Lebenslagen in Deutschland: Pressefeigheit statt Pressefreiheit

In Sachen Journalisten-Bashing und Medien-Beschimpfung habe ich Gesellschaft bekommen. Die Journalisten (offenbar gibt es doch noch ein paar Profis, die ihren Job ernst nehmen) Hans Jürgen Arlt und Wolfgang Storz stellen in ihrer jüngst veröffentlichten Studie Portionierte Armut, Blackbox Reichtum fest, dass bei der Berichterstattung über die Vermögensverhältnisse in Deutschland Pressefeigheit statt Pressefreiheit herrscht.

Arlt und Storz haben untersucht, auf welche Weise und wie intensiv die Politik- und Wirtschaftsredakteure von vier ausgewählten Tageszeitungen mit ihren Kommentaren das Thema Reichtum und Armut behandeln. Dabei konzentrierten sie sich auf die vier Tageszeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAS), Süddeutsche Zeitung (SZ), die Berliner Zeitung und den ebenfalls in Berlin erscheinenden Tagesspiegel. Außerdem wurde im Zeitraum zwischen dem dritten und dem vierten Lebenslagenbericht der Bundesregierung die gesamte Berichterstattung in Der Spiegel und Die Zeit analysiert.

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Süddeutsche ihre Berichterstattung selbst mit drei Buchstaben charakterisiert.

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Süddeutsche ihre Berichterstattung selbst mit drei Buchstaben charakterisiert.

Dabei stellten sie fest, dass Themen wie Reichtumsexplosion, Verarmung, Prekarisierung oder soziale Ungleichheit durchaus behandelt werden, gerade beim Stichwort Reichtum aber eine merkwürdige Leere herrscht: Es wird in der Berichterstattung der deutschen Medien völlig ausgeblendet, woher der offensichtlich vorhandene Reichtum überhaupt kommt, wer darüber verfügt und was wer damit anfängt. Keinem Redakteur fällt beispielsweise ein, zu fragen, was die Reichen denn mit ihrer ungeheuren Macht anfangen, die ihnen ihr Reichtum verleiht. Und auf die Idee, im Zusammenhang mit Reichtum mal Fragen nach Chancengleichheit oder gar einer Verpflichtung der Besitzenden gegenüber der Gesellschaft zu stellen, kommt ein solcher Redakteur erst recht nicht, selbst wenn er über die Privilegien der Besitzenden lamentiert, die deshalb aber allenfalls als Lifestyle-Phänomene abgehandelt werden.

Das Thema Armut hingegen wird mit durchaus Sorge begleitet, aber nicht als Ganzes thematisiert, sondern so portioniert, dass Armut nur bestimmte Gruppen zu betreffen scheint, etwa Kinderarmut, Altersarmut, die Armut alleinerziehender Mütter oder von Migranten. Daraus ergibt sich, dass die vorgeschlagenen Lösungen für die jeweiligen Betroffenen mit den eigentlichen Problemen nichts zu tun haben: Eine bessere Ausbildung, mehr Angebote für die Kinderbetreuung oder flexiblere Arbeitszeiten für Eltern ändern schließlich nichts daran, dass gerade Frauen und Ausländer oft nur schlecht bezahlte Jobs bekommen, von denen weder sie noch ihre Kinder vernünftig leben können.
Erschreckend ist auch, dass von den deutschen Medienleuten kaum einer auf die Idee kommt, dass es zwischen der auffälligen Vermehrung des Reichtums der einen und der zunehmenden Armut der anderen einen Zusammenhang geben könnte. Dabei hat die Postbank es mit einem Werbeslogan schon vor Jahren auf den Punkt gebracht: “Wer arbeitet, hat keine Zeit, Geld zu verdienen.”

Zugegeben: Reichtum ist diskret. Reichtum ist Privatsache, eine persönliche Angelegenheit, über die man nicht spricht. Natürlich haben Reiche ein vitales Interesse daran, dass das so bleibt. Wenn es doch jemand wagt, diesen sensiblen Bereich anzusprechen, wird er als Neider entlarvt und schnell mundtot gemacht. Welcher etablierte Journalist will es sich schon mit den Reichen verscherzen?

Statt dessen wird die Fiktion des Leistungsprinzips aufrecht erhalten und unverdrossen das Mantra wiederholt, dass man die Eigeninitiative der Leute durch zu viel staatliche Unterstützung untergrabe, auch wenn es zweifellos Menschen gibt, die unverschuldet in Schwierigkeiten geraten sind. Denn im Gegensatz zum Reichtum ist Armut öffentlich: Die ganzen Penner, Flaschensammler und Mülltonnenwühler in den deutschen Städten sind ja kaum zu übersehen. Ihr Schicksal wird aber nicht als Folge der herrschenden Zustände thematisiert, sondern als persönliches Pech dargestellt.

Obwohl ja auch mathematisch unbegabte Lohnschreiber kapieren müssten, dass es einfach ein Fakt ist, dass einer begrenzten Anzahl an bezahlten Arbeitsplätzen eine deutliche Überzahl potenzieller Bewerber gegenüber steht, so dass es bei aller individuellen Anstrengung immer Leute geben muss, die leer ausgehen. Die dann wiederum arm sind und deren Armut der Erpressung derer dient, die sich fragen, warum sie eigentlich für einen Hungerlohn arbeiten gehen. Denn das ist immer noch besser als Hartz IV, soviel ist klar.

Genauso klar müsste aber doch eigentlich sein, dass Armut wegen und nicht trotz des vorhandenen Reichtums entsteht. Genau das wird aber in den deutschen Medien weder thematisiert noch analysiert. Hier müsste doch jeder halbwegs funktionierende Journalist sofort die Frage stellen, warum das verdammt noch mal so ist. Aber offenbar ist die vierte Gewalt längst hirntot.



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