#Mangamonat Q & A mit: altraverse

Ich glaube, man kann mit gutem Gewissen Folgendes behaupten: Jeder hier liest ganz gern. (Wenn nicht: Wie hast du dich denn hierher verirrt? Herzlich Willkommen in unserer verrückten Welt der Bücher!) Manche haben schon einmal hinter die Kulissen geblickt und kennen sich ein bisschen aus mit dem Prozedere, das ein Buch durchmacht, ehe es in der Buchhandlung steht oder vom Amazonas zu dir nach Hause geschippert kommt. Den meisten ist das Verlagswesen allerdings noch eines von vielen böhmischen Dörfern – und die allerwenigsten werden wissen, wie es bei Manga aussieht. Wenn man nicht selbst drin steckt, ist es auch wirklich schwer, einen Einblick in die Verlagsarbeit, die sich gern mysteriös gibt, zu bekommen.

Deshalb habe ich mich riesig gefreut, dass zwei Verlage sich trotz stressiger Vorbereitungen für die Leipziger Buchmesse die Zeit genommen haben, meine mehr oder weniger spezifischen Fragen zur Arbeit in einem auf Manga spezialisierten Verlag zu beantworten. Heute erfahrt ihr von Jo vom altraverse Verlag, durch wie viele Hände ein Manga auf seinem Produktionsweg geht, wie wichtig Japanisch im Alltag ist und welche Reihen einfach unsterblich sind.

#Mangamonat Q & A mit: altraverse

Q: Wie unterscheidet sich die Arbeit an und mit Manga von der Arbeit an und mit Romanen?
A: Grundsätzlich zunächst einmal gar nicht so sehr. In beiden Fällen ist es die Aufgabe der Mitarbeiter des Verlags, eine möglichst gute Fassung eines Werks auf den Markt zu bringen. In unserem Fall sind die meisten Stoffe ja deutschsprachige Umsetzungen von Werken, die zunächst in einer anderen Sprache erschienen sind. Hierbei versuchen wir, eine möglichst gute Überführung des Originals ins Deutsche vorzunehmen. Dabei geht es nicht nur darum, den reinen Inhalt möglichst gut zu adaptieren, sondern auch die Stimmung des Werks und Besonderheiten der Charaktere originalgetreu herauszuarbeiten. Im Falle von Comics und Manga kommt noch das Problem hinzu, dass durch die Sprechblasen der Platz, der für die Texte zur Verfügung steht, räumlich begrenzt ist. Daher muss man ganz besonders darauf achten, sprachlich „auf den Punkt“ zu kommen. Das ist am Ende eine Teamleistung, bei der Übersetzer, Redakteure und Korrekturleser Hand in Hand arbeiten.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Zeichnern und Textern?
Unterscheidet sie sich von der Zusammenarbeit mit „normalen“ Autoren?
In unserem Startprogramm erscheinen ja ausschließlich lizensierte Serien aus Japan. Hier hat man mit den Zeichnern und Textern zunächst gar keinen Kontakt, weil man ein fertiges Werk aus Japan übernimmt und es für den deutschen Markt aufarbeitet.
Bei der Entwicklung neuer Stoffe mit Zeichnern und Textern aus Deutschland steht hinter der Entwicklung eines Projekts natürlich ein ganz anderer Prozess, weil zu den Aufgaben, die wir auch bei der Adaption japanischer Manga zu erledigen haben, in der Regel auch noch die Phase der Entwicklung einer Geschichte hinzukommt. Hier steht der betreuende Redakteur schon vor dem ersten Strich, der schließlich umgesetzt wird, in engem Austausch mit den Autoren und berät sie bei der Anlage eines Plots und der Konzeption des Werks. Im Falle von Comics und Manga gehört dazu in der Regel auch ein Austausch über die optische Gestaltung einer Serie.

