Laufgeschichten: Langer Lauf & etwas Retro

RETRO RUNNING DAY

Der letzte wirklich lange Lauf stand an – wie immer gäbe es nach so einem drei-stündigen Lauf unendlich viele Geschichten zu erzählen, aber in Kürze geschah Folgendes: 36.2km nach 3:08h, Trinken und Gel mitgehabt (man lernt ja dazu), Vertrauen eines Hundes im Rückwärtsgang erlangt, Lauffreunde getroffen und spontanes Fachgesimpel als Pause genutzt, interessanten Weg raus aus dem Industriegebiet gefunden, zur Erkenntnis gekommen, dass der Marathon wieder einmal kein Spaziergang werden wird, den allerletzten Kilometer allen Retrorunnern gewidmet und danach keinen Finger mehr bewegt. 

Der Laufabsatz

Mittlerweile seit fünf Tagen quälen mich Halsschmerzen ohne sonstige Symptome wie Fieber und Schnupfen fehlen bis heute, was eigentlich nur den Schluss zulässt, dass sich der jährlich endlos hinziehende Heuschnupfen endgültig einschleicht. Eine gute Nachricht, bis auf die Begleiterscheinungen Augenjucken, Nesselsucht, Niesanfälle und was sonst noch dazu gehört. Also beschloss ich meinen letzten langen Lauf in diesem Monat anzugehen.

In Sachen Accessoires habe ich schon einmal den Ernstfall simuliert – ich muss mich an alle Kleinigkeiten erst gewöhnen. Startnummernband und Bauchtäschchen in das ein ganzer Picknickkoffer Platz findet, machen mich verrückt, also fallen sie immer weg, aber ich setzte zumindest schon einmal Sonnenbrille und Cap auf, denn es könnte ja regnen oder auch die Sonne scheinen. Beides tat es gestern nicht. Stattdessen Einheitsgrau und Wind; die Brille wurde zum Pollenschutz und das Cap schützte auf der letzten Hälfte vor dem Auskühlen.

Ich lief allein, ohne motivierendes Radio und Fahrradbegleitung, trottete vor mich hin und bog hier und da auf neue Wege ab, irgendwie musste man ja die drei Stunden vollbekommen. Kurz vorher kommentierte ich noch bei ‘ultra ist gut’, dass mir in ihrem aktuellen Artikel die einsame Landstraße irgendwie seltsam bekannt vorkam, so mit den Bäumen links und überhaupt. Kurz darauf war ich auch schon auf meiner Version unterwegs.

Mir entfloh ein Kreischen, als plötzlich ein Hund aus der Böschung vor mir hoch sprang. Rechts über das Feld sah ich die weniger sportlichen Besitzer mit wedelnden Armen mir entgegen rennen. Mir fiel es schwer einzuordnen, wen sie meinten – den Hund oder mich. Hunde sind ja in Ordnung, große Hunde auch, aber dieser, der war riesig. Aber natürlich wollte er nur spielen und mein Zeitmesser lief unbeeindruckt weiter, also ich auch. Spontan schloss sich der Hund meiner Runde an, die Besitzer rannten nun uns beiden hinterher. Schnell waren wir hier und da abgebogen, was mir etwas ungeheuerlich vorkam. Also versuchte ich nun auch, den Hund zu bändigen. Nach 25km in den Beinen nicht ganz unanstrengend.  Wie gesagt, er wollte nur spielen. Es gab kein Herankommen, also bewegte ich mich ganz langsam rückwärts immer näher, bis der Hund zum Glück entschied sich endlich hinzusetzen und mit mir auf seine Familie zu warten.

Der Verpflegungsabsatz

Nicht nur nach dieser Aktion, sondern allgemein viel es mir etwas schwer mein Tempo zu finden, irgendwie war es immer um die 5min/km aber mal viel zu schnell, mal zu langsam und dann erst dieser Gegenwind der mich auf der zweiten Hälfte erbarmungslos quälte. Das zehrte an den Kräften, die sich aber einigermaßen mit meinem Fläschchen Tee und Gel aufbauen ließen. Ich trank ab km 15 regelmäßig ein paar Schluck und nahm das Gel in zwei Portionen nach 18 und 26km zu mir. Endlich scheine ich eins gefunden zu haben, das mein Magen nicht Wellen schlagen lässt. Vielleicht lag es aber auch am Baby-Fenchel-Tee.

