Manga Review: Satoru Noda: Golden Kamuy 1: Blutiger Schnee

Manga Review: Satoru Noda: Golden Kamuy 1: Blutiger Schnee

Als angehender Geschichtslehrer liebe ich historische Settings, die medial verwurstet werden. Mir ist dabei tatsächlich sogar vergleichsweise wurscht, wie akkurat die historische Darstellung tatsächlich ist, sofern die Rahmenbedingungen des geschichtlichen Kontextes ein realistisches und tragendes Fundament für die fiktionale Erzählung bilden. Der von Satoru Noda entwickelte Manga Golden Kamuy spielt im Jahre 1905 - kurz nach dem Japanisch-Russischen Krieg - und bildet damit eine Periode ab, die aus westlicher Sicht kaum rezipiert worden ist. Gerade deshalb ist die zeitliche und geographische Verortung des Mangas auf der nördlich gelegenen Insel Hokkaido auch ungemein spannend. Zugleich ist der Manga aber eben nicht nur dröge Geschichtsstunde, sondern vermengt die realistische Darstellung mit einer stellenweise pulpigen In-Your-Face-B-Movie Attitüde. Im September erschien der erste Band über das Label Manga Cult. Mittlerweile sind bereits die ersten drei Bände erschienen. Ob der Auftakt Lust auf mehr macht, erfahrt ihr im Rahmen dieser Besprechung.

DIE KUNST DES ÜBERLEBENS

Hauptprotagonist des Mangas ist der japanische Soldat Saichi Sugimoto, der den Beinamen „Der Unsterbliche" trägt. Um die Witwe eines gefallenen Kameraden finanziell zu unterstützen versucht der notorisch klamme Veteran in der unwirtlichen Kälte der noch weitgehend unerschlossenen Insel Hokkaido nach Gold zu schürfen. Die Schatten des Krieges lasten dabei schwer auf seinen Schultern, doch weil er einen hochrangigen Vorgesetzten bei einem Zwischenfall beinahe umgebracht hätte, nagt er nun am Hungertuch, statt als ausgezeichneter Kriegsheld von einer hohen Rente leben zu können. Beim Goldschürfen erfährt er von einem angetrunkenen alten Mann, dass es einen gewaltigen Ainu-Schatz gibt, der gestohlen worden ist. Die Geschichte klingt zu fantastisch, um wahr zu sein - Doch als der nunmehr ausgenüchterte alte Mann seine Geschwätzigkeit bereut, und Saichi angreift, scheint die wahnwitzige Story zumindest einen wahren Kern zu haben. Als er eines Tages von einem Braunbären angegriffen wird, bekommt er unverhofft Unterstützung von dem jungen Ainu-Mädchen Asirpa. Die Ainu sind naturverbundene Ureinwohner des nördlichen Japans, die aber auch die Insel Sachalin und das Kurilen-Archipel bevölkerten, die mittlerweile zu Russland gehören - und denen im Rahmen der japanischen Expansionsbestrebungen übel mitgespielt worden ist. Von Asirpa erfährt Saichi, dass die Geschichte um den Goldschatz der Ainu, der ihrem Volk gestohlen worden ist, wahr ist. Saichi wittert hier die Chance auf die Lösung seiner finanziellen Ebbe, Asirpa hingegen auf Rache für ihren ermordeten Vater und die Schändigung des kulturellen Erbes der Ainu.

Sie erfahren, dass ein Dieb namens Noppera-bō den Schatz gestohlen hat, später aber lange Zeit im Gefängnis verharren musste. Dort tätowierte er anderen Gefängnisinsassen Hinweise auf den Rücken ein, wo der Schatz zu finden sei. Zusammen ergeben die Häute der flüchtigen Sträflinge eine menschliche Schatzkarte. Das Problem ist hierbei, dass die Verbrecher sich unter die Zivilbevölkerung der Insel gemischt haben. So begeben sich Saichi und Asirpa auf die tödliche Suche nach ihnen - beide jeweils getrieben von ganz eigenen Motivationen. Doch Gefahren drohen nicht nur von menschlicher Hand, auch die unwirtliche Wildnis der Insel mit ihrer Flora und Fauna macht die Odyssee zu einer kräftezehrenden Erfahrung. Nur gut, dass Saichi ein zäher Überlebenskünstler ist, und Asirpa aus einem naturverbundenen Jäger & Sammler-Geschlecht stammt.

GELUNGENER STILMIX

Golden Kamuy hat mich gleich in mehrfacher Hinsicht begeistert: Zunächst einmal ist das Setting der Russisch-Japanischen Nachkriegszeit zumindest im hiesigen Sprach- und Kulturraum herrlich unverbraucht. Und ohne jetzt eine ereignisgeschichtliche Geschichtsstunde zu zelebrieren, werden die Rahmenbedingungen einfach gesetzt, man muss sich quasi selbst in diese Welt hineindenken, in der ein Kriegsveteran zu überleben versucht. Das fühlt sich zu allen Zeitpunkten greif- und nahbar an, und wird in allen Belangen sehr authentisch dargestellt. Die Waffen- die Uniformen- die territorialen und ökologischen Gegebenheiten der Insel; das alles ist mit viel Liebe zum Detail und einem erheblichen Maß an vorheriger Recherche inszeniert. Nicht minder wird die höchst interessante Geschichte der Ainu, die bislang komplett an mir vorbeigegangen ist, vermittelt. Auch hier werden stammesgeschichtliche Fakten und Mythen um die Ainu in sehr zugänglicher und kondensierter Form mit der Erzählung verwoben. So ganz kann sich Noda die historische Lehrhaltung aber nicht verkneifen - So gibt es zwischen den Kapiteln immer wieder interessante Fun Facts zur Erzählung: Etwa die Besonderheiten von Asirpas und Saichis Ausrüstung oder Informationen zur Blakiston-Linie, eine faunale Grenzlinie, die den Norden Japans vom Süden trennt, und gemäß der Bergmannschen Regel der Grund für die größeren Tierarten ist. Mir haben diese materialgeschichtlichen- und ökologischen Details sehr gut gefallen, da sie für mich die Periode greifbar machen.

