Lachbuch gegen hinrissig-unterwürfige Medieninszenierung

WEIMAR. (fgw) Lachen ist gesund, heißt es. Lachen befreit – von unbe­grün­de­ten Ängs­ten. Auslachen macht Größenwahnsinnige wie­der klein, siehe das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Auslachen wird Frauen auch von Psychologen emp­foh­len, soll­ten diese von einem Exhibitionisten bedroht wer­den. Mit Spottversen und Satiren wur­den u.a. die Reformation und auch die fran­zö­si­sche Revolution beför­dert. Die poli­ti­sche Satire war schon immer ein gutes Mittel im Kampf für gesell­schaft­li­chen Fortschritt. Kein Wunder, daß macht­gie­rige reli­giöse und poli­ti­sche Autoritäten sich mit­tels der Strafgesetze und deren Paragraphen über Majestätsbeleidigung und Blasphemie dage­gen zu Wehr setz­ten. Und set­zen. Man denke nur an jüngste Urteile und Forderungen in Rußland und auch in Deutschland…

volksbuch der verspotteten paebste Lachbuch gegen hinrissig unterwürfige MedieninszenierungDer ebenso anti­roya­lis­ti­schen wie anti­kle­ri­ka­len Satire aus der Zeit der fran­zö­si­schen Revolution von 1789 füh­len sich die Herausgeber des zeit­ge­nös­si­schen Volksbuches ver­pflich­tet. Und man kann sagen, ihre zeit­ge­nös­si­sche Version einer radi­ka­len Papst-Satire ist Haasis/Jestrabek durch­aus gelun­gen. Bereits auf der ers­ten Seite stellt sich ein befrei­en­des Lachen ein… Und auch das soll beson­ders her­vor­ge­ho­ben wer­den, sie blei­ben nicht an der Oberfläche, also bei der Person auf dem soge­nann­ten Heiligen Stuhl, ste­hen. Nein, sie stel­len ihre Kritik an der Medieninzenierung “Wir sind Papst” etc. in den Kontext unse­rer rea­len gesell­schaft­li­chen Zustände. Das beginnt bereits mit den ers­ten fünf Zeilen die­ses Buches:

“Die Freiheitsbibliothek BLAUWOLKENGASSE hat lange geschlum­mert. Dazwischen kam über uns die übelste aller neue­ren Regierungen, wie eine Pestseuche mit dem Schwarzen Tod im Mittelalter: Schröder/Fischer. Mit ver­hee­ren­den Folgen, die noch nicht aus­ge­ba­det sind, auch inter­na­tio­nal.” (S. 5)

Erst dann wer­den als Grund für diese Edition die Mißbrauchsvorwürfe, die Mißbrauchs-Tatbestände, genannt, die die katho­li­sche Kirche welt­weit erschüt­tert haben…

Da hier­zu­lande alles ver­recht­lich ist, sind der eigent­li­chen Satire “Vier juris­ti­sche Gutachten über Straffreiheit oder Straffälligkeit…” vor­an­ge­stellt, aus­ge­hend einem “spät­mit­tel­ter­li­chen, heute noch gül­ti­gen Gesetzestext”, dem § 166 des bun­des­deut­schen Strafgesetzbuches.

Bereits diese Einleitung stellt eine Spitzensatire dar, denn “das über­ra­schende am Recht ist, dass es zwar einen ein­heit­li­chen Gesetzestext gibt, aber min­des­tens einige hun­dert ver­schie­dene Ansichten dazu – zumeist weit vom Text und sei­ner Intention ent­fernt. – Aber darum geht es ja den meis­ten Juristen schon lange nicht mehr.” (S. 9)

Ein herz­haf­tes Lachen brin­gen an die­ser Stelle allein schon die Namen der vier be-gutachtenden Anwaltskanzleien her­vor: Salvatorius Hugendubel (München), Rote Kobra (Berlin), Maria Magdalena Crescentia Hobelding (Aulendorf/Oberschwaben) sowie Dagobert Geldhamster (Stuttgart) her­vor.

