Rin Takanashi in “Like Someone in Love”
Für Viele ist Woody Allen derjenige Regisseur, der sich filmisch als Liebhaber New Yorks geoutet hat, zugleich aber mit einer kleinen Europa-Tournee durch England, Spanien, Frankreich und Italien seine Liebe zum alten Kontinent bewiesen hat. Etwas ausgedehnter erscheint da der filmische „Urlaub“ des iranischen Regisseurs Abbas Kiarostami. Mit über vierzig Produktionen steht er Woody Allen kaum in seinem Schaffenswerk nach, als aktiver Filmemacher ist er seit 1970 aktiv, hat aber erst 2010 mit Die Liebesfälscher zum ersten Mal außerhalb des Iran gedreht. Von seinem Italienausflug geht es für den Filmemacher nun über den europäischen Raum hinaus weiter nach Japan, wo er für Like Someone in Love mit der bezaubernden Darstellerin Rin Takanashi zusammen gearbeitet hat.
Sie spielt die Soziologiestudentin Akiko, die sich neben ihrem Studium etwas Geld als Callgirl in Tokio hinzu verdient. Ihr Freund Noriaki ist äußerst eifersüchtig, Grund genug ihm nichts von ihrer kleinen finanziellen Nebentätigkeit zu erzählen. Bei einem ihrer Kunden, dem höflichen, bereits in die Jahre gekommenen Soziologieprofessor Takashi, schläft sie vor Müdigkeit sofort ein, was der Rentner eher erleichtert hinnimmt, als darüber verärgert zu sein. Am nächsten Morgen fährt er Akiko zur Universität, wo die beiden auf Noriaki treffen, der Takashi für den Großvater seiner Freundin hält. Der Schein wird aufrechterhalten, nur um Noriaki später umso zorniger die Wahrheit erkennen zu lassen.
Akiko schläft friedlich im Bett ihres Klienten Herrn Takashi (Tadashi Okuno)
Kiarostamis Erzähltechnik basiert hauptsächlich darauf, Reaktionen zu zeigen, während er auf Aktionen verzichtet. Das Kamerabild zeigt nur in den seltensten Fällen was gerade wirklich vor sich geht, konzentriert sich auf Menschen, die auf das Geschehen reagieren. Von der ersten Minute an, wenn Akiko noch in einer schummrigen Bar sitzt, beobachtet die Kamera von Katsumi Yanagijima stillschweigend und stillstehend das Treiben in der Lokalität, während Akiko außerhalb des Bildes mit ihrem Freund telefoniert. Mal setzt sich ihr Chef zu ihr an den Tisch, beginnt parallel zu ihrem Telefonat eine Unterhaltung, mal ist es ihre Freundin oder Arbeitskollegin mit den knallroten Haaren, die in den dunklen Räumen einen Fixpunkt darstellt. Akikos Worte, ob nun am Telefon oder im Gespräch mit ihren Gegenübern hört man immer nur wie aus dem Off kommend, nur ganz selten wechselt der starre Blick die Perspektive auf das Mädchen.
Damit allein schafft Kiarostami es, seine Protagonistin hervorragend zu charakterisieren. Sie reagiert auf die Dinge, die in ihrem Umfeld geschehen, lässt sie fast gänzlich passiv über sich ergehen, zeigt keine Lust am aktiven Handeln. Selbst bei ihrem ersten und einzigen Auftrag des Films, bei dem alten Takashi, schläft sie ein, statt ihm aktiv ihre Dienste zu bieten. Akiko treibt nur durch die Handlung, lässt das Leben geschehen. Ob nun gute Menschen wie der Soziologieprofessor, der einen Ruhepol darstellt und der nicht nur durch eine Falschannahme zur Großvaterfigur für das Mädchen gemacht wird, sondern tatsächlich so wirkt, oder durch den schlechten Einfluss ihres misstrauischen Freunds Noriaki, immer gibt sie sich diesen Gegebenheiten hin, versucht nicht selbst aktiv eine Richtung einzuschlagen. Sie möchte diesen Menschen Folge leisten, ganz so wie es auch ihr Nebenjob als Callgirl von ihr verlangt. Sonderlich glücklich sieht sie dabei nicht aus, unzufrieden scheint sie in dem Großstadtmoloch verloren zu sein.
Rin Takanashi als Akiko in “Like Someone in Love”
Rin Takanashi spielt diese Akiko mit einer verzweifelten, innerlichen Ruhe, die eine beeindruckende Wirkung entfaltet. In ihren Blicken erscheint immer wieder dieser Wunsch auszubrechen, aus diesem Leben, das eigentlich ganz anders sein sollte als es geworden ist. Gerne vergleicht Akiko sich mit anderen Frauen, mit Abbildern, die ein anderes Ich für sie bereithalten. Ein Bild von ihr selbst, dass sie kurz nach ihrer Ankunft in der Metropole Tokio hat machen lassen, zeigt sie im knallbunten, überdrehten Outfit, spiegelt ihre Vergangenheit wieder, von der aus sie ihre Gegenwart definiert. Sie braucht diese Bilder um ihr Leben zu sortieren, um sich als Person zu sehen, weil sie eigentlich gar kein Bild von sich selbst hat, wer sie ist und wo im Leben sie steht.
Ein nicht verstandener Witz über den Akiko dennoch immer wieder lacht wird zum Sinnbild der zu erfüllenden Erwartungen. Sie organisiert ihr Leben nach den Dingen, die von ihr verlangt werden, verliert dabei sich selbst. Wenn Akikos Mutter sie zu Beginn des Films in Tokio besuchen kommt, antwortet sie nicht auf die zahlreichen Nachrichten, die von der Mutter auf der Mailbox hinterlassen werden. Sie tut so, als sei sie nicht da, genauso wie sie nur so tut, den Witz zu verstehen. Ebenso verhält sie sich auch nur wie jemand, der verliebt ist. Zwischen ihrem Dasein als Callgirl und dem stillen, passiven Hilfeschrei an Takashi, an den sie sich klammert um aus ihrem Leben zu entfliehen, und der Beziehung zu ihrem gar nicht so sehr geliebten Freund, zeigt Akiko ein wahres Talent darin, immer nur so zu tun als ob.
Like Someone in Love entfaltet in seiner ersten Hälfte seine fast schon hypnotisierende Faszination durch die ruhigen, langen Blicke – das Innenleben der Bar in Tokio und die anschließende Taxifahrt Akikos durch die Stadt, wandelt sich in seiner zweiten Hälfte zu einem Beobachtungsspiel zwischen Sein und Schein, gipfelt in einem Ausbruch, der ebenso wenig im Bild geschieht, wie es im Rest des Films der Fall ist. Und ausgerechnet dieses Nichtsehen ist durchaus sehenswert.
”Like Someone in Love”
Altersfreigabe: ab 6 Jahren
Produktionsland, Jahr: F / J, 2012
Länge: ca. 109 Minuten
Regie: Abbas Kiarostami
Darsteller: Rin Takanashi, Tadashi Okuno, Ryô Kase
Kinostart: 27. Februar 2014
Im Netz: peripherfilm.de/likesomeoneinlove
Bilder © Peripher Filmverleih