Vor wenigen Tagen wurde meine 19-Jährige Tochter zu einem ihrer besten Freunde gerufen, sie kennt ihn seit der ersten Klasse. Akuter Fall von Liebeskummer. Es ist später Abend, sie zögert keine Sekunde, saust auf dem Fahrrad zu ihm. Sie kennt diesen unverdünnten Schmerz, hat den ersten Meltdown des Herzens bereits erlebt und verwunden.
„Wenn so was auch sehr weh tun kann, man stirbt nicht gleich daran“, singt Vicky Leandros in ihrem Chanson „Ich liebe das Leben“ ... das Karussell wird sich weiter drehn (...). Aber.
Verlassen werden, verlassen sein, der Moment in dem die Gefühlswelt in die Zeit „mit dir und die Zeit danach“ geteilt wird, setzt der Liebeskummer ein und man kann sich nicht vorstellen, je wieder glücklich zu sein. Niemand, der oder die es erlebte, wird mir wiedersprechen wollen. Stunden, Tage, Wochen, Monate und für manche sogar Jahre verstreichen, bevor man diesen Einschnitt verwindet und in die Beziehungsbiografie eingeordnet hat, wieder unbeschwert aufwacht und nicht als Erstes „an den anderen denkt“. Es ist ein intensives Gefühl, neben der Trauer vielleicht das intensivste. Es setzt Kräfte frei, kreative und zerstörerische, hingebungsvolle, hoffnungsvolle, leidvolle.
Oft habe ich Menschen in ihrer pursten Form erlebt, wenn sie von Liebeskummer geschüttelt wurden. Weil ihre Liebe nicht erwidert oder sie verlassen wurden. Es stirbt immer eine Illusion. Manchmal haucht eine starke Liebes-Beziehung ihre Existenz aus, ohne jedoch im Schicksalslauf an Bedeutung zu verlieren. Auch wenn wir das im Epizentrum des Kummers nicht wahrnehmen können. Der Seelen-Schmerz entfaltet seine Kraft, sogar eine Mission. Und ja, es fühlt sich nicht nur so an: Wir sterben einen kleinen Tod. Verabschieden die Hoffnung mit dem Anderen die ewige Liebe zu leben, die vielleicht stärkste Illusion der Menschheit neben der Unsterblichkeit. Denn während wir intensiv leben, verdrängen wir meist die Tatsache, dass wir endlich sind, sterben werden. In der Liebe agieren wir ähnlich, wir glauben (immer wieder) fest daran, dass wir dieses mystische Gefühl, die intensive Erotik, diese Sehnsucht festhalten, konservieren, sogar beherrschen können. Weil uns die Liebe in Sicherheit wiegen kann und wir uns fallen lassen dürfen. Pläne schmieden und uns in der Beziehungs-Dynamik aufgehoben und optimistisch fühlen können - wenn es gut läuft. Wenn dann aber langsam, manchmal auch plötzlich, kleine Brüche zum großen Bruch führen, ist einer der zwei Liebenden in der vermeintlich schwächeren Position. Der Mensch mit Liebeskummer. Ausnahmezustand. Aus Liebeskummer kann Lebenskummer werden, „we almost fall apart and burn up easy“ (Adele 21).
Ein Trunk, eine Arznei gegen Liebeskummer existiert nicht, die eigene Seelen-Kraft ist gefordert, sie verwandelt Schmerz in Erkenntnis, schickt uns auf innere Reisen, lässt uns irgendwann auferstehen. Unterstützung in dieser Zeit der Transformation geben uns Menschen, die uns ihr Mit-Gefühl schenken. Nachts unseren Tränen lauschen, uns unermüdlich beim Singsang der 1724-faltigen-Warum-Warum-Warum-Klage zuhören und geduldig wiederholen: das wird wieder, du wirst erneut lieben können. Dein Herz wird genesen. Du wirst wieder küssen wie beim ersten Mal und auf den Schwingen der Liebe fliegen. Du wirst ein anderer Mensch als zuvor sein. Aber du wirst lieben, schließlich ist sie die stärkste Energie von allen. Einfach unsterblich.
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