Den Hauptteil des Buches bil­det ein fik­ti­ves “sym­pa­thisch ent­hül­len­des, sen­sa­tio­nel­les Exklusivinterview des Papstes”, das ein Anonymus den Herausgebern über­sandt hatte. Auch dies ein gelun­ge­ner Kunstgriff, wie ihn die Literaturgeschichte mehr­fach kennt.

Dieses Interview mit dem Titel “Ein lau­schi­ger Sommerabend mit dem Papst in Rom” soll daselbst anno 2010 geführt wor­den sein, wort­ge­treu pro­to­kol­liert von zwei frei­den­ken­den Schwaben namens Gottfried Lepusis und Enrico Marcard.

Bezeichnenderweise ist die­ses Interview auf den 6. Juli 2010, dem 695. Hinrichtungstag des bömi­schen Ketzers Jan Hus, datiert.

Gemeinsam mit dem Papst wan­dern die bei­den Freidenker aus Schwaben durch Rom, u.a. vor­bei am Denkmal für Giordano Bruno (!), sowie ero­ti­schen Gesprächen im Antico Caffè Greco und bis hin zum Petersdom.

Die hier geführ­ten Dialoge kann man ein­fach nur köst­lich nen­nen, sie las­sen auch nichts aus. Innerkirchliches eben­so­we­nig wie all­ge­mein mensch­li­ches. Diese nach­denk­lich stim­mende Satire möge jeder selbst lesen.

Nur drei kleine Kostproben aus dem Munde von R. seien hier zitiert: “Das ist unser wich­tigs­ter Glaubensgrundsatz, wich­ti­ger als alles selbst über Maria und Josef: DIE AMTSKIRCHE HAT IMMER RECHT – selbst wenn sie sich mal irren sollte.” (S. 38) Etwas wei­ter hin­ten heißt es dann: Denn “wenn wir auch nur einen EINZIGEN IRRTUM eingesteh’n, wankt unsere kom­plett unver­än­der­li­che Wahrheit und damit wankt die Sicherheit, die alle Seelen brau­chen. Was wankt, stürzt. Und was stürzt, wird nicht mehr geglaubt. Und dann krie­gen wir kein Geld mehr – und müs­sen sel­ber arbei­ten.” (S. 51) “Für Menschen kann rich­ti­ges Denken not­wen­di­ger­weise nur gött­li­ches Denken sein. Und Freiheit ist nur Gottes Freiheit. Frei ist nur, wer sich Gott unter­wirft.” (S. 54) Hier spricht der (fik­tive) Gottesmann wohl das aus, was ein rea­ler poli­ti­sie­ren­der Gottesmann sicher in erste Linie meint, wenn er über Freiheit – gefragt und unge­fragt – pre­digt.

Empfehlenswert sind zwei nach­fol­gende Essays. Zunächst schreibt Hellmut G. Haasis über die sati­ri­schen Literaturprodukte der Revolutionsepoche: “Kleine Leidens- und Freudengeschichte der fast unter­ge­gan­ge­nen ‘Merkwürdigen Reise’ aus Nürnberg 1792″.

Es folgt ein Originaltext aus dem sel­ben Jahre “Merkwürdige Reise des Papstes in den Himmel, in die para­die­si­schen Gerichtshöfe und in die Hölle”. Lesenswert noch heute!

Heiner Jestrabeks Essay ist über­schrie­ben mit “Antiklerikale an anti­päpst­li­che Satiren in der Französischen Revolution und ihre Parteienkämpfe – Mit einer Würdigung des Père Duchesne des Jacques-René Hébert u.a. zeit­ge­nös­si­scher Freidenker”.

