Einen privaten Aufenthalt im südostindischen Bundesstaat Tamil Nadu nutzte ich für einen beruflichen Abstecher beim Auroville Earth Institute, beheimatet im südlich von Chennai gelegenen internationalen Zukunftsstadt-Projekt Auroville. Dort betreiben der französische Architekt Satprem Maini und sein Team mit großem persönlichen Einsatz eine Fortbildungs- Forschungs- und Produktionsstätte zum Lehmbau. Hier werden Architekten, Ingenieure und Studierende aus vielen Nationen aber auch Handwerker aus der Region in Theorie und Praxis des Bauens mit Lehm geschult.
Institutsleiter Satprem Maini (li.) erläutert die Planungen für den Schulneubau
Nachdem ich im Rahmen eines privaten Indien-Besuchs eine gute Woche Zeit gehabt hatte, mich auf das entspannt-chaotische südindische Alltagsleben einzustellen und die dem westlichen Termindenken diametral entgegengesetzte Lebensweise schließlich ganz und gar verinnerlicht hatte, fand ich in der “Zukunftsstadt” Auroville Strukturen vor, die so gar nichts mit dem zwischen Lässigkeit und Improvisation pendelnden tamilischen Alltag gemein haben.
Entspannt-chaotisch: Straßenszene in der südindischen Stadt Tirukazukundram
Dazu muss man wissen, dass das Projekt Auroville schon per definitionem durch eine singuläre Inselsituation gekennzeichnet ist: Auroville wurde 1968 im Bundesstaat Tamil Nadu mit Unterstützung der UNESCO als internationale Projektstadt gegründet. Die Bewohner, die aus aller Welt kommen, versuchen dort die Idee von einer “universellen Stadt” zu verwirklichen. Religionsunabhängige Spiritualität, ein nachhaltiges, ökologisch orientiertes Gemeinwesen und die Ideale des Karma Yoga, das sich als “Yoga der (selbstlosen) Arbeit” versteht, spielen eine zentrale Rolle im Selbstverständnis der Aurovillianer. Die für 50.000 Bewohner geplante Stadt wird heute von knapp 2500 überwiegend jungen Menschen aus aller Herren Länder bewohnt. Die meisten von ihnen sind aktiv in einem der zahlreichen Entwicklungsprojekte vor Ort eingebunden.
Wahrzeichen Aurovilles: das zentrale Gebäude “Matrimandir”
Der Empfang beim Auroville Earth Institute (AEI) war ausgesprochen herzlich. Neben Institutsgründer und-Leiter Satprem Maini begrüßten uns der einheimische Bauingenieur T. Ayyappan, im Institut zuständig für Technik, Forschung und Lehre sowie die am Massachusetts Institute of Technology (MIT) ausgebildete amerikanische Architektin Lara Davis, Expertin für Gewölbe-Konstruktion und maßgeblich an der Ausbildungsplanung des AEI beteiligt. Gemeinsam bilden die drei das aktuelle “Herz” des Instituts. Satprem Maini, französischer Architekt mit algerischen Wurzeln kam 1989 vom Internationale Zentrum für Lehmbau, CRATerre, nach Auroville. Die Entwicklung des AEI zu einem weltweit anerkannten Kompetenz-Zentrum in Sachen Lehmbau fußt zu großen Teilen auf seiner langjährigen Arbeit und seinem unermüdlichen persönlichen Einsatz. Maini ist zudem Repräsentant Asiens beim UNESCO-Lehrstuhl „Earthen Architecture“.
Lehmbau-Projekte des Auroville Earth Institute
Die Arbeit des Instituts umfasst im Wesentlichen drei Aspekte: die Realisierung zahlreicher (Lehm-)Bauvorhaben innerhalb des weitläufigen Stadtgebiets von Auroville, die Entwicklung, Erforschung und Optimierung erschwinglicher und energieefizienter Lehmbau-Technologien unter Berücksichtigung regionaler Begebenheiten sowie die Vermittlung der entwickelten Technologien an Studierende und Planer aus aller Welt aber auch an Handwerker aus der Region. Die Lehre und Wissensvermittlung in Lehmbau-Seminaren hat sich in den letzten Jahren zum wichtigsten Aktivposten in der Arbeit des AEI entwickelt. Bemerkenswertes Detail im Ausbildungs-Konzept: die deutlich ermäßigten Teilnahmegebüren für ambitionierte Handwerker aus der Region werden über die Beiträge der Teilnehmer mit akademischem Background aus wohlhabenden Industriestaaten gegenfinanziert. Diese unterstützen damit das erklärte Ziel des AEI, die einheimische Bevölkerung zu ertüchtigen, mit vorhandenen Ressourcen und aus eigener Kraft erschwinglichen Wohnraum zu schaffen.