Durch welche Stationen und Hände geht ein Manga, bis er in die Buchhandlung kommt?
Durch ziemlich viele. Selbst im Fall von Lizenzen aus Japan, sind auch an der Entstehung der deutschen Fassung viele Menschen beteiligt. Da sind zunächst die Programmmacher, die darüber entscheiden, welche Titel für den deutschen Markt eingekauft werden sollen. Hat man darüber entschieden, kommen die Personen hinzu, die über die Lizenz verhandeln und den Vertrag mit dem japanischen Lizenzgeber abschließen. Es wird eine erste Kalkulation erstellt, damit man beim Verhandeln der Rechte die finanziellen Spielräume im Blick behält. Sind die Rechte gesichert, gibt der zuständige Redakteur den Titel an einen (meist frei arbeitenden) Übersetzer, der sich darum kümmert, dass der japanische Text ins Deutsche übertragen wird. Parallel dazu beginnen Grafiker sich Gedanken über das „deutsche Gesicht“ der Serie zu machen, d. h. Entwürfe für die Umschlaggestaltung zu entwickeln. Hierbei wird auch über besondere Veredelungen etc. entschieden. Da diese immer auch mit Kosten verbunden sind, wird eine zweite Kalkulation erstellt. Ist die Übersetzung erledigt, erarbeitet der Redakteur auf ihrer Basis die finale deutsche Fassung, d. h. alle Passagen werden noch einmal von einem zweiten Paar Augen geprüft und gegebenenfalls Anpassungen vorgenommen. Während das geschieht, kümmern sich Grafiker wiederum um die Vorbereitung der Innenseiten, d. h. japanische Texte werden aus den Blasen entfernt. Dann fügt ein Letterer den deutschen Text nach den Angaben des Redakteurs in die zuvor geleerten Blasen ein. Die nun deutsche Fassung landet bei uns in der Herstellung, die in einem ersten Schritt überprüft, ob im Lettering alles so umgesetzt wurde, wie es sein sollte. Zudem werden in diesem Schritt die deutsche Titelseite, das Impressum u. ä. aufgebaut. Dann wandert das Buch in einen ersten Korrekturlauf, in dem noch einmal alles auf mögliche Fehler in Rechtschreibung und Grammatik überprüft wird. Gute Korrekturleser weisen dazu auch darauf hin, ob ihrer Meinung nach hier und da sprachlich noch etwas optimiert werden könnte. Das nun mit Kommentaren aus der Korrektur versehene Dokument geht zurück zum Redakteur, der nun darüber entscheidet, welche der Korrekturvorschläge final umgesetzt werden. Dann geht das textlich finale Dokument wieder an die Herstellung, die noch einmal das gesamte Dokument final überprüft, bevor ein PDF für den Druck erstellt wird, das dann zur Druckerei geschickt wird. Während der gesamten Vorbereitungsphase sind zusätzlich auch fleißige Hände in Vertrieb und Marketing damit beschäftigt, dafür zu sorgen, dass der Titel dem Handel vorgestellt und durch Werbemaßnahmen begleitet wird. So hat man zur Drucklegung schon eine bessere Vorstellung von den Verkaufschancen des Titels und kalkuliert noch einmal durch und legt die finale Auflage fest. In der Druckerei gibt es auch noch eine Reihe von Schritten, aber danach müsste man die Kollegen dort fragen. Von der Druckerei wird der Titel an die Auslieferung geschickt, dort und im Verlag noch einmal überprüft, bevor das Buch dann an die Buchhandlungen verschickt wird.

Was macht einen erfolgreichen Manga aus?
Gibt es Aspekte, worin sich Bestseller oft von Nischentiteln unterscheiden?
Könnten wir die erste Frage beantworten, wären wir alle Millionäre, aber eine goldene Regel für Hits gibt es zum Glück nicht.
Der Markt und die Interessen der Leser sind immer wieder in Bewegung und manchmal kann sich sogar ein Titel, der vor drei Jahren noch ein Nischentitel gewesen wäre, plötzlich zum Hit entwickeln. Das ist ja gerade das Spannende an der Arbeit in einem Verlag.
Natürlich gibt es dennoch gewisse Wahrscheinlichkeiten, wenn das Thema eines Manga sehr speziell ist. Eine Serie, in deren Mittelpunkt ein 80 Jahre altes achtarmiges Eichhörnchen steht, das als Latrinenschreiner im China des ausgehenden dritten Jahrhunderts arbeitet, hätte vermutlich geringere Chancen als eine modern konzipierte Mystery-Story um eine Gruppe junger Menschen, die gemeinsam einen Mord begangen haben. Aber zwischen diesen Polen sind viele Abstufungen denkbar.

