„Ja hallo, ich möchte gerne Spendendosen bestellen, damit ich für die Menschen in Japan sammeln kann“, so die jugendliche Stimme am Telefon. Die Dreifachkatastrophe in Japan, nachdem ein schweres Seebeben einen Tsunami auslöste und das Atomkraftwerk Fukushima beschädigte, war gerade einmal drei Tage her. Nils, Fünftklässler der Gemeinschaftshauptschule Neunkirchen-Seelscheid, hatte im Schulunterricht über die Ereignisse in Japan gesprochen, und nun stand für ihn fest: Er musste etwas unternehmen, um den betroffenen Menschen zu helfen. Er erstellte mit seiner Mutter eine Infomappe und kam auf die Idee, einen Kuchenbasar zu organisieren. Schnell konnte Nils nicht nur seine Mitschüler, sondern auch seine Klassenlehrerin und die Schulleiterin von seiner Idee überzeugen.
Auch die Eltern seiner Mitschüler unterstützten sein Vorhaben. In seiner Klasse wurde dann ein Projekttag zu den Ereignissen in Japan veranstaltet. Erdbeben, Tsunami, Atomenergie – das waren die Themen. Aber auch über die Arbeit von Hilfsorganisationen wie CARE wurde gesprochen. Eigentlich ging es ihm nur darum, einen kleinen Beitrag zur Hilfe für die Betroffenen zu leisten. Für seine Mutter war aber noch etwas ganz anderes wichtig: Nils traute sich, die Dinge in die Hand zu nehmen, sich auch gegen Widerstände durchzusetzen und an seinem Plan festzuhalten. Das ist keine Selbstverständlichkeit, schon gar nicht für einen Elfjährigen.
turbo-abi und dann noch engagiert?
Eigentlich ist Nils als Hauptschüler ein eher untypischer Unterstützer: An Gymnasien und auch Gesamtschulen ist das außerschulische Engagement deutlich stärker ausgeprägt, so zeigt es zumindest die Statistik. Dieser Trend setzt sich im Erwachsenenalter fort. Rund ein Drittel der Bevölkerung mit Abitur und Universitätsabschluss ist regelmäßig freiwillig tätig, unter den Bürgern mit Volksschulabschluss ohne Lehre sind es lediglich neun Prozent. Laut einer Emnid-Studie engagiert sich jeder vierte Bundesbürger ehrenamtlich, das Freiwilligensurvey von TNS Infratest spricht sogar von mehr als einem Drittel Engagierter, hinzu kommt ein weiteres Drittel Menschen, die am Ehrenamt zumindest Interesse haben. Bürgerschaftliches Engagement bildet seit jeher eine tragende gesellschaftliche Säule in Deutschland, die eigentliche Überraschung aber lautet: Der Trend ist keineswegs rückläufig, unter Kindern und Jugendlichen ist das Interesse am Engagement weiterhin ungebrochen – und das in Zeiten von Turbo-Abitur und verkürzten Studienzeiten, die immer weniger Zeit und Raum für das Leben außerhalb des Hörsaals lassen.
Lernen oder Gutes tun? Tatsächlich stehen dem sozialen Engagement von Kindern und Jugendlichen die gestiegenen Leistungsanforderungen zunehmend im Weg. Dabei ist die Förderung des Engagements gerade von jungen Menschen besonders wichtig, wie Eva Maria Antz von der Stiftung Mitarbeit erläutert: „Erfahrungen und Untersuchungen zeigen: Wer sich später im Leben engagiert, hatte in der Regel schon als Jugendlicher ein Engagement. Deshalb ist es von enormer Wichtigkeit – für die Einzelnen wie auch für unsere Gesellschaft – , dass Menschen schon in ihrer Jugend Engagementerfahrungen machen können.“
mitmachen, kümmern, heLfen: auf dem LehrPLan
Die Bonner Marie-Kahle-Schule hat einen Weg gefunden, Leistung und Engagement miteinander zu verbinden: „In unserer Schule sollen sich alle wohlfühlen und achtsam miteinander umgehen. Wir wollen an unserer Schule ein Lebensfeld gestalten, in dem Verantwortungsbewusstsein, gegenseitiger Respekt, Höflichkeit und Toleranz die Grundlage für gemeinsames Lernen und vertrauensvolle Zusammenarbeit sind“, so heißt es in der Schulcharta. Dass dies keine leeren Floskeln sind, zeigt der Schulalltag im Bonner Norden. Mobbing-Prävention und das Buddy-Prinzip – „Aufeinander achten. Füreinander da sein. Miteinander lernen” – gehören ebenso dazu wie die Partnerschaft mit einem Schulprojekt von CARE in Sambia und die Beschäftigung mit