Macht Ver.di gemeinsame Sache mit der Verwerterlobby?

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Ein hochrangiger Ver.di-Vorstand und der Präsident eines Arbeitgeberverbands treten händeschüttelnd und schulterklopfend vor die Presse um den Abschluss eine Lohnsenkungstarifvertrags in ihrem Zuständigkeitsbereich bekanntzugeben – Unvorstellbar?

Oder das hier: Ver.di und die NPD gehen eine politische Kooperation ein und besiegeln dies durch die Bekanntgabe einer Kampagne „Sozialstaat nur für Deutsche“ durch die Vorstandschaften beider Organisationen – Unmöglich?

Wenn Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände zu einem Thema dieselbe Meinung vertreten, bedeutet das meist nichts Gutes für deren Mitglieder. Treten Gewerkschaftsführer und Arbeitgeberpräsidenten gar zusammen vor die Presse und grinsen fröhlich in die Kameras, so hat sehr wahrscheinlich eine größere Ferkelei im Hinterzimmer am grünen Tisch das Licht der Welt erblickt.

Eine solche Sauerei dürfte das kürzlich bekanntgegebene Ver.di-Positionspapier „Internet und Digitalisierung – Herausforderungen für die Zukunft des Urheberrechts“ sein, in der die Gewerkschaft zahlreiche Positionen der Verwerterlobby relativ unkritisch übernommen hat.

Verdi fordert in dem Positionspapier, Internetnutzer per „Warnhinweis“ davon abzuhalten, Urheberrechte zu verletzen sowie ein Bußgeld zu verhängen, sollten sie es trotzdem tun. Dazu müsste die Internetnutzung aller Bürger technisch überwacht werden. Internetzensur, Vorratsdatenspeicherung, Jugendschutz auch für Erwachsene, ACTA, Indect … war da was?

Der Gewerkschaft zufolge, entspricht es „einem breiten gesellschaftlichen Konsens und dem Selbstverständnis der Gewerkschaft, dass Rechtsverstöße […] wo immer sie geschehen, zu unterbinden und erforderlichenfalls zu ahnden” wären. Die bereits seit Jahren andauernden heftigen Debatten um längst überfällige Reformen des Immaterialgüterrechts sind an den Ver.di-Funktionären wohl komplett vorbeigegangen. Und das obwohl gewerkschaftsintern bereits seit Längerem ebenfalls recht heftig über dieses Thema diskutiert wird. Kein Wunder, denn bei etwa zweieinhalb Millionen Mitgliedern ist bestimmt auch der eine oder andere dabei, der durch Abmahnbetrug, Rechte-Wirrwarr oder Patentmissbrauch beruflich oder privat bereits geschädigt wurde.

Inhaltlicher „Urheber“ des Pamphlets dürfte der Fachbereich 8 Medien, Kunst, Industrie der Gewerkschaft sein, der bereits in der Vergangenheit (zumindest intern sowie im Gewerkschaftsmagazin „M – Menschen machen Medien“) durch eine recht unkritische Haltung dem Immaterialgüterrecht und der Verwerterlobby gegenüber auffiel.

Dabei gäbe es in dem Papier durchaus auch vernünftige Überlegungen, wie z.B. die Beschränkung der Möglichkeit sog. „Total-Buy-Out“-Verträge mit denen Verlage und Contentverwerter Autoren für ein Taschengeld die gesamten Rechte an einem Immaterialprodukt abnehmen. Jedoch haben gerade die neuen Nutzungs- und Distributionswege im Internet erheblich dazu beigetragen, die Macht der Verlage und Verwerter beträchtlich zu schwächen sowie die Publikationsmöglichkeiten zu demokratisieren. Das wird in dem Ver.di-Papier weitgehend negiert.

So werden z.B. Tauschbörsen und P2P-Netze verunglimpft und Phrasen der Verwerterlobby („Alles-Umsonst-Mentalität“) unreflektiert wiedergegeben, obwohl es gerade die P2P-Technologie war, die es auch kleinen Kreativen ohne Verlagsunterstützung und Label-Promotion ermöglicht audiovisuelle Inhalte schnell und billig zu verteilen, um sich so z.B. einen Nahmen aufzubauen, den man oft haben muss, bevor Geld für die kommerzielle Verwertung z.B. von Songs fließen kann.

