Maschinenwesen und neue Rituale

In der Reihe 8:tension beim ImpulsTanz Festival zeigten Rita Vilhena, geb. in Portugal und Sergiu Matis aus Rumänien stammend, zwei gänzlich unterschiedliche Tanzwelten.

„Emergency Plan“ von Rita Vilhena vermittelte unterschiedliche Botschaften

Rita Vilhena, die bereits für mehrere Eigenchoreografien verantwortlich zeichnet, ging mit „Emergency Plan“ der Frage nach, ob es heute noch möglich ist, Rituale zu kreieren. Das in einem Kontext, der Publikum und Agierende verbindet und beiden die Möglichkeit einer gemeinsamen, neuen Erfahrung anbietet. Die Hofstallungen im Museumsquartier boten hierfür genügend Fläche. Ausgestattet mit grauen Plastikgymnastikbällen, die ein Teil der Zuseherinnen und Zuseher zum Sitzen verwenden konnten und schwarzen Sitzpölstern am Boden, agierte die 4-köpfige Truppe inmitten der Anwesenden. Mehrfach wurde dabei die Position aller Beteiligter verändert. Mal war es die linke, dann die rechte Hallenhälfte, die bespielt wurde. Und ab und zu wurden Zusehende auch an der Hand zu anderen Plätzen geführt. Sägespäne fungierten als Material, in dem das Spurenziehen der Truppe sichtbar wurde. Ob gehend oder auf allen Vieren – wer nah genug am Geschehen saß, durfte auch eine gehörige Portion Staub einatmen. Zu jenem Zeitpunkt nämlich, als das Ensemble mit den Sägespänen wie in einem Happening rund um sich warf. Aber der Manifestation purer jugendlicher Lebensfreude kann man nicht wirklich gram sein.

Das Live-Interview, das Vilhena mit einer Frau aus dem Publikum später führte, wurde von einer Performance von Thomas Proksch und Gaetan Rusquet begleitet. Während die Tänzerin und Choreografin von der überrumpelten Dame wissen wollte, wann sie das letzte Mal geweint hat und wann sie spürt, dass sie am Leben ist, bewegten sich Gaetan Rusquet und Thomas Proksch gewalttätig schiebend und ziehend durch den rund um sie gebildeten Zuschauerring. Die Mischung aus hörintensiver Interviewsituation und körperlich anstrengender Live-Performance forderte den Aufmerksamkeitspegel der Zuseherinnen und Zuseher doppelt. Claire Vivianne Sobottke übernahm kurzzeitig die Rolle einer Schamanin, mit mächtiger Falschhaarperücke. Sich selbst in Trance zu versetzten, wie es in der letzten Szene alle Beteiligten taten und das Publikum dabei miteinzubinden, sind zweierlei Vorhaben. Ersteres ist, so hatte man zumindest den Eindruck, gelungen. Die Suche nach neuen, gemeinsamen Erlebnisräumen mit Ritualcharakter war für das Ensemble von Erfolg gekrönt. Die Reaktionen darauf waren sehr gemischt. Von enthusiastischem Zuspruch bis rein reflektierenden Gesprächen war alles vorhanden.

Explicit Content widmete sich eine Stunde lang Bewegungsmustern von Cyborgs

Was passiert, wenn man eine Stunde lang drei Menschen in einer körperlichen Ausnahmesituation vor sich sieht? Menschen, die wie Roboter agieren, Bewegungen immer und immer wieder ausführen. Menschen, die keinen Kontakt untereinander aufbauen, außer vielleicht ab und zu einmal mit starrem Blick auf den anderen zu schauen? Menschen, die in ihrem eigenen Schweiß gebadet ab und zu ein kurzes Statement von sich geben? Es passiert, was passieren muss, dass nämlich der Drang, auf die Uhr zu sehen, immer stärker wird. Aber es geschehen auch andere, wesentlich differenziertere Aktionen. Man beginnt nachzudenken. Darüber, dass hier eine Choreografie gezeigt wird, die von Sergiu Matis selbst, von Maria Walser und Luis Rodriguez perfekt umgesetzt wird. Obwohl der Bewegungsablauf sicherlich nicht leicht zu memorieren ist. Tatsächlich enthält die Choreografie eine Unzahl an feinen, unterschiedlichen Bewegungen der Extremitäten aber auch der Rümpfe in allen möglichen Positionen. Ob im Stehen, Sitzen oder Gehen, die Bewegungen der Maschinenmenschen sind bereits so ausgereift, dass sie unzählige Mikrobewegungen abseits der herkömmlich bekannten zackigen Fortbewegungsabläufe, die man auch aus Popkulturvideos kennt, mitproduzieren.

Im Programmheft liest man darüber, dass sich Tanztechniken in die Körper der Tanzenden einschreiben und dadurch die Ausführenden zu Cyborgs werden lassen. Tatsächlich vermittelt die Produktion nicht nur das Gefühl, diesen gegenüberzustehen. Man bekommt auch einen Eindruck davon, dass Tanz etwas damit zu tun hat, den eigenen Kopf zu leeren, ja leeren zu müssen, um den physischen Anstrengungen gerecht werden zu können. Kyan Bayani schuf einen vielschichtigen Soundlayer dazu. Elektronische Begleitung von einem kaum hörbaren Dauerton bis hin zu infernalischen Sturmgeräuschen und elegischer Klassik untermalte das Bühnengeschehen äußerst vielschichtig. Auch das Lichtdesign von Sandra Blatterer trug erheblich dazu bei, sich immer wieder neu auf das Trio auf der Bühne einzulassen und über neue Aussagemomente nachzudenken.

Tänzerisch höchst anspruchsvoll, bleibt der Wunsch nach einer größeren dramaturgischen Abwechslung unerfüllt. Das passt jedoch perfekt zur Grundaussage des ewig gleichen, monotonen und getriebenen Daseins von Cyborgs. Thx god we are alive!


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