Lügenpresse und Verschwörungstheorien

Mit der Wahl des Wortes “Lügenpresse” zum Unwort des Jahres hat die Unwort-Jury der aktuell nicht sehr positiven Wahrnehmung der offiziellen Medien ja keinen Gefallen getan – ob das genau die Absicht war oder vielmehr das Gegenteil davon vermag ich selbstverständlich nicht zu sagen. Sicher ist, dass den etablierten Medien das ständige Genörgel an ihrer Berichterstattung ziemlich auf die Nerven geht – wobei die natürlich selbst dran schuld sind, wenn sie immer wieder dermaßen tendenziös berichten, dass wirklich der letzte Depp begreift, dass hier alles andere objektive Berichterstattung geboten wird. Aber Lügenpresse halt die Fresse ist eben auch nicht objektiv.

Aber wozu auch “objektive Berichterstattung”? Die Medien sind dazu da, Meinung herzustellen, und das tun sie. Vor allem sollen es Meinungen sein, die garantieren, dass die Leute bei der Stange bleiben, was unser großartiges politisches und wirtschaftliches System angeht: Da geht fast jede Meinung, solange die Leute Freiheit und Demokratie gut finden. Da darf man auch mal zu einer Pegida-Demo gehen oder Putin-Versteher sein (wäre das nicht auch ein schönes Unwort gewesen?).

Man kann den Hartz-IV-Satz als zu niedrig, die Rüstungsausgaben als zu hoch, die Presse zu tendenziös oder Religion als gefährlich empfinden und das auch laut sagen. Man kann widerlich finden, dass die Bild-Zeitung mit ihrer Hofberichterstattung erst einen farblosen Ministerpräsidenten zum Bundespräsidenten hoch schreibt und ihn später über eine vergleichsweise nichtige Affäre stürzen lässt oder immer wieder findet, dass Mutti doch die beste ist. Man kann sich aber auch die flankierende Schlammschlacht zur neuen Dschungelcamp-Staffel reinziehen oder sich kaum weniger ekelhafte Undercover-Reportagen vom Günter-Wallraff-Team ansehen. Und dank Internet, Blogs und Journalismus 3.0 kann man sich gezielt das heraus suchen, was zum eigenen Weltbild passt: Irgendein “Verschwörungstheoretiker” wird schon schreiben, was man lesen will.

Das wäre übrigens auch ein schönes Unwort gewesen – der derzeitige Gebrauch des Begriffs “Verschwörungstheorie” bzw. “Verschwörungstheoretiker” schert jede abweichende Ansicht über einen Kamm: Alles, was nonkonform ist, also von der Berichterstattung in den etablierten Medien abweicht, wird zur Verschwörungstheorie. Damit kann jede noch so zutreffende Medienkritik ganz einfach in die irrationale Ecke gestellt werden. Und das wird auch getan. Falls man nicht gleich bezahlte Foren-Trolle bemüht, die wahlweise entweder Fabelwesen oder doch ganz nützlich sind.

Dabei ist es natürlich schon so, dass zu allen möglichen Ereignissen tatsächlich eine ganze Menge haarsträubender Blödsinn unterwegs ist und in Foren mitunter heftig getrollt wird – aber genau das, was “Verschwörungstheoretikern” von etablierten Journalisten unterstellt wird, nämlich komplexe Sachverhalte in ihre einfache Weltsicht herunter zu brechen tun sie ja gerade nicht. Im Gegenteil: Sie reagieren höchst empfindlich auf die einfachen Erklärungen und Weltbilder, die ihnen in der offiziellen Berichterstattung bis zum Erbrechen angeboten werden: Vor gut zwanzig Jahren war das “Saddam gleich Hitler”, dann war es “Bin Laden ist der Böse” über “Gadaffi muss weg!” und “Assad muss weg!” bis hin zu “Stoppt Putin!” und ja, auch wenns weh tut: “Wir sind Charlie”.

Im Grunde reagieren sie mit alternativen Verschwörungstheorien auf die offiziellen “Verschwörungstheorien”, mit denen die etablierten Medien ihrerseits die komplexe Welt eben nicht objektiv erklären, sondern in ein schlichtes, auch nach einem langen Arbeitstag noch verdauliches Gut-Böse-Raster sortieren, mit dem der Bürger dann ins Bett geschickt wird, damit er oder sie auch morgen wieder zum Bruttosozialprodukt beitragen kann, sich aber trotzdem informiert fühlt. Böse kann man formulieren, dass das üble Propaganda oder gar Gehirnwäsche sei, wohlwollend kann man aber auch argumentieren, dass das eben eine Dienstleistung ist, die arbeitende Menschen für ihre Zwangs- äh, Haushaltsabgabe von gut bezahlten Medienprofis erwarten können. Es hat halt nicht jeder Zeit und Muße, sich selbst umfassend zu informieren. Es hat auch nicht jeder die Mittel dazu.

Jede Gesellschaft hat die Medien, die sie verdient – was aber nicht heißt, dass man mit dem, was man geboten kriegt, zufrieden sein muss. Weder mit den Medien, noch mit den Verschwörungstheorien, noch mit der Gesellschaft.



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