Wie hat sich der Manga in den letzten Jahren inhaltlich/stilistisch/… entwickelt?
Lassen sich Tendenzen erkennen?
Ich habe den Eindruck, dass Manga in den letzten zwanzig Jahren optisch und inhaltlich radikaler geworden sind, das gilt aber genauso für viele andere Medienformen vom Computerspiel bis zur Fernsehserie. Und für Jugendmedien gilt dies in einem besonderen Maße. Das Medienangebot wächst in einem rasanten Tempo und die Zielgruppen für einzelne Titel werden dadurch immer kleiner, aber auch immer spezialisierter. Die großen neuen Hits der letzten Jahre von Attack on Titan über Tokyo Ghoul bis zu The Promised Neverland sind viel härter und extremer als es zu Zeiten von Dragon Ball oder Inu Yasha auch nur denkbar gewesen wäre.
Trotzdem gibt es parallel dazu aber anscheinend auch immer noch eine Sehnsucht nach dem, was früher einmal Mainstream war, denn Dragon Ball hat von seiner Popularität in all den Jahren nichts eingebüßt, sondern befindet sich eher auf einem neuen Höhenflug. So ist der zweite große Trend gerade interessanterweise eine Rückbesinnung auf Klassiker. Nicht nur Son-Goku und Co. haben ein Revival erlebt, auch Card Captor Sakura oder das Record of-Universum sind plötzlich wieder aktuell wie nie.

#Mangamonat Q & A mit: altraverse

Das altraverse-Team, Artwork von @horrorkissen. Bildquellen: 1, 2, 3

Welche Genres gibt es im Manga? Was macht diese Genres aus?
Manga ist eigentlich wie eine Flasche, die jeden beliebigen Inhalt transportieren kann, daher sind auch alle Genres im Manga zu finden. Und die Inhalte werden von Jahr zu Jahr bunter und vielfältiger.

Welche Genres bietet Ihr Verlag an? Warum haben Sie sich für diese Genres entschieden und nicht für andere?
Wir haben zum Start im Bereich Shonen und Seinen einen Schwerpunkt auf Fantasy und Mystery gelegt, weil wir den Eindruck hatten, dieses Feld kommt in den Programmen anderer Verlage derzeit zu kurz. Bei den Angeboten für Leserinnen konzentrieren wir uns zu Beginn auf etwas ältere Fans, weil es derzeit im Nachklapp des Erfolgs von I Love Shojo bei Tokyopop in den Programmen aller Verlage extrem viele Titel für jüngere Leserinnen gibt. Daher werden wir in diesem Bereich zunächst etwas vorsichtiger agieren.

Wie funktioniert der Lizenzkauf von Titeln aus dem Ausland?
Wie wird entschieden, welche Lizenzen gekauft und welche Titel verlegt werden?
Die Auswahl des Programms entsteht im Dialog zwischen den Produktmanagern/Redakteuren und der Verlagsleitung. Johannes Marschallek und Katrin Aust haben jeweils bestimmte Programmschwerpunkte und recherchieren in ihren Bereichen nach interessanten Stoffen. In gemeinsamen Sitzungen entsteht daraus ein Programm. Hierbei versuchen wir einerseits bestimmte thematische Blöcke herauszuarbeiten, weil das die Kommunikation eines Programms nach außen erleichtert, uns andererseits aber auch nicht zu einseitig aufzustellen und hier und da neue Bereiche oder Programmfelder zu testen.
Natürlich schaut man dabei auch immer auf den Erfolg bislang verlegter Titel und macht sich Gedanken darüber, wodurch sich das eigene Programm von dem anderer Anbieter abheben könnte.

