Langzeitstillen

Vorgestern hat Emmas Wunderwelt den Beitrag Langzeitstillen. Ein Geständnis veröffentlicht, der auf Twitter auf rege Resonanz stieß. Dabei wurde deutlich, dass Langzeitstillen zwar sehr verbreitet ist, kaum eine Mama jedoch in ihrem persönlichen Umfeld eine andere Langzeitstillende kennt oder Verständnis, Anerkennung und Wertschätzung dafür erfährt. Das deckt sich zum Teil (glücklicherweise nicht komplett) mit meinen eigenen Erfahrungen, die ich heute mal zusammenfassen möchte.
Vorweg: ich glaube, kaum eine Frau (mich eingeschlossen) plant, Langzeitstillende zu werden. Meist ergibt sich das aus der Situation, dass das Kind entweder keinen Brei essen möchte, sich am einfachsten durch die Brust trösten lässt, nicht anders einschläft oder Mama und Kind viel Zeit zusammen zuhause verbringen. Wenn beide Seiten damit glücklich und zufrieden sind, wird es eben so lange praktiziert, bis das Kind sich entweder selbst abstillt oder eine Seite (meist die Mama) nicht mehr will.
Ich habe meinen Großen 20 Monate gestillt, und die Kleine (jetzt 19 Monate) stille ich noch morgens und nachmittags/am frühen Abend nach ihrem anstrengenden Kitatag. Das hätte ich mir in der ersten Schwangerschaft nie vorstellen können. Ich ging davon aus, dass sich das Stillen im Zuge der Breieinführung langsam ausschleicht. Das heißt, dass ich es tatsächlich vorher nur als Form der Nahrungsaufnahme angesehen habe, nicht als Trost, Beruhigung, Wärme, Nähe, zur-Ruhe-kommen. Glücklicherweise hatte ich nie Bedenken, dass das Stillen nicht klappen könnte, und es funktionierte ja auch wunderbar.
Der Start war allerdings holprig. Nach der Geburt des Großen litt ich unter entsetzlichen Rücken- und Kopfschmerzen, möglicherweise als Nachwirkung der PDA, und musste in den ersten Tagen zahlreiche Untersuchungen über mich ergehen lassen. Beim Röntgen wurde mir ein Kontrastmittel gespritzt, von dem sich im Nachhinein herausstellte, dass es nicht stillkompatibel war, so dass ich drei Tage lang abpumpen und mein Baby mit einer Spritze füttern musste. Ich war völlig verzweifelt und beklagte mich bitter in der Klinik, zumal ich vor dem Röntgen extra wegen der Stillfreundlichkeit des Kontrastmittels nachgefragt hatte. Nach diesen drei Tagen war das entwürdigende Abpumpen (verbunden mit dem Wegschütten der Muttermilch) für mich nie wieder ein Thema. Da mein Großer von Geburt an sehr unruhig war und viel geschrien hat, wäre das Nuckeln sicherlich das einzig Gute in seinen ersten Lebenstagen gewesen. Dies blieb ihm nun leider verwehrt. Da das Stillen aber in den ersten beiden Tagen gut geklappt hatte, hoffte ich, daran anschließen zu können. Es hat dann allerdings bei unserem 2. Stillstart fast 24 Stunden gedauert, bis mein Baby sich wieder ans Stillen gewöhnt hatte. Das war für mich wirklich eine emotionale Zitterpartie. Ich war so froh, als er es wieder "konnte".
Bis auf die üblichen Stillprobleme (viele Milchstaus, schmerzende Brustwarzen, wochenlanges Clusterfeeding etc.) spielten wir uns ganz gut ein und es tat dem Großen sichtlich gut. Ich empfand es als sehr freiheitsberaubend und einschränkend, aber ich habe nie daran gezweifelt, trotzdem weiterzustillen. Da mein Sohn aus keiner der vielen von uns ausprobierten Flaschen trank, blieb mir auch keine andere Wahl. Die Beikosteinführung mit 6 Monaten schritt langsam voran und wir stillten tatsächlich immer weniger. Als dann das abendliche Einschlafstillen nicht mehr funktionierte, sondern er danach immer noch getragen werden wollte, beendete ich es mit 13 Monaten und fortan brachte der Papa ihn ins Bett. Das morgendliche Stillen hatte ich kurze Zeit vorher weggelassen. Und als er mit 15 Monaten seinen umwälzendsten Schub hatte, der den Nachtschlaf betraf, wurde auch das nächtliche Stillen überflüssig. Wenn er noch nachts wach wurde, haben wir ihn durch Tragen/ Schaukeln wieder in den Schlaf geleitet. Die charakteristischen "letzten" Stillmahlzeiten waren also alle verschwunden.
Aber eine neue war hinzugekommen, die sich auch als längste und letzte Stillmahlzeit halten sollte: das nachmittägliche "Kita-Verarbeitungs-Stillen". Der Große hatte mit 13 Monaten seinen Kitastart, der alles andere als optimal verlief. Darüber ein andermal mehr. Er fühlte sich furchtbar unglücklich, hatte extremen Trennungsschmerz und akzeptierte die neue Situation nicht. Es begann dann relativ schnell, dass er nach der Kita unbedingt stillen wollte. Erst verstand ich gar nicht, was er wollte, hatten wir doch das Tagstillen schon längst abgeschafft. Dann wehrte ich mich, weil ich unser fast schon gelungenes Abstillen nicht gefährden wollte. Aber es gab keine Chance. Er wollte und brauchte es so sehr, dass ich nachgab und ihn täglich nach der Kita stillen ließ. Es hat ihm und mir so gutgetan. Man muss dazu sagen, dass er weder Schnuller noch irgendwelche Übergangsobjekte als Tröster akzeptierte. Wenn er seine "Bu" bekam, war er glücklich und konnte die für ihn sehr schwierige Kitasituation hinter sich lassen. Und ich habe das Stillen eigentlich erst dann so richtig genossen, als es offensichtlich nicht mehr zur Nahrungsaufnahme diente, sondern Trost, Nähe und Kuschelei war.