der jüdischen Geschichte der Stadt Bonn. Und selbst-verständlich ist die Marie-Kahle-Gesamtschule Inklusionsschule, in einer „integrativen Lerngruppe“ lernen fünf Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichem Förderbedarf gemeinsam mit 20 Regelschülern. „Engagiert man sich für andere, für sich selbst oder für eine gute Sache, lernt man alles, was man braucht, um sich die Welt zu erschließen. Durch eigenes Engagement lernt man nicht für das Leben – das ist das Leben. Deshalb lehren wir Engagement“, erklärt die Schulleiterin Sabine Kreutzer. Dem Gymnasium Alleestraße in Siegburg hat der langjährige Einsatz für Entwicklungsthemen nun den Titel „Schule der Zukunft“ eingebracht. Lohn für viele Jahre des Engagements, das ganz wesentlich von der Afrika-AG getragen wird. Von Niger über Kenia bis Sambia reicht die Unterstützung aus Siegburg,mehrmals schon besuchten afrikanische CARE-Mitarbeiter die Schule und berichteten von den Lebenswelten in ihren Ländern: So wird Entwicklungszusammenarbeit lebendig. Auch am Gymnasium im bayrischen Olching wird einiges dafür getan, das schulische Engagement zu fördern. Zu Beginn eines jeden Schuljahres treffen sich die Schülerinnen und Schüler mit Ämtern und besonderen Aufgaben zu einer mehrtägigen Klausur – und werden dafür vom Unterricht freigestellt. Neben der Schülermitverwaltung SMV sind hier auch Streitschlichter und Tutoren dabei – alles in allem rund 80 Kinder und Jugendliche, die sich in irgendeiner Form an der Schule engagieren. Verena Büllesbach ist eine der Aktiven: „Ob SMV, Tutoren, Sanitäter oder Zirkus: Engagement wird bei uns an der Schule vielseitig unterstützt, gerade weil es ein Bewusstsein für Hilfsbereitschaft und soziales Miteinander schafft. Für mich bedeutet es, Interesse an alternativen Themen zu zeigen und einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.“
offLine oder onLine? für den zweck oder für die organisation?
Auch nach der Schulzeit bieten sich viele Möglichkeiten für ehrenamtliches Engagement. Etwa bei den Aktionskreisen von CARE, die es in mehreren deutschen Großstädten von München bis Berlin gibt. Sie unterstützen die Informations- und Bildungsarbeit von CARE an Ständen, bei Veranstaltungen und Kampagnen. „Uns ist wichtig, dass sich alle Ehrenamtlichen mit ihren unterschiedlichen Interessen und Fähigkeiten bei uns einbringen können. Nicht umsonst sind wir eine bunt gemischte Truppe Engagierter jeden Alters“, erzählt Volker Kreutzer vom Aktionskreis Bonn. Doch gerade jüngere Leute scheuen immer mehr feste Zugehörigkeiten und langfristige Bindungen. Sie wollen sich engagieren, ohne sich auf eine bestimmte Organisation oder Initiative festzulegen, und das auf möglichst zeitgemäße Weise. Genauso, wie das soziale Leben zunehmend online stattfindet, verlagert sich auch das Engagement zunehmend ins Netz: Kampagnenseiten wie avaaz.org oder campact.de bieten die Möglichkeit, sich per Mausklick zu engagieren. Mitmach-aktionen im „echten Leben“ gibt es weiterhin, aber die Teilnahme an einem Flashmob ist für viele Jugendliche ungleich reizvoller, als einen Großteil des Wochenendes am Info-Stand in der Fußgängerzone zu verbringen. Initiativen wie „Gemeinsam für Afrika“ und „Deine Stimme gegen Armut“ haben sich diese neuen Methoden längst zu eigen gemacht und ihre Öffentlichkeitsarbeit vom Mief der altmodischen Flugblattaktionen befreit. „Um die Öffentlichkeit wirklich zu erreichen, setzen wir verstärkt auf ungewöhnliche Aktionen: Mit Sprühkreide und Leichenumriss auf der Straße – wenn solch eine Aktion mit einer politischen Message verbunden ist und sogar die Presse vorbeikommt, ist das spannend und gleichzeitig wirksam“, so Anke Scheid, die für den Verband VENRO die Kampagne „Deine Stimme gegen Armut“ koordiniert. Andere Jugendliche wollen sich schlicht thematisch nicht festlegen und betätigen sich als „Springer“ für alle möglichen Initiativen – Hauptsache ist, es geht dabei immer um die gute Sache.