Inwiefern spielen Sprachkenntnisse eine Rolle im Verlagsalltag?
Das ist gemischt. Sie spielen im redaktionellen Bereich eine Rolle, weil Recherchen und die Bearbeitung der Stoffe leichter fallen, wenn man Japanisch versteht. Für andere Bereiche wie Marketing, Herstellung oder Vertrieb sind sie weniger bedeutsam. Wir erwarten aber von allen Mitarbeitern eine grundsätzliche Offenheit gegenüber der japanischen Popkultur. Wer die nicht hat, wird in diesem Feld kaum erfolgreich arbeiten können.

Spielen kulturelle Differenzen zwischen Europa und Asien eine Rolle im Verlagsalltag?
Die spielen hier und da eine Rolle, z. B. in der Kommunikation oder der oft sehr unterschiedlichen Steuerung von Abläufen. Aber da wir alle schon sehr lange in diesem Bereich arbeiten, wissen wir mit den Unterschieden zu leben und sie als Bereicherung des eigenen Blickwinkels auch zu schätzen.

Wie schätzen Sie die Rolle von Manga auf dem deutschen Buch-/Comicmarkt ein?
Wie ist die Situation des Manga auf dem internationalen Markt?
Manga haben sich in allen internationalen Buchmärkten als eine sehr robuste Größe erwiesen. Während der Verkauf von Büchern insgesamt in fast allen Ländern eher rückläufig ist, wächst Manga in den meisten Märkten noch immer. Das gilt vor allem für die Bücher, während die Magazine in den asiatischen Märkten mit Problemen zu kämpfen haben, weil sie immer mehr durch Online-Angebote ersetzt werden. Aber auch in Japan ist der Buchverkauf bei Manga erstaunlich stabil.

Favorisieren Sie persönlich Manga oder Anime und warum?
Das wechselt ständig. Ich begeistere mich eher für Themen und bevorzuge dann zumeist das Medium, in dem die Urfassung entstanden ist. Das sind oft Manga und Bücher, heute aber auch immer öfter Filme, Games oder Anime.

Warum arbeiten Sie an Manga? Was ist für Sie das Besondere daran, im Vergleich zum Roman/Comic/…?
Ich bin Comic-Fan seit ich fünf war und habe mich immer für das Medium begeistert. Als ich Mitte Zwanzig war, kam Manga als eine für mich neue Form nach Europa und hat mein Herz im Sturm erobert. Bis heute liebe ich beide Formen und lese je nach Stimmung mal das eine oder das andere. Ich wollte tatsächlich schon als Kind am liebsten Comic-Verleger werden, so wie andere Kinder Lokführer oder Ritter werden wollten. Damals habe ich mir jeden Freitag Fix & Foxi gekauft, und da war vorne immer ein Bild von Rolf Kauka drin, zusammen mit einem Brief an seine Leser. Ich wusste vom ersten Heft an, dass ich so was wie er auch gerne machen würde, auch wenn ich damals keine Ahnung davon hatte, was das bedeutet. Aber ich bin heute noch immer sehr glücklich und dankbar, dass aus diesem Traum Wirklichkeit wurde. Ich kann mir noch immer keinen schöneren Beruf vorstellen.

Haben Sie persönliche Favoriten?
Dragon Ball wird für mich immer einen Ehrenplatz einnehmen und wird in gewissen Abständen auch heute noch immer wieder einmal von mir gelesen. In unserem neuen Programm sind Bis Deine Knochen verrotten, Interviews mit Monster-Mädchen und In these words meine privaten Leselieblinge. 🙂

#Mangamonat Q & A mit: altraverse

Bildquelle. Artwork s. o.

Ein dickes Dankeschön schicke ich an Jo und den altraverse Verlag für diese tollen Einblicke in die Verlagsarbeit! Ich selbst habe wieder viel gelernt und freue mich umso mehr, die niegelnagelneuen Bücher aus diesem jungen deutschen Mangaverlag zu lesen. In ein paar Tagen stelle ich euch das Verlagsprogramm von altraverse genauer vor und werfe für euch einen Blick in die allerersten Manga. Seid gespannt!

QODD: Feedback!

Beantwortet dieses Interview ein paar eurer Fragen? Oder wusstet ihr das alles schon? 😉 Findet ihr die Chibi-Zeichnungen von @horrorkissen auch so süß wie ich und das altraverse-Team so großartig?! Merkt ihr mir meine Begeisterung an?!

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