Zu dem Zeitpunkt war ich schon mit der Kleinen schwanger und machte mir viele Gedanken, wie das mit dem Stillen und der Schwangerschaft gehen würde und vor allem, wie lange noch. Auf keinen Fall wollte ich ihn zwingen, aufzuhören. Doch manche Probleme lösen sich von ganz allein. Im 4. Schwangerschaftsmonat, er war 20 Monate und 1 Tag alt, hatte mittlerweile die Kita gewechselt und fühlte sich dort viel wohler, stillte er zum letzten Mal nachmittags. Er verlangte nie mehr danach und ich hatte auch keine Schwierigkeiten, weil plötzlich keine Nachfrage mehr war. Es war für alle Beteiligten ein optimales, wunderschönes Stillende.
Natürlich sah man sich hin und wieder verständnislosen oder kritischen Nachfragen ausgesetzt. Dies aber meiner Erinnerung nach eher vor dem 1. Geburtstag des Großen. Danach fragte einfach kaum noch jemand, ob ich noch stille, weil es anscheinend für viele so ungewöhnlich ist. Ich bin damit auch nicht hausieren gegangen, habe aber Nachfragen ehrlich beantwortet. Kritische Bewertungen habe ich selten direkt gehört, am ehesten kam "durch die Blume" etwas zurück. Zum Glück gab es eine Freundin, die mit ihrer gleichaltrigen Tochter noch zuhause war und die auch noch bzw. länger als ich stillte. Die beiden stillten z.B. auch mit 2 Jahren nachts noch alle 2 Stunden, als unser ehemaliger Schlechtschläfer schon zu 80% durchschlief. Auch mein Mann stand zu jeder Zeit hinter mir, machte nie eine negative Bemerkung und vertraute ganz auf mich und den Großen. Diese Unterstützung war unglaublich wertvoll für mich.
Bei der Kleinen war ich wesentlich entspannter, was die voraussichtliche Stilldauer angeht. Die Stillsituation mit ihr war von Anfang an sehr schön. Kräftezehrende Clusterfeeding-Phasen fehlten völlig, sie stillte weniger und kürzer und ich habe es genossen. Bei ihr waren wir vor das Problem gestellt, dass sie überhaupt keinen Brei essen wollte und wir sie deshalb nach dem Beikoststart mit 6 Monaten mit kleinen Häppchen fütterten, von denen naturgemäß nicht viel im Magen landete. Das Stillen war also viel länger als beim Großen ihre Hauptnahrungsquelle. Da ich wieder tageweise arbeiten ging, als sie 8 Monate alt war, und dafür 6 Stunden außer Haus war, hatte ich schon Sorge, ob sie das gut übersteht. Aber sie trank Wasser mit dem Papa, kaute auf Häppchen herum und holte sich nach meiner Rückkehr einfach ihre Ration. Als sie mit 12 Monaten in die Kita kam, wurde sie tagsüber noch mehrfach gestillt. Kita und Stillen war für mich nie ein Widerspruch, und es ist schlichtweg Quatsch, dass man vor dem Kitastart abstillen sollte.
Im Moment stillen wir noch morgens im Bett und nachmittags nach der Kita. Beides braucht sie zur Zeit noch. Das nächtliche Stillen wurde durch ihre große Nachtschlafverbesserung mit 16 1/2 Monaten unnötig. Das abendliche Einschlafstillen ist seit 4 Wochen weggefallen, als sie ihren schlimmen Magen-Darm-Virus hatte und ich sie abends wegen des massiven Erbrechens nicht mehr stillen wollte. Also in der umgekehrten Reihenfolge als beim Großen. Interessante Erfahrung. Das nachmittägliche "Kita-Verarbeitungs-Stillen" scheint dringend nötig zu sein; sie wird genau wie der Große damals sehr ungehalten, wenn man es ihr verwehren will. In letzter Zeit schaut sie mich öfter ein wenig ungläubig an, wechselt dann die Brust, schaut wieder und sagt manchmal "alle, alle". Ich vermute, dass die Milchproduktion langsam zur Neige geht. Wir werden sehen, wie lange unsere Stillbeziehung noch anhält. Ich genieße die letzten Augenblicke.
Über's Langzeitstillen schreiben u.a. auch immer wieder die Blogs Geborgen Wachsen, Herzmutter, Mamis Blog, Die gute Kinderstube und Mama Winter. Auf dem Blog Geschichte der Säuglingspflege wurden vor kurzem Erfahrungsberichte zum Stillen nach dem 1. Geburtstag gesucht, was auf rege Resonanz und immense Beteiligung stieß. Es ist also doch verbreiteter als man denkt. Auch wenn man sich im privaten Umfeld damit oft ganz allein fühlt - in der virtuellen Filterblase ist man es beileibe nicht.

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