Malen mit Zahlen

Roulette; unter Verwendung eines Fotos von

Roulette; unter Verwendung eines Fotos von “babyben”, Flickr, (CC BY-NC-SA 2.0)

Religionsgemeinschaften ver­su­chen, das Bild eines reli­giö­sen Öster­reich zu zeich­nen. Um das zu errei­chen, grei­fen sie bewusst auf ver­al­tete Zahlen zurück oder erfin­den ein­fach wel­che.

Eine Million kon­fes­si­on­freier Öster­rei­cher gebe es, berich­tete die Tageszeitung “Der Standard” vor kur­zem. Offenbar Zahlen, die bei der Veranstaltung “Dialog im Stift” fie­len, über die im Artikel aus­führ­lich berich­tet wird. Die Zahlen sind buch­stäb­lich die halbe Wahrheit. Weiter liest man: “Rund fünf Prozent davon ver­ste­hen sich aus­drück­lich als Atheisten.” Das ist nicht mal mehr eine Halbwahrheit. Das ist Ausdruck kle­ri­ka­ler Fantasie oder schlech­ter Formulierungskünste der kirch­li­chen Veranstalter der Podiumsdiskussion.

Es gibt fast dop­pelt so viele Konfessionsfreie

Beide Zahlen sind nach­weis­lich falsch. Die Million Konfessionsfreier gab es laut Statistik Austria im Jahr 2001. Aktuell dürf­ten es knapp dop­pelt so viele sein.

Kirche geht mit alten Zahlen hau­sie­ren

Seit 2001 gibt es – nach kir­chen­ei­ge­nen Zahlen – um 600.000 Katholiken weni­ger und – laut offi­zi­el­ler Statistik – eine knappe halbe Million Öster­rei­che­rin­nen und Öster­rei­cher mehr. Die Zahl der Mitglieder der diver­sen Religionsgemeinschaften wird seit­dem nicht mehr amt­lich erho­ben.

Das kann und darf keine Ausrede sein, mit die­sen ver­al­te­ten Zahlen hau­sie­ren zu gehen. Nicht ein­mal für eine Religionsgemeinschaft.

Den Katholiken müsste zumin­dest der eigene Mitgliederschwund bewusst sein. Man könnte, mit sehr wenig Aufwand, her­aus­fin­den, dass aus­ge­tre­tene Katholiken im Regelfall nicht die Konfession wech­seln. Sie blei­ben mit sehr weni­gen Ausnahmen kon­fes­si­ons­frei. Anders aus­ge­drückt: Sie wol­len zumin­dest mit orga­ni­sier­ter Religion nichts mehr zu tun haben.

Zuwanderer sind auch nicht alle reli­giös

Das allein würde nach ver­ein­fach­ter Rechnung (Inklusive Abschätzung Todesfälle gegen Taufen) die Zahl der Konfessionsfreien auf etwa 1,5 Millionen Menschen erhö­hen. Dann wäre die Frage, wie sich die knappe halbe Million Menschen ein­ord­net, um die die Bevölkerung seit 2001 gestie­gen ist. Das Plus ist fast aus­schließ­lich auf Zuwanderung zurück­zu­füh­ren.

Die größte Zuwanderergruppe der ver­gan­ge­nen Jahre waren – Deutsche. Die waren offen­bar zu einem gro­ßen Teil kon­fes­si­ons­frei oder wur­den es wäh­rend des Umzugs. Sonst hätte sich das in den kir­chen­ei­ge­nen Mitgliederstatistiken von katho­li­scher und evan­ge­li­scher Kirche bemerk­bar machen müs­sen.

Die Annahmen sind absurd

Auch mit den Zuwanderern aus allen ande­ren Ländern zusam­men käme man aller­höchs­tens auf 300.000 zusätz­li­che Religionsangehörige jeg­li­cher Coleur. Und das nur, wenn man dort einen 100-prozentigen Zugehörigkeits- und Registrierungsanteil annimmt.

Das jedoch wäre eine absurde Annahme. In vie­len ost­eu­ro­päi­schen Staaten ist der Anteil der Konfessionsfreien gleich hoch oder höher als in Öster­reich, etwa in Slowenien, Tschechien und Serbien. Und es gibt kei­nen ver­nünf­ti­gen Grund anzu­neh­men, dass aus­ge­rech­net nur die Religiösen aus­wan­dern – oder nur sie Kinder krie­gen.

Klerikale Fantasien

Was die Religionsgemeinschaften nicht davon abhält, das als unaus­ge­spro­chene Arbeitshypothese zu ver­wen­den. Die ortho­doxe Kirche nennt etwa 450.000 ortho­doxe Christen in Öster­reich. Das ist mit Verlaub Ausfluss kle­ri­ka­ler Fantasien.

Offenbar wer­den für diese Schätzung ein­fach alle Zuwanderer aus Ländern mit ortho­do­xer Bevölkerungsmehrheit samt hier gebo­re­nen Kindern zusam­men­ge­rech­net und als Mitglieder rekla­miert. Ob sie sich irgendwo haben regis­trie­ren las­sen oder nicht, ja, ob sie über­haupt jemals getauft wur­den, ist den ortho­do­xen Bischöfen einer­lei.

Damit die Zahl auch nur annä­hernd stim­men könnte, müsste es ein absurd hohes Wachstum bei den Orthodoxen gege­ben haben. Im Jahr 2001 gaben nicht ein­mal 175.000 Menschen an, ortho­do­xen Glaubens zu sein. Eine Verzweieinhalbfachung inner­halb von 12 Jahren geht sich anhand der Zuwanderungsstatistiken nur aus, wenn man eine aber­wit­zig hohe Geburten- und Bekenntnisrate unter­stellt.

