die es sich wünschen; Medien können einen „public backlash“ erzeugen – und eine Abnutzung von terroristischen Taktiken durch immer dieselben Bilder und Meldungen mit sich bringen, die den Zuschauer abstumpfen lassen, der mit einem „inhaltsleeren“ Spektakel zurückbleibt. Terroraktionen sind wiederum „ansteckend“, sie inspirieren andere und dies, natürlich, über die ihre mediale Verbreitung. Die Berichterstattung führt auch die Regierung als kraftlos vor – zumindest wenn es um den Schutz der Bürger geht; sie provozieren das Zurückschlagen, um Stärke zu demonstrieren, um „sichtbar“ zu werden.
Ein weiterer interessanter Faktor, den Jenkins anspricht: Gewisse terroristische Taktiken sind quasi aus sich selbst heraus medial präsenter und „spannender“ als andere, z.B. die Geiselnahme oder Flugzeugentführung, die länger andauert und über den Ausgang im Unklaren lässt („That is genuine drama“ – Jenkins, S. 5), im Gegensatz z.B. zu Bombenanschlägen, die eher „übersehen“ würden.
Gerade hierin zeigt sich jedoch die Grenze des allgemeinen Symbiose-Konzepts von Terrorismus und Massenmedien: Zu wenig werden die unterschiedlichen Arten des Terrorismus berücksichtigt, seine Ziele und Mittel. Denn tatsächlich stammt viel vom Verständnis zum Bereich Terrorismus und Medien aus einer Zeit, in der Terrorismus in erheblichem Maße die Suche nach Aufmerksamkeit war, symbolische Gewalt, die in der noch jungen internationalen Welt der TV-Satellitenübertragung einen Platz suchte.
Aktionen wie die Geiselnahme von München 1972 oder die Flugzeugentführungen der palästinensischen Radikalen ab den späten 1960ern waren darauf ausgelegt, den Blick der Welt auf die Missstände in der Behandlung ihres Volkes aufmerksam zu machen. Die spektakulären Aktionen von al-Qaida haben dagegen eine andere Dimension. Man darf sich von dem damaligen internationalen Kleinkrieg von u.a. dem Schwarzen September gegen Israel auf der einen Seite und Osama Bin Ladens Videobotschaften und die monströse Wirkung der Bilder des 11. September auf der anderen Seite nicht täuschen lassen: Weniger wie der linksrevolutionäre Terrorismus der 1970er und mehr wie der nationalseparatistische „Zermürbungs“-Terrorismus der IRA, der ETA oder der FLN in Algerien wird beim aktuellen Neue Terrorismus eher im Sinne eines Krieges gedacht. Auch hier gibt es Forderungen (allgemeinere, weniger taktische: den Rückzug aus dem Land der Heiligen Städten, aus dem Irak, aus Afghanistan), selbstverständlich wird auf die Medienwirkung spekuliert. Doch es ist eine etwas andere Qualität, mit der es umzugehen gilt: In Nairobi und Daressalam wurden die Botschaften gesprengt, nicht besetzt – die Flugzeuge des 11. September nicht entführt, um mit den Geiseln politische Gefangene freizupressen, sondern sie und viele andere ohne Warnung oder direkter Botschaft in einer Selbstmordaktion umzubringen.
Terrorismus mag „Theater“ sein, eine Wendung, die Jenkins prägte (was allerdings auch Gabriel Weimann für sich in Anspruch nimmt), die aber auch in Rechnung stellen muss, dass es unterschiedliche Arten von Theater gibt. Neben der gepflegten Salonkomödie und dem brecht’schen Lehrstück das experimentelle Theater und das des unmittelbaren Schocks. Wir Rapoport (2004) zeigt, hat es in den unterschiedlichen Wellen des Terrorismus jeweils auch immer eigene vorherrschende Taktiken gegeben z.B. das Attentat bei den Anarchisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der vermeintlich gottgefälligen Massenmordterroristen von al-Qaida brauchen sich heutzutage nicht darum kümmern, ob seine Aktion „spannend“ ist und das Publikum als Drama ausgiebig fesselt. Ihre Ansprechpartner sind die Muslime in den eigenen Ländern; was die restliche Welt und vor allen den feindlichen „Westen“ betrifft machen sie hingegen in ihrer brüllenden „Sprachlosigkeit“ und konfrontativen Kriegs- und Vergeltungslogik die Meldungen praktisch selbst. Medial und mit aller Gewalt. Ob dabei die gleichen Parameter gelten, wenn es um die Rolle und Wirkung der Massenmedien geht, wie sie vor dreißig Jahren anzutreffen war, dürfte bezweifelt werden. Manchmal, so scheint es, wäre es geradezu beruhigend und wünschenswert, noch journalistisch unethische Interviews mit Terroristen führen zu können.
Brian M. Jenkins The Psychological Implications of Media-Covered Terrorism (1981) ist als pdf-Datei über die Website der RAND Corp. HIER herunterzuladen.
Literatur – falls nicht bereits im Text ausführlich genannt:
Bowen, Shannon A. (2008): Frames of Terrorism Provided by the News Media and Potential Communication Response. In: H. Dan O’Hair et. al. (Hg.): Terrorism. Communication and Rhetorical Perspectives. Cresskill, NJ: Hampton Press, S. 337 – 358.
Rapoport, David C. (2004): The Four Waves of Modern Terrorism. In: Audrey Kurth Cronin / James M. Ludes (Hg.): Attacking Terrorism. Elements of a Grand Strategy. Washington, D.C.: Georgetown University Press, S. 46 – 73.