Lange Zeit hatten sie so nebeneinander hergelegen.
„Er bemerkt mich gar nicht!“ dachte die Gabel,
„Wir Gabeln sind halt doch nur so krumme Dinger.Aber das Messer ist immer so geradeheraus!“
Die gute Gabel konnte doch nicht ahnen, dass das Messer längst ihren Rundungen erlegen war.
„Ich bin ganz scharf auf sie!“ hatte das Messer dem Löffel gestanden,
mit dem es vor dem Essen immer herumalberte. Ja, nach dem Essen, wenn sie alle in der Abwasch lagen, und die Gabel gerade nicht hinhörte, erzählten Messer und Löffel einander schmutzige Witze.
Anhand eines besonders zähen Stücks Rindfleisch waren die beiden einander eines Tages doch noch näher gekommen. Das Messer strich liebevoll und immer wieder an der Gabel vorbei, ganz nahe, bis die Gabel wieder mit einem Fleischstückchen nach oben geführt wurde. Dann blinkte ihr das Messer verträumt nach.
Es waren Momente gediegener Zärtlichkeit: das Messer sah so schnittig aus und die Gabel stand auf des Messers Schneide.
Eines Tages aber wurden die beiden gekreuzt übereinander auf den Teller gelegt. Das Messer kam oben zu liegen und wollte die Situation benutzen. Die Gabel aber wehrte sich und gab dem heissen Drängen nicht nach. "Ich fühle mich so - benutzt!" stöhnte sie.
Seit diesem Augenblick war das Messer wie ausgewechselt.
„Stocher doch nicht so blöd herum!“ knurrte es jetzt des öfteren zur Gabel, und die Gabel dachte:“ Er beginnt mich zu schneiden. Und dabei haben wir alles miteinander geteilt!“
Seitdem sind sie wieder ein ganz gewöhnliches Besteck: sie liegt links, er rechts vom Teller, nach dem Essen liegen sie nebeneinander auf dem Teller und sind eiskalt wie Stahl...
Herr Ober, sie können jetzt abräumen!
Diese Geschichte finden Sie neben vielen anderen Gedichten auf der CD
Thomas Hettche