Ein weiterer Punkt, der mir extrem gut gefallen hat, war die Charakterzeichnung: In der Welt von Golden Kamuy gibt es keine manichäischen Verhältnisse von Gut und Böse: Alle bewegen sich innerhalb moralischer Grauzonen. Asirpa etwa hat trotz ihres jungen Alters ein sehr abgeklärtes und pragmatisches Verhältnis zum Tod, aber auch zur Natur. Saichi hingegen ist zäher Vollblut-Soldat, der zwar grundsätzlich das Herz am rechten Fleck zu tragen scheint, aber im Sinne der eigenen Interessen durchaus über Leichen zu gehen bereit ist. Hier wird Asirpa zumindest in Teilen ein moralischer Kompass für Saichi, da sie etwa das Töten der Sträflinge vehement ablehnt. Obgleich also Tod und Gewalt und nicht zuletzt ein gewisser Nihilismus in der Welt von Golden Kamuy stetige Begleiter sind, vermittelt der Manga eine vergleichsweise pazifistische Grundeinstellung.

Bei der Erzähldynamik und beim grundsätzlichen Stil ist Golden Kamuy recht seltsam geraten, weil der Manga zwischen verschiedenen Tempi- und Stilen oszilliert. Während die Momente des Krieges sehr fragmentarisch und bruchstückhaft in Flashbacks wiedergegeben werden, gibt es viele eher ruhige Momente in der Natur, die auf die Figurendynamik ausgelegt sind. Bei den Action-Sequenzen wiederum wird häufig in klassische Shonen-Muster verfallen, die dann entsprechend Over-the-Top ausfallen. Wenn Saichi etwa einen ausgewachsenen Hokkaido-Braunbären mit den bloßen Händen bekämpft, dann ist das schon sehr überzeichnet geraten. Zudem gibt es punktuell immer wieder kleine Gewaltspitzen, die dann sehr brachial und blutig ausfallen, und wo dann auch die Gedärme aus den Leibern quillen. Deshalb hat mich diese Mischung aus überzeichneter Manga-Action, sehr realistisch-geerdeten, vielleicht sogar melancholischen Momenten und punktuell angezogenem Gewaltgrad teilweise ein bisschen an die Yakuza-Spiele, und minimal auch an Fist of the Northstar erinnert.

RUSTIKALE BILDGEWALT

Auch zeichnerisch und kompositorisch ist Golden Kamuy über alle Maße erhaben - Gleichzeitig gibt es aber auch hier grafische Brüche zu beobachten, die meines Erachtens nach, die Stilwechsel innerhalb der Erzählung unterstützen. Während das Charakterdesign nämlich eher am Shonen-Genre angelehnt ist, d.h. klare Linien und Konturen, große Augen und stilisierte Frisuren, sind die Umgebungen eher recht rustikal gehalten - mit sprödem, harten Strich wird die Wildnis Hokkaidos dargestellt und mutet dabei zeitweilig recht poetisch und erhaben an. Wenngleich die Panelaufteilung nur selten die konventionalen Rahmen sprengt, vermittelt die häufig diagonale und ineinander driftende Anordnung für eine starke kompositorische Dynamik. Und gerade auch die Einstellungen in den Kampfsequenzen und die Verwendung der Speedlines vermitteln sehr physische Auseinandersetzungen.

FAZIT

Der erste Band von Satoru Nodas Golden Kamuy war für mich eine der besten Manga-Veröffentlichungen des vergangenen Jahres. Sowohl erzählerisch, wie auch optisch hat mir der Auftakt zur blutigen Schatzsuche in der Japanisch-Russischen Nachkriegszeit extrem gut gefallen. Das liegt zum einen am gerade für westliche Verhältnisse ungewöhnlichen Setting, zum anderen an der Liebe zum Detail. Die fiktionale Erzählung um den japanischen Soldaten Saichi Sakamoto, der sich, am Hungertuch nagend, auf die Suche nach einem gewaltigen Ainu-Schatz begibt und dabei unerwartet Unterstützung von einem jungen Ainu-Mädchen bekommt, wird durch historisch akkurate Trivia umrahmt - sowohl zum Kriegsgeschehen selbst, als auch zu den nördlichen Ureinwohnern und den ökologischen Bedingungen Hokkaidos. Gleichzeitig ist Golden Kamuy aber keine politisch-historische Erzählung wie etwa Barfuß durch Hiroshima, sondern konterkariert seinen Realismus-Anspruch immer wieder durch eher Shonen-artige Action, die mitunter auch recht blutig gerät. Dadurch bewahrt sich Golden Kamuy einen sehr eigenständigen Charakter, der mich zeitweise mit der Mischung aus Drama, Realismus und schwarzhumorigen Klamauk an die Yakuza-Reihe und deren historische Ableger (Kenzan! Und Ishin) erinnert hat. Insofern unbedingte Empfehlung. Eine Review der Folgebände findet ihr demnächst ebenfalls bei uns!

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ALLGEMEINE INFORMATIONEN:

  • Taschenbuch: 192 Seiten
  • Verlag: Cross Cult; Auflage: 1 (5. September 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3964332569
  • ISBN-13: 978-3964332561
Fazit ALLGEMEINE INFORMATIONEN

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