Was ist Freiheit eigentlich? … Anregung zum Nachdenken über einen Begriff
Ich bin überzeugt davon: Jede/r von uns ist mit dem Drang zur Freiheit geboren. Dies ist in jedem Menschen angelegt. Es ist uns von der Natur so gegeben worden. Man schaue sich nur einmal in derselben um. So weit zumindest mir bekannt ist, gibt es nichts in der Natur, was auf dem Prinzip Unfreiheit basiert. Ein Gastbeitrag von Anja Neumann
Vielen von uns wird dieser Drang nach Freiheit – der ja im Grunde nichts anderes ist als der Drang zur Entfaltung dessen, was die Natur in uns angelegt hat – bereits von klein auf aberzogen, ja teilweise regelrecht wegdressiert oder in gewünschte Bahnen gelenkt. Manchem von uns aber bleibt der Drang danach erhalten.
Nun wird uns hierzulande in der x-ten Generation seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erzählt, wir lebten in einer Demokratie, wenn auch freilich einer repräsentativen. Aber immerhin Demokratie. Über den Ursprung und den Inhalt des Begriffs Demokratie wurde in den letzten Wochen, ja Monaten, schon sehr viel geschrieben seit weltweit hunderttausende Menschen mit dem Slogan „Echte Demokratie Jetzt“ auf die Straße gehen und für eine Rückbesinnung auf demokratische Werte demonstrieren.
Wenig bis gar nicht wird bisher allerdings der Begriff der Freiheit behandelt, darüber was er beinhaltet und was es uns heute bedeutet, frei zu sein. Meist steht dieses Wort einfach so im Raum, ohne jede nähere Erklärung. Jedoch: Es sind die beiden großen Werte, um die sich gegenwärtig alles dreht: Demokratie und Freiheit.
Was also genau ist nun Freiheit?
Warum eigentlich fordern wir heute mehr Freiheit, wo wir doch in einer „freien Welt“ leben? Wenigstens erzählt man uns dies, und unsere Eltern und Großeltern hatten wohl auch den Eindruck, dass dies tatsächlich der Fall sei. Aber ist das heute wirklich noch so? Oder bekommen wir hierzulande nicht seit Jahren mehr und mehr das Gefühl von Beklemmungen, fühlen uns eingeengt und, ja, unfrei? Warum aber ist dies so? An welcher Stelle wurde uns die Freiheit genommen bzw. immer weiter eingeschränkt?
Während des Studiums saß ich in einem Seminar zum Freiheitsbegriff. Es wurde die Frage danach gestellt, was genau wir denn meinten, wenn wir nach der Freiheit fragen. Dabei stellt sich die Frage nach der Freiheit wovon (negative Freiheit) und der Freiheit wozu (positive Freiheit). Die damaligen Antworten darauf habe ich heute bereits vergessen. Jedoch ist mir die Frage danach bis heute im Gedächtnis geblieben. Und sie stellt sich mir immer wieder neu. Und heute dringlicher denn je.
Also fragen wir doch einmal tatsächlich nach, wovon wir heute frei sind und wozu.
Das Beispiel Arbeit. Wie sieht die heutige Arbeitswelt konkret aus?
Sind wir beispielsweise in der heutigen Arbeitswelt wirklich frei zu entscheiden zu tun, was uns sinnvoll erscheint? Oder werden wir nicht immer stärker zu Entscheidungen gedrängt, die wir eigentlich nicht wollen und die auch weit reichende Folgen für unser Leben haben? Und ist dies noch mit dem Begriff Freiheit zu vereinbaren?
Haben wir wirklich (noch) die Freiheit zu arbeiten, was wir gerne arbeiten wollen - und damit auch das, was wir am besten können? Denn meistens ist das, was uns wirklich Freude macht, mit dem identisch, wofür wir auch begabt sind. Ist mithin die Berufsfreiheit, die uns gesetzlich garantiert ist, tatsächlich noch gegeben? Und falls ja: Verfügen ALLE Mitglieder der Gesellschaft über diese Freiheit? Gibt es tatsächlich eine Chancengleichheit? Oder wurde diese nicht viel mehr fast unmerklich, aber zunehmend in den letzten Jahren immer weiter eingeschränkt?
Wir diskutieren seit der Einführung von „Hartz IV“ gelegentlich gerne über Zwangsarbeit, und meinen damit Formen des Zwangs zur Arbeit, durchgesetzt mit gewaltsamen Mitteln, wie es einst nur in diktatorischen Regimen möglich war.