Schwerpunkt Wissensvermittlung: Studierende im Auroville Earth Institute
Bei unserer Ankunft brüten trotz Mittagshitze Studenten eines Lehmbau-Theorie-Moduls über ihren Laptops und Planungsunterlagen. Diese Lehmbaukurse finden das ganze Jahr über statt. Die Studiengebühren der Teilnehmer sind Haupt-Einnahmequelle des Instituts. Da die Zahl der Bewerber regelmäßig die räumlichen und personellen Kapazitäten übersteigt, ist in 2014 der Baubeginn für eine umfassende Erweiterung der Schulungsräume geplant. Bauplanung und Erschließung des Baugeländes sind abgeschlossen, wie Satprem Maini anhand entsprechender Dokumente erläutert. Auch wenn viele der anstehenden Arbeiten am Schul-Erweiterungsbau von den Kursteilnehmern im Rahmen ihrer Praxisausbildung ausgeführt werden können, sind Maini und sein Team zur vollständigen Umsetzung der ambitionierten Planungen auf Spenden in erheblichem Umfang angewiesen. Spendenwillige können sich per E-Mail in englischer Sprache an das Institut wenden: [email protected].
Von Kursteilnehmern zusammengetragen: Erdproben aus aller Herren Länder
Nach der Vorstellung des Schulerweiterungs-Projekts führt uns T. Ayyappan durch verschiedene Abteilungen des Instituts. Der Ausstellungsbereich dokumentiert anhand zahlreicher Exponate und Bilder die unterschiedlichen Projekte, die das Team des AEI in den vergangenen fast 25 Jahren hier in Auroville realisieren konnte. Dazu finden interessierte Besucher historische Fundstücke zum Lehmbau sowie eine umfangreiche Sammlung von Erd-Proben, die von Studierenden aus aller Welt hier zusammengetragen wurde. In einem Bereich des Freigeländes testen Instituts-Mitarbeiter die Möglichkeit, den bisher für die Lehmstein-Produktion als Zuschlag genutzten Flußsand durch recyceltes Material aus der Granit-Verarbeitung zu ersetzen. Das von der indischen Regierung aus ökologischen Gründen erlassene Abbauverbot für Flußsand machte die Suche nach Alternativen notwendig. Unser Begleiter berichtet, dass es, nach ersten Fehlschlägen, mittlerweile vielversprechende Erfolge mit dem recycelten Material gibt. Einige Meter weiter noch ein interessantes Exponat: ein kleines Fachwerk-Haus, dessen Ständerwerk aus Bambus gefertigt ist, die Gefache sind teils mit (Bambus-)Wickelstaken und Lehmbewurf, teils mit Lehmsteinen ausgefacht.
Handbetriebene Lehmstein-Presse
An eine Vorführung der Lehmstein-Produktion mittels einer mit Muskelkraft betriebenen Presse schloss sich dann noch eine Fahrt zu verschiedenen Lehmbau-Referenzprojekten im Stadtgebiet Aurovilles an. Am stärksten ist mir dabei ein viergeschossiges mehrteiliges Mehrfamilienhaus-Ensemble in Erinnerung geblieben: Dort wurden sämtliche verwendeten Lehmbaustoffe aus dem Aushub der Baugrube gewonnen – nachhaltiger geht es nicht. Zum Abschluss gab es die Gelegenheit, eine Vorlesung Satprem Mainis im Institut zu besuchen. Nach einem langen, warmen südindischen Wintertag – Winter heißt: knapp 30 statt gut 40 Grad Celsius bei hoher Luftfeuchtigkeit – war nun, um fast 18 Uhr, bei den Lehrgangsteilnehmern noch einmal Konzentration gefragt. Das stark französisch eingefärbte und nicht immer ganz leicht zu verstehende Englisch des Institutsleiters schien jetzt fast didaktisch beabsichtigt: genaues Hinhören war unumgänglich, um dem faktengesättigten Vortrag über die Errichtung eines Lehmstein-Kuppelbaus nebst statischen Erläuterungen folgen zu können.
Vollständig aus dem Aushub der Baugrube errichtet: 4-stöckiges Mehrfamilienhaus-Ensemble in Lehmbauweise
Fazit: Mit ihrem durchdachten Bildungskonzept gelingt es Satprem Maini und seinem Team, die Idee nachhaltigen Bauens mit vorhandenen natürlichen Ressourcen nach innen wie außen zu stärken: Im Lehmbau geschulte indische Handwerker wirken als Multiplikatoren im eigenen Land, Lehrgangsteilnehmer und -Teilnehmerinnen aus aller Welt geben die gewonnenen Erkenntnisse in ihrem jeweiligen akademischen Umfeld weiter oder bringen den Lehmbau als als Planer und Ausführende voran. Fleiß und Konsequenz, mit denen das AEI-Team unter schwierigen klimatischen Bedingungen Tag für Tag ein beachtliches Arbeitspensum realisiert, sind beeindruckend. Im Vorfeld meiner Reise hatte ich nach Satprem Maini gegoogelt und war dabei auf eine Beschreibung gestoßen, die ich später nicht mehr wiederfinden konnte. Da hieß es, Satprem sei nicht nur Lehmbau-Experte sondern auch eine Kapazität in der Lehre des Yoga. Als ich Lara Davis danach frage, lacht sie einmal mehr ihr gewinnendes Lachen und erklärt: “Yes, if you mean the Yoga of Work…”