Umgekehrt haben sich zahlreiche alte Geschäftsmodelle vor dem Hintergrund neuer Technologien und sozialer Entwicklungen überlebt und ein Festhalten daran wäre ein sicherer Weg in die Insolvenz. Strukturwandel gibt es nicht nur im Bergbau oder der Montanindustrie sondern auch und gerade im Geschäft mit Immaterialgütern.

Die inzwischen wirklich deutlich sichtbaren Kollateralschäden eines völlig verkorksten Immaterialgüterrecht wie z.B. Abmahnbetrug, Forderungen nach Zensurinfrastrukturen („Internet-Stoppschilder“), Internetfilterung, scharfer Providerhaftung und Vorratsdatenspeicherung werden von Ver.di in dem Positionspapier zwar bedauert aber nicht angemessen kritisch gewürdigt. Zum Teil macht sich die Gewerkschaft derlei Forderungen sogar selbst zu Eigen – hallo geht’s denn noch!

Es wird sich sogar dazu verstiegen eine „Solidargemeinschaft der Urheber“ herbeizudelirieren, deren konkrete Repräsentation die Verwertungsgesellschaften sind. Anderseits lehnt Ver.-di die Idee der Kulturflatrate ab, mit der eine neue Art von Verwertungs- und Verteilungsorganisation tatsächlich und aufwandsarm Kreative ein auskömmliches Einkommen bescheren könnte – so diese bereits wären, ihre Inhalte weitgehend freizugeben, so dass eine Pauschalvergütung tatsächlich Sinn machen würde.

Ein lichter Moment wiederum erscheint in dem Papier auf Seite 5 wo die Verfasser immerhin anerkennen, dass DRM und andere Nutzungsbeschränkungstechnologien gescheitert sind, weil sie entweder umgangen werden oder weil niemand bereit ist, für solchermaßen unbrauchbar gemachte Produkte Geld zu bezahlen. Doch die als Kern des Dokuments formulierten Leitgedanken von Ver.di zur Zukunft des Urheberrechts lassen für mich nur den Schluss zu, dass die Verfasser sich irgendwann kurz vor oder nach der Jahrtausendwende inhaltlich aus der Diskussion um Reformen im Immaterialgüterrecht verabschiedet haben. Was es Verwerterlobbyisten natürlich umso leichter machen würde, auf die Unterstützung einer großen Gewerkschaft mit etwa zweieinhalb Millionen Mitgliedern verweisen zu können, indem sie einem kleinen Fachbereich ein Positionspapier vermitteln, dass der Vorstand dann mangels einschlägiger inhaltlicher Kompetenz und aufgrund ansprechend- unklarem Gewerkschaftslingo wohl einfach abnickt.

Ver.di hat sich mit der Publikation dieses Positionspapiers eindeutig pro Internetüberwachung, pro Vorratsdatenspeicherung, pro rechtlicher Manipulation und Repression gegenüber Access-Providern und pro Abmahnbetrug positioniert.

Dies scheinen auch etliche der Gewerkschaftsmitglieder so zu sehen, da innerhalb des Mitgliedernetzes der Gewerkschaft aber auch öffentlich z.B. auf Netzpolitik.org entsprechend heftig und kritisch über dieses Paper diskutiert und kommentiert wird.

Ein Weg um als Ver.di-Mitglied seinen Unmut über diesen tiefen Griff in die sanitären Anlagen zu zeigen, könnte das Verfassen eines entsprechenden Beschwerdebriefes an den Ver.di-Bundesvorstand sein. Seine Adresse:

ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Bundesvorstand
Paula-Thiede-Ufer 10
10179 Berlin
[email protected]

Zusätzlich sollte man Beschwerdemails an den lokalen Ver.di-Bezirk richten. Schon der dadurch entstehende Aufwand sollte gewerkschaftsintern klarmachen, dass hier was grob schiefgelaufen ist und der Korrektur bedarf. Und dass es bessere qualitätssichernde Steuerungsmechanismen geben muss, um solche Fehler künftig zu vermeiden.



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