Marina Keegan. Das Gegenteil von Einsamkeit

keegan_gegenteil_von_einsamkeitKlug und selbstbewusst schaut hier ein junges Mädchen in die Kamera. Ja, es ist Marina Keegan selbst und ich mag das Cover unendlich, kann nicht aufhören, es immer und immer wieder anzuschauen. Der Titel des Buches ist gleichzeitig der Titel ihrer Abschlussrede in Yale und steht für den Wunsch eines jungen Mädchens nach intensivem und lustvollem Leben. Und weil ich so beeindruckt bin, mache ich heute etwas, das Marina nie getan hätte. Sie, die eine fanatische Feilerin war, die umschrieb und umschrieb und umschrieb, selbst wenn alle anderen fanden, es sei fertig. (ES GEHT IMMER (NOCH) BESSER) (S. 20).

Ohne fanatisch zu feilen, hacke ich jetzt meine wilde Begeisterung in die Tastatur meines Laptops und sage: Lest dieses Buch! Und es ist egal, ob Ihr 20 oder 50 seid, ob Mann oder Frau. Hier schreibt ein Talent. Hier spürt man bei jeder Zeile Literatur. Marina Keegan erzählt voller Esprit, sie wirkt zugleich tiefsinnig und voller mädchenhafter Ausgelassenheit. Egal, ob sie die 50jährige Anna beschreibt, welche einem blinden Studenten der Religionswissenschaften vorliest oder den jungen Will, der als Soldat im Irak stationiert ist und an seine Freundin Laura Mails schreibt, die diese selten oder nie beantwortet. Die ihm aber Halt geben, eine Verbindung zu der Welt da draußen.

In Kalte Idylle erzählt sie von einer Liebe, die keine war und davon, dass wir manchmal erst nach dem Tod eines geliebten Menschen seine tiefsten Geheimnisse kennen lernen können. Falls er – wie Bryan – ein Tagebuch hinterlassen hat. Um die Schwierigkeit in einer unglücklich vereinsamten Familie aufzuwachsen sowie um das Loslassen von diesen alten Strukturen geht es in Winterferien. Ein einziger Satz von Marina Keegan kann manchmal mehr sagen, als eine ganze Seite Text dies tun könnte. Und das mag ich eben auch – dass sie so reduziert schreibt, wie auf Seite 67: Der Gedanke, in seinem Bett zu schlafen, zerrte am Bild meiner Mutter, die mit inzwischen kalt gewordenem Gebäck in der Küche wartete. Ganz klar, Addie will lieber ihren Joint mit Sam weiter rauchen rauchen, anstatt zu ihrer Mom zu fahren.

Im Vorwort dieser Sammlung aus Stories und Essays berichtet Anne Fadiman von einer Segelregatta, an der die vierzehnjährige Marina teilgenommen hatte. Mit ihren fünfzig Kilo Gewicht war sie eigentlich zu leicht für das Segeln, zumal es ein stürmischer Tag mit hohem Wellengang gewesen ist. Sie stürzte immer wieder ins Meer, richtete ihr Segel neu auf und kämpfte weiter. Marinas ursprüngliches Ziel war gewesen, zu gewinnen. Ihr neues Ziel war, ans Ziel zu gelangen. Mehrere Männer gaben auf, aber sie fuhr weiter (S. 22).

Diese Segelregatta scheint symptomatisch für Marinas Schreiben zu stehen. Sie hatte mit 14 Jahren beschlossen zu siegen, so wie sie ein paar Jahre später beschlossen hatte, Schriftstellerin zu werden. Egal, wie oft Texte von ihr abgelehnt werden würden.

Könnte ich das von mir behaupten? Unzählige Male stolpern / stürzen und dennoch weitermachen? Beeindruckt lese ich weiter … bin berührt von diesem tiefen menschlichen Gefühl und dem Wissen um die Gedankenwelt ihrer Figuren einer so jungen Autorin, von der ich gern noch sehr viel mehr lesen möchte. Doch “Das Gegenteil von Einsamkeit” ist ihr einziges Buch.

Marina Keegan starb 2012 mit 20 Jahren tragisch bei einem Autounfall. Ein weiteres Buch wird es von ihr nie geben.

Marina Keegan. Das Gegenteil von Einsamkeit. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit. S. Fischer Verlag GmbH 2015. 285 Seiten. 18,99 €



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