Heute erzählt man uns, wir hätten die freie Wahl unseres Berufes, unserer Ausbildung und unseres Arbeitsplatzes. Aber ist das wirklich noch der Fall? Und zwar für alle Mitglieder unserer Gesellschaft? Oder gibt es nicht immer mehr Mittel und Wege, wodurch mehr und mehr Menschen regelrecht dazu gezwungen werden, eine Arbeit aufzunehmen (oder eine Ausbildung zu beginnen, bzw. unter Umständen sogar darauf zu verzichten), die weder ihren Neigungen entspricht, noch sogar ihren Fähigkeiten, nur damit sie überhaupt Arbeit haben. Denn Arbeit scheint der zentrale Wert in dieser Gesellschaft zu sein, paradoxerweise um so stärker, je mehr sie sich verflüchtigt … Arbeit, die oft unter unwürdigen Arbeitsbedingungen stattfindet (Stichwort Prekarität in seiner ganzen Tragweite) … Oder die gezwungen sind, durch ihre Arbeit Entwicklungen mitzutragen oder sogar mitzugestalten, die ihnen widerstreben?
Viele Menschen sind heute in Arbeitsverhältnissen beschäftigt, von deren Entlohnung sie nicht einmal selbst leben, geschweige denn eine Familie ernähren können. Und dies nicht allein in den so genannten niedrig qualifizierten Berufen, sondern quer durch alle Berufe und Branchen, ob niedrig- oder hochqualifiziert. Formen der Deregulierung, Flexibilisierung, Arbeitszeitverdichtung und ähnlichen Maßnahmen kommen noch hinzu.
Welche Auswirkungen hat diese Arbeitswelt auf uns? Wie fühlen wir uns damit?
All diese Entwicklungen, die wir in den letzten Jahren schleichend in unseren Arbeitsalltag haben einziehen sehen, führen dazu, dass immer mehr Menschen an ihrem Arbeitsplatz mehr oder weniger unglücklich sind; einen Arbeitsplatz den sie eigentlich mit Freude ausfüllen würden, wenn da nicht diese sich immer mehr gegen sie richtenden Rahmenbedingungen wären. Viele Menschen haben das Gefühl, sich nicht mehr mit ihrer Arbeit identifizieren zu können. Diese Menschen haben infolgedessen das unklare Gefühl, ausgenutzt und/ oder gar ausgebeutet zu werden, viele leisten dann häufig nur noch Dienst nach Vorschrift, fühlen sich ausgelaugt, ohne so richtig zu wissen, wovon. Manche reagieren ihren Frust darüber an anderen Menschen ab, viele kündigen einfach innerlich, brennen aus oder werden auf eine andere Weise krank.
Sieht so also unsere Freiheit aus? Wozu sind wir hier frei? Und wovon? Oder sind wir nicht viel mehr in höchstem Maße zunehmend entfremdet in unserer Arbeit, von uns selbst und dem, was wir eigentlich leisten möchten und könnten, von unserem Drang nach Entfaltung also, von unserem Freiheitsdrang?
Wir wissen oft nicht mehr, wozu das gut sein soll, was wir mit unserer Arbeit tun, und tun das in der Regel nur, weil wir das Geld benötigen zum Leben, das wir für diese Tätigkeit bekommen. Und sind doch eigentlich recht unglücklich damit.
Arbeitslosigkeit und prekäre Arbeitsverhältnisse – die persönlichen Folgen
Menschen, die aufgrund der Wechselfälle des Lebens aus ihren Arbeitsverhältnissen herausfallen, erleben, dass sie unter einem immer größer werdenden Druck stehen. Es ist kaum mehr möglich, von dem, was umgangssprachlich Hartz IV genannt wird, mehr als nur notdürftig zu existieren und während dessen auch dauerhaft seine „Arbeitskraft“ zu erhalten.
Aber noch viel schlimmer ist: Das interessiert auch niemanden mehr. Viele Menschen sind schlicht „überflüssig“ geworden. Und man lässt es sie auch spüren, nicht ohne sie dabei auch noch zu drangsalieren, mit zumeist sinnlosen Auflagen und Anforderungen, während sie jedoch immer weiter verarmen. Die Arbeitsstellen, zu denen diese Menschen aus dieser Position heraus gedrängt werden, sind mehrheitlich alles andere als geeignet, um sie aus dem Strudel der Armut zu befreien. Oft geraten Menschen lediglich von einer unbeschäftigten Armut in eine beschäftigte Form von Armut, da sie den kargen „Lohn“ auch noch durch ergänzende Leistungen oder eine Zweitbeschäftigung aufstocken müssen.
Hinzu kommt: Arbeitslose und prekär Beschäftigte sind nicht nur überflüssig bzw. ersetzbar, sondern werden in den Medien sozusagen „zum Abschuß“ freigegeben. Gemeinsam mit Migranten oder Menschen „mit Migrationshintergrund“ – auf dass sich der Mob an diesen austoben kann, wenn er aus Wut über die eigene Betroffenheit – die er ja oft genug tatsächlich fühlt, ohne aber exakt ergründen zu können, wo die Ursachen liegen – einen Schuldigen sucht.
Sind wir also wirklich frei? Stellen wir doch einmal die Frage am Beispiel der Arbeitswelt: Wovon genau sind wir hier frei? Oder wozu?
