Ma’ohi nui, in the heart of the ocean my country lies
8DokuWas einst ein Paradies war, gleicht nun einer Toteninsel. Über der idyllischen Landschaft liegt eine gespenstische Stille. Es scheint, als habe die Natur sich weggeschlichen und nur eine leblose Hülle zurückgelassen.
Schatten ihrer selbst sind auch die Menschen, die an diesem bedrückenden Ort zurückgeblieben sind. Annick Ghijzelings beobachtet die Angehörigen des polynesischen Volkes der Ma‘ohi, wie sie mit leerem Blick ausharren und ziellos herumstreifen. Flamboyant heißt der kleine Slum auf Tahiti – ein bizarrer Name für einen Platz, an dem nichts zu gedeihen scheint außer dem übermächtigen Gefühl der Entwurzelung und Resignation. Der stille Schmerz ist Teil des giftigen Erbes des französischen Staats.
Er zwang der Inselbevölkerung seine Sprache und Religion auf und unterwarf die Bevölkerung einer radikalen Verwestlichung, die sie ihrer Sprache, Geschichte und Spiritualität entfremdete. Sein beständigstes Erbe jedoch ist die Radioaktivität. Sie wird das Atoll länger zum lebensfeindlichen Gebiet machen, als es die jahrtausendealte Kultur der Ma‘ohi gibt. „Nuklearer Kolonialismus“ nennt Ghijzelings die multifaktorielle Destruktion der Atom-Tests. Wer in den 90ern aufwuchs, erinnert sich an die Szenen der Detonationen aus den Nachrichten und an das populäre Tag Fuck Chirac. 20 Jahre später scheint das Verbrechen aus dem kollektiven Gedächtnis der Staaten, die es sanktionierten, verbannt. Die Ma‘ohi jedoch können nicht vergessen.
Mit einer eindringlichen Bildpalette zwischen nüchternem Dokumentarismus und visionärem Symbolismus gemahnt die Dokumentaristin an das international ignorierte Schicksal der Ureinwohner. Auf ihnen lastet das Schuldgefühl der Komplizenschaft. Für Frankreich erledigten sie die gefahrvolle Arbeit auf dem Moruroa und Fangataufa Atoll. Das Pacific Experimentation Center führte ein neues Wort in ihre Welt ein: Kontamination. Ein Wort, dessen Verwendung eben jenen Kräften, die es relevant gemacht hatten, untersagten. Laut der Franzosen existierte keine Kontamination. Davon zu sprechen war tabu. Die aufrüttelnde Reportage, durchzogen von mythischen Sinnbildern der Rückeroberung und Rückbesinnung auf eine verlorene kulturelle Identität, markiert einen entschlossenen Bruch mit diesem Tabu.
Regie und Drehbuch: Annick Ghijzelings, Filmlänge: 113 Minuten, gezeigt auf der Berlinale 2018