Der Hunger blieb dieses Mal ebenso wie die absolut mürrische Stimmung des letzten Mals auf der Strecke, was sicher auch der guten Verpflegung vor dem Lauf geschuldet war. Zwar gab es morgens nur einen Obstsalat und diverse Matcha Latte, aber das wirkliche Highlight in Form einer zuckerfreien Nascherei gab es kurz vor dem Lauf: Mandel-Aprikosen-Grapefruit-Toffee. Das Rezept dazu habe ich bei ‘Green Kitchen Stories’ gefunden. Es ist absolut vegan, glutenfrei, ohne zusätzlichen Zucker und Fett zusammengestellt. Die geballte Kraft aus Mandeln und Aprikosen.

Der Mädchenabsatz

Bevor ich diesen riesigen Hund antraf, begegnete ich ein paar Hundewelpen und innerlich konnte ich mir einfach eine Vielzahl von ‘Uh’s, ‘Ah’s, ‘nein wie süß, so süß, unglaublich süß’ mit entsprechendem ‘Ich will haben’-Gefühl nicht verkneifen. Selbiges lösten die vielen Kirsch- und Apfelblüten und die Frühblüher aus, während ich meinen Schritten auf den unterschiedlichen Untergründen tapsend zuhörte.

Mein pinkes Schuhwerk, die Puma Faas 800, passten hervorragend zum tristen Wetter und wir freundeten uns immer mehr mit einander an. Nicht zuletzt wegen der Farbe. Meinen Cadence musste ich eine kleine Auszeit gönnen, die waren letzte Woche im Dauereinsatz.

Der Fachgesimpel Absatz

Schon fast zu Haus angekommen, nur noch endlos erscheinende fünf Kilometer und der Zufall greift ein. Statt wie geplant durch den Wald zu schlürfen, zog ich Asphalt vor und lief auf einem Gehweg, der mich schnurstracks an Lauffreunden vorbeiführt. Eine so willkommene Abwechslung! Kurzes Fachgesimpel über das richtige Tapering, über ihre Wettkämpfe am kommenden Wochenende im Spreewald und auf dem Flughafen Schönefeld, meiner Windangst am Marathontag, wenn es immer am Wasser entlang geht und der Frage, warum ich eigentlich vorwärts laufe. Der Retro Running Day hatte sich also bis ins kleine Marienfelde herumgesprochen! Dann ging es kurz darauf auch schon auf die letzte Biegung Richtung Heimat.

Der Retro Running Day Absatz

Jeden einzelnen Kilometer sah ich zum Ende hin auf meiner Pulsuhr herunterrattern und unendlich erleichtert, dass ich nun das machen konnte, worauf ich seit 35km gewartet habe: Rückwärtslaufen. Viele haben mitgemacht, Videos gedreht, Fotos geschossen und ihre Geschichten über das Rückwärtslaufen erzählt.

Leider war mir mein persönlicher Fotograf abhanden gekommen und das Wetter nicht Kleidchen tauglich, also hängte ich direkt an den langen Lauf einen ganzen Kilometer rückwärts hinten an, den ich dem RETRO RUNNING DAY widme. Ein Segen für die Beine und den Rücken – alles, was mich beim Vorwärtslaufen so gequält hatte – die hinteren Oberschenkel, der Rücken, der Hintern – war direkt etwas entspannt und ein Gefühl des Lockerseins stellte sich ein. Wenn das Wetter besser gewesen wäre und mein Bildermacher da gewesen wäre, hätte ich mit Sicherheit mein original Replica N.Y. Knicks Kleid und meine uralt Asics Mexico 66 Senkers getragen. Aufgeschoben bis zum nächsten Jahr!

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