Allein, was küm­mert einen Bischof die Wirklichkeit, so lange er die eigene Bedeutung erhö­hen kann?

500.000 Muslime? Vielleicht. Genau weiß es kei­ner

Für die kol­por­tierte Zahl von 500.000 Muslimen gibt es über­haupt kein nähe­res Datenmaterial. Auch das wäre neben­bei gegen­über 2001 eine Steigerung von gut 60 Prozent. Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Öster­reich, die offi­zi­elle Vertretung der meis­ten isla­mi­schen Gemeinden mit Ausnahme der Aleviten, gibt sicher­heits­hal­ber auf der Homepage keine Mitgliederzahl mehr an. Bei ihr ist über­haupt nur ein Bruchteil der kol­por­tier­ten Muslime regis­triert. Das hält sie nicht davon ab, in der Öffent­lich­keit zu behaup­ten, sei ver­trete eine halbe Million Muslime.

Es gibt schlicht nie­man­den, der weiß, wie viele Muslime es in Öster­reich gibt. Es gibt viele, die ein Interesse haben, die Zahl mög­lichst groß aus­se­hen zu las­sen. Das sind die mus­li­mi­schen Verbände, allen voran die IGGiÖ, und ihre poli­ti­schen Verbündeten. Interesse an einer halb­wegs vali­den empi­ri­schen Erhebung haben die alle nicht. Zu den Verbündeten im wei­te­ren Sinn zählt auch die katho­li­sche Kirche. Je mehr Öster­rei­cher offi­zi­ell als reli­giös gel­ten, desto höher ihre eigene Bedeutung. Sie ist die mit Abstand größte Religionsgemeinschaft.

Nicht alle Konfessionsfreie sind Atheisten

Bei halb­wegs nüch­ter­ner Betrachtung dürfte es in Öster­reich zwi­schen 1,7 und 1,9 Millionen Konfessionsfreier geben. Der Zentralrat der Konfessionsfreien kommt sogar auf knapp mehr als zwei Millionen. Allerdings ver­wen­det er die Zahlen der Volkszählung 2001, sofern keine ande­ren Zahlen vor­lie­gen. Das lässt das anzu­neh­mende Mitgliederwachstum bei Muslimen und Orthodoxen unbe­rück­sich­tigt, was aller­dings, siehe oben, auch kei­nen Riesenunterschied macht. So oder so: Es gibt fast dop­pelt so viele Konfessionsfreie wie die katho­li­sche Kirche behaup­tet.

Die knapp zwei Millionen Konfessionsfreien sind nicht alle Atheisten. Aber sind es nur “fünf Prozent davon”, wie offen­bar beim Dialog im Stift sug­ge­riert? Das wäre etwa ein Prozent der Bevölkerung, plus/minus im Promillebereich.

Auch hier bezieht man sich auf eine ältere Umfrage, die “Europäische Wertestudie” aus dem Jahr 2008. Die Fragestellung war offen­bar aus­ge­legt, die Zahl “beken­nen­der Atheisten” mög­lichst nied­rig zu hal­ten. Selbst diese Studie wird falsch zitiert. Sie sieht vier Prozent der Gesamtbevölkerung als beken­nende Atheisten.

Andere Studie sieht 28 Prozent Agnostiker/Atheisten

Eine Umfrage aus dem Vorjahr besagt, dass 28 Prozent der Bevölkerung an “kei­nen Gott” glau­ben. Der Nicht-Glaube an einen Gott macht rein defi­ni­to­risch den Atheisten aus oder, beur­teilt man die Sache nicht ganz so streng, zumin­dest den Agnostiker. Man merkt: Es hängt von Fragestellung ab. Die wird maß­geb­lich von Auftraggebern und sons­ti­gen Erwartungshaltungen an die Studienautoren bestimmt.

Es gibt andere Studien und Umfragen, die – je nach Fragestellung – zu ande­ren Werten kom­men. Wie viele Atheisten es gibt in Öster­reich, lässt sich aus die­sen Daten seriös nicht ermit­teln. Deutlich mehr als fünf Prozent wer­den es sein. Wahrscheinlich auch deut­lich mehr als es die regel­mä­ßi­gen Kirchbesucher von katho­li­scher und evan­ge­li­scher Kirche zusam­men sind. Das sind ins­ge­samt um die acht Prozent der Bevölkerung.

Religiosität ist Minderheitenprogramm

Selbst wenn man bei den ande­ren Religionsgemeinschaften unter­stellt, dass 100 Prozent ihrer Mitglieder regel­mä­ßig eine Messe besu­chen (wie auch immer das dort hei­ßen mag), kommt man in Öster­reich auf kaum 20 Prozent Religionspraktizierende. Ein Umstand, der auf Diskussionen wie im Stift Schlägl nicht aus­ge­brei­tet wird. Man fragt sich, warum.

Die Vermutung liegt nahe, dass es nicht ins Bild passt, das man zeich­nen will. Die Atheisten als kleine, wenn auch wach­sende und nach Öffent­lich­keit stre­bende Minderheit, in einem weit­ge­hend reli­giös geblie­be­nen Land. Ein fal­sches Bild. Sogar unab­hän­gig davon, wie viele Atheisten und Konfessionsfreie es gibt. Religiös sein ist in die­sem Land ein Minderheitenprogramm gewor­den. Dass man das von Religionsvertretern nicht hören wird, ver­steht sich von selbst.

Christoph Baumgarten

[Erstveröffentlichung: hpd]


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