Für Organisationen wie CARE ist das weniger Fluch als Segen. Einer der wichtigsten Partner des Münchner Aktions-kreises von CARE etwa ist die Initiative „Hannes München“, deren Mitglieder bereit sind, fast jeden guten Zweck zu unterstützen: „Wann immer wir Zeit haben, sind wir mit von der Partie – solange wir den Zweck der Aktion für sinnvoll erachten. Auch Helfer benötigen ab und an Unterstützung und wir von ‚Hannes München‘ möchten durch unseren Beitrag etwas bewegen. Uns am Herzen liegt es aber ebenso, auch darüber zu sprechen, wenn man etwas Gutes getan hat!“, so Timmy Stretz von „Hannes.München – bewegt etwas“. Die Teilnahme an großen Events wie dem München Marathon oder dem Tollwood Festival wären für den ehrenamtlichen CARE-Aktionskreis alleine kaum zu stemmen gewesen.
engagement zähLt – auch monetär!
In welcher Form auch immer, freiwilliges Engagement trägt zu einem beträchtlichen Teil des Bruttoinlandsproduktes bei. Eine Studie von Betterplace Lab beziffert ihn für Deutschland auf mehr als vier Prozent beziehungsweise 89 Milliarden Euro jährlich. Kein Wunder, dass der Staat dieses Engagement erheblich fördert. Immer mehr Kommunen und Regionen führen die sogenannte Ehrenamts-Card ein, die engagierten Bürgerinnen und Bürgern Ermäßigungen bei Veranstaltungen, in öffentlichen Einrichtungen und im öffentlichen Nahverkehr bietet. Für entwicklungspolitisch Interessierte reichen die Angebote vom Schulaustauschprogramm ENSA über das ASA-Programm für Studierende bis hin zu weltwärts, das Jugendlichen nach dem Schulabschluss einen Aufenthalt in einem Auslandsprojekt ermöglicht. Mehr als 150 Nichtregierungsorganisationen beteiligen sich derzeit an weltwärts. All diese Inlandsangebote sind seit kurzer Zeit in einer neu geschaffenen Service-Agentur des Bundes gebündelt, die sich nicht umsonst „Engagement Global“ nennt. Sie soll als zentrale Anlaufstelle rund um entwicklungspolitisches Engagement in Deutschland fungieren – nicht nur, aber ganz besonders auch für junge Menschen wie Nils, Verena oder Timmy.
was aber treibt sie aLLe an?
Die Antwort ist so einfach wie plausibel: „je nachdem“. Forscher sagen, dass viele Freiwillige keineswegs aus rein altruistischen Motiven handeln, vielmehr erwarten auch sie einen „Return on Engagement“, also einen Gegenwert für die geopferte Zeit und Hingabe. Der allerdings kann höchst unterschiedlich aussehen.
Während ältere Engagierte gesellschaftliche Anerkennung und soziale Kontakte suchen, so ist für viele jüngere Menschen soziales Engagement schlicht Bestandteil eines vernünftigen Karrieremanagements. Engagement steht für die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und teamfähig zu sein und schult die Fähigkeit, Projekte umzusetzen. Darum macht sich ehrenamtliches Engagement heutzutage gut im Lebenslauf. Laut einer Umfrage von UNIVERSUM ist dieser Aspekt für Top-Arbeitgeber heutzutage gleichbedeutend mit den Studienleistungen der Bewerber. Am Ende aber – und das gilt für alle – geht es doch „um den Spaß an der guten Sache“, wie Eva Dohle vom Berliner Aktionskreis bestätigt: „Ich engagiere mich im CARE-Aktionskreis, weil wir unser Engagement selbst gestalten. Wir setzen die Aktionen um, die uns Spaß machen und die wir für sinnvoll halten. Dabei passiert immer etwas Überraschendes und Schönes. Meistens sind das gute Gespräche mit interessierten Menschen oder Kinder, die sich riesig freuen, wenn sie ein kleines CARE-Paket oder einen Schlüsselanhänger bei unserem Glücksrad gewinnen. Ihr Interesse und ihre Freude motivieren mich.“ Aus Nils, dem eifrigen Spendensammler für Japan, ist zwei Jahre später ein versierter Ehrenamtler geworden. Er engagiert sich aktiv im DLRG und organisiert die Spieleausleihe an seiner Schule – ein Angebot, dass es ohne das Engagement von Schülern nicht geben würde. Seine besondere Begeisterung aber gilt der Jugendfeuerwehr, wo er es mittlerweile zum Gruppensprecher gebracht hat. Man kann mit Fug und Recht sagen: dort wo es brennt, dort ist Nils.
Wollt Ihr euch engagieren? www.care.de/mitmachen
Aus: care_affair / care.de