Liebe #Kritiker: Schreiben über #KabarettEin Leit(d)-Faden

Liebe #Kritiker: Schreiben über #KabarettEin Leit(d)-Faden Liebe Kritiker: Schreiben über Kabarett. Ein Leit(d)-Faden

Es hat sich herumgesprochen, dass Kabarett, als die Bühnenform der Satire, eine ernstzunehmende Kunstform ist. In diesem Fall stimmt die alte Floskel nicht, dass Kabarett in Deutschland allenfalls so gut ist wie seine Kritker: ES IST BESSER! Nach 40 Jahren intensivem Studium von Kritiken über Kabarett-Aufführungen ergibt sich folgender Leit(d)-Faden, der Ihren Genuss an Kabarett-Gastspielen noch steigern könnte.

1. Versuchen Sie bitte nicht witziger zu sein als der Künstler. Geht meistens schief.

2. Ihr Ehrgeiz, sämtliche Pointen aus dem Programm in Ihrer Rezension unter zu bringen, beschädigt Ihre eigene Leistung, obwohl das für Ihr Zeilenhonorar sicher ergiebig ist.Schon in der Schule war Abschreiben nicht erlaubt.

3. Die Crux jeder Kritik ist, dass sie einem Ereignis hinterherläuft, dass in der Vergangenheit liegt. Die Kunst des Schreibens liegt darin, dem Leser-Publikum die Aura, den geistigen Kern einer Aufführung, die Botschaft, den Nachklang zu vermitteln. Eleganter Stil tut der Sache übrigens keinen Abbruch.

4. Hier noch eine Bitte an abgebrochene ( so heißt das, glaube ich, in Deutschland) Germanistik-Studenten, die von den Kulturredaktionen ebenso bevorzugt wie Lehrer und Volkshochschule-Dozenten ins Kabarett geschickt werden. Sie haben gerade entdeckt und beigebracht bekommen, wie Literatur zu funktionieren hat. Das wollen Sie aller Welt mitteilen, kommt aber arg schnöselig rüber. Respektlosigkeit macht blind für ein angemessenes Urteil. Der Kritiker steht nicht über der Sache, sondern ist Teil des Prozesses der Wechselwirkung zwischen Kunst und Rezeption.

5. Vergeuden Sie Ihre Zeit nicht damit herauszufinden, ob eine Pointe neu, oder eventuell schon aus dem Fernsehen bekannt ist. Das einzige Kriterium ist, ob die Pointe angebracht ist, ob sie ins Schwarze trifft.

6.Besonders beliebt unter Rezensenten ist den einen Künstler gegen den anderen auszuspielen. A ist schärfer als B, B ist aktueller als C, C ist linker als D usw. Das wirkt zwar informiert, ist aber nicht informativ.

7.Besonders weit klaffen die Meinungen über Parodien auseinander. Der allgemeine Grundfehler besteht darin, das Parodie mit Imitation gleichgesetzt wird. Die Parodie ist aber eine satirisch überhöhte Form der Imitation, im besten Fall denkt der Parodist die gemeinte Person in Gestik, Mimik und Handlungstendenz weiter. Ob das gelingt, wäre vom Kritiker zu überprüfen, und nicht, ob eine Figur 1:1 getroffen ist.

8.Je nachdem, wie sympathisch Ihnen der Künstler ist, schreiben Sie, dass der Saal GUT BESUCHT oder HABLEER war. Wir durchschauen Sie.

9.Eine gute Rezension wie jede Geschichte zeichnet sich durch einen einladenden Aufhänger, eine Dramaturgie der Spannung ( und nicht des nacherzählenden Dahinplätscherns) aus, und durch einen originellen Schluss. Bemerkungen wie, dass das Publikum heftig gelacht und geklatscht hat, sind irgendwie abgedroschen.

10. Zu jeder Kabarett-Aufführung gehören nicht nur der Solist oder die Gruppe,sondern die kreative Hand, die für die Bühnen-Umsetzung zuständig ist, also ein Regisseur. Während es bei Theater-Aufführungen üblich ist, seitenweise über den Regisseur und nur absatzweise über die Künstler zu reflektieren, findet im Bewusstsein der Kabarett-Kritik Regie nicht statt. Das spricht nicht gegen die Regie, aber gegen die Rezensenten, die offenkundig ignorieren, welche gestalterische Leistung im Rahmen eines Kabarett-Programms nicht nur vom Künstler, sonder auch von der Regie erbracht wird.


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