Wo liegt also im Ergebnis der Unterschied…
… ob wir mit den Mitteln sichtbarer Gewalt gezwungen werden, etwas zu tun, was wir eigentlich nicht tun wollen und nicht von uns aus und freiwillig mittragen (bspw. weil wir es für nicht sinnvoll oder sogar für schädlich halten)
… oder ob dies mit Mitteln von auf den ersten Blick nicht sichtbarer Gewalt geschieht? (z.B. mit dem Zwang aus ökonomisch bedingtem Druck auf den Einzelnen)
Haben wir also wirklich die Freiheit, die wir wollen und zur Entfaltung unserer Selbst benötigen? Und von der wir (bisher) glaubten, sie würde von der „westlichen Welt“ garantiert werden?
Ist dies überhaupt möglich: Freiheit unter kapitalistischen Bedingungen?
Johan Galtung, der große norwegische Friedensforscher, hat schon Anfang der 1970er Jahre den Begriff der „strukturellen Gewalt“ geprägt, den ich nach wie vor für gültig halte und der sich hier anwenden lässt. Die Gewalt, die von solchen ökonomisch begründeten Abhängigkeiten wie denen in der Arbeitswelt ausgeht, für den Einzelnen wie für die Gesellschaft, könnte man heute dort eingliedern bzw. ergänzen.
Die Arbeitswelt ist dabei nur ein Beispiel unter vielen, mit denen wir tagtäglich konfrontiert sind. Und die wir beschreiben könnten, wenn wir uns einmal die Mühe machten, darüber nachzudenken. (Also lasst es uns doch tun! Denken wir darüber nach!)
Was wäre denn die Alternative?
Um den Fokus der Betrachtung einmal umzudrehen: Haben wir uns schon einmal überlegt, wie es besser wäre? Welche Arbeitsbedingungen, welcher Rahmen, auch der gesetzliche, wäre(n) denn die besseren und sinnvolleren, für alle Beteiligten? Und wie wäre diese Umgestaltung zu erreichen? Welches Umdenken ist im Vorfeld nötig, welche Umstrukturierungen oder gar Systemveränderungen? Lasst uns diese Art von Fragen stellen! …und dann auch Antworten darauf suchen.
Was schließlich Demokratie mit Fragen und Antworten zu tun hat…
Wenn von den gegenwärtigen Demokratiebewegungen die Rede ist, so wird diesen oft von den Mainstream-Medien vorgeworfen, es gäbe keine Forderungen. Dabei stehen die übergeordneten Forderungen doch klar im Raum: eine Rückbesinnung auf Demokratie bzw. eine Neudefinition derselben. Und damit mehr bzw. tatsächliche Freiheit.
An konkreten Forderungen, die diese untermauern, fehlt es bislang tatsächlich noch. Aber sind solche konkreten Forderungen wirklich jetzt schon nötig? Kommt es nicht zunächst auf etwas anderes an?
Es gibt eine Zeit des Aufbruches, da reicht es vorerst aus zu sagen: Es reicht! Wir tragen das hier nicht mehr mit! Wir wollen einen Reset und einen Neubeginn! Wir lehnen ab, was so nicht mehr funktioniert, und zwar weil in diesem System die Menschen sinnlos zerrieben werden, anstatt ihrer natürlichen Bestimmung folgen zu können. Und auch weil die Zeit für eine Erweiterung des Freiheitsbegriffes reif ist, der Drang aus der Gesellschaft nach Umsetzung derselben immer größer wird.
Doch wird es irgendwann auch Zeit, sich zu überlegen, was denn an die Stelle des Status Quo treten soll. Was und wie es neu zu entwickeln und zu organisieren ist.
Und in diese Phase treten wir jetzt ein. Wir sollten uns daher aktiv Fragen stellen, Fragen über unsere Arbeitswelt zum Beispiel, Fragen über das, was Freiheit eigentlich ausmacht.
Ohne die richtigen Fragen wird es keine neuen Antworten geben. Es kommt auf die richtigen Fragen an. Diese sind der Schlüssel, nicht unbedingt immer die Antworten, denn Antworten können je nach Lage der Dinge immer wieder unterschiedlich ausfallen. Sie sind nicht fix, sondern dynamisch und situationsgebunden. Fragen dagegen sind universeller Natur. Man kann sie immer wieder neu stellen. Ja, man muss dies sogar immer wieder tun. Denn nicht mehr zu fragen bedeutet Stillstand.
Machen wir uns daher auf, die richtigen Fragen zu stellen und dann auch, die aktuellen Antworten auf unsere Fragen zu suchen. Die Fragen jedenfalls tragen wir längst alle in uns. Die Antworten werden wir hoffentlich gemeinsam finden, in einem demokratischen Prozess, den wir ebenfalls gerade dabei sind, neu zu entwickeln.
Der Artikel erschien im Original auf dem Blog von Anja Neumann
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