Dieser Text ist für den Rezensenten der mit Abstand bedeut­samste Beitrag im LACHBUCH. Denn hier wird Geschichte leben­dig und in kom­pri­mier­ter Form anschau­lich dar­ge­stellt. Zunächst geht Jestrabek auf die “Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte” ein und zitiert deren Artikel X.: “Niemand soll wegen sei­ner Anschauungen, selbst reli­giö­ser Art, belangt wer­den, solange deren Äuße­rung nicht die durch das Gesetz begrün­dete öffent­li­che Ordnung stört.” (S. 119) Vor mehr als 200 Jahren war man da in Frankreich also schon wei­ter als das heu­tige Deutschland mit sei­nem § 166 StGB…

Wie waren die gesell­schaft­li­chen Zustände im feu­da­len Staat “von Gottes Gnaden” beschaf­fen? Darauf geht Jestrabek aus­führ­lich ein. Und bleibt nicht nur bei den relig­lö­sen Verhältnissen ste­hen. Sind doch diese nicht von den Eigentumsverhältnissen zu tren­nen:

“Vor der Revolution stellte der katho­li­sche Klerus mit sei­nen 130.000 Personen (rund 0,5 % der Bevölkerung) im Ständestaat Frankreich den Ersten Stand dar (der Adel war der Zweite Stand mit 350.000 Angehörigen rund 1,5 %…) Die hohen Würdenträger des Klerus – ledig­lich ca. 4.000 Personen – stamm­ten aus­nahms­los aus der Aristokratie.” (S. 125)

Der Dritte Stand umfaßte 98 % der Bevölkerung und war “allei­ni­ger Zahlmeister” für Klerus und Hochadel. Insbesondere die (land­lo­sen) Bauern ernähr­ten das ganze Land, aber “dem Klerus gehör­ten 10 – 15 % des frucht­bars­ten Ackerlandes Frankreichs. Ein Viertel des Pariser Stadtgebietes war in Kirchen- und Klosterbesitz. Der Klerus hatte immense Einnahmen und zog den Zehnten von der Bauernschaft ein, war aber selbst von Abgaben befreit…” (S.126)

Kein Wunder wenn, sich die katho­li­sche Kirche und ins­be­son­dere der Papst mit allen Mitteln gegen die Revolution, gegen die Abschaffung der Privilegien des Klerus wandte. Nicht nur in Worten, son­dern auch mit Waffengewalt. Priester hetz­ten zum blu­ti­gen Bürgerkrieg auf und nut­zen ihren Einfluß auf das Schulwesen gna­den­los im Kampf gegen jed­we­den gesell­schaft­li­chen Fortschritt aus.

Jestrabek geht dann auf die ver­schie­de­nen Parteiungen auf sei­ten der Revolution ein, sowie auf deren ver­schie­dene Etappen von 1789 bis zur Machtergreifung Napoleon Bonapartes 1799. Vorgestellt wird auch der Republikanische Kalender, denn icht mehr die ver­meint­li­che Geburt eines Jesus sollte jetzt der Beginn der Zeitrechnung sein, son­dern die Ausrufung der Republik.

Den Abschluß des Buches bil­den sechs anonyme Spottschriften, u.a. “Reise der Märtyrer des Goldes und Silbers nach Rom” (1099), “Rezept für den Magen des Heiligen Petrus und des­sen totale Erneuerung beim Konstanzer Konzil” (1415).

In die­sen Abschnitt gehö­ren auch eine Schrift von Hébert aus dem Jahre 1792 (“Die große Reise des Père Duchesne mit dem Papst ins Paradies”) und die Beschreibung einer “Lustreise des künf­ti­gen Papstes Leo X. ins neue Messbuch” aus der Feder von Pietro Aretino (etwa um 1530).

Die Herausgeber haben nicht zuviel ver­spro­chen. Dieses Volksbuch regt tat­säch­lich zum befrei­en­den Lachen an. Und es noch viel mehr als nur ein Lachbuch, denn es ist gepaart mit fun­dier­ter Wissensvermittlung. Ja, in die­sem Buch lebt die Aufklärung wei­ter…

Hellmut G. Haasis & Heiner Jestrabek (Hg.): Volksbuch der ver­spot­te­ten Päpste. Ein befrei­en­des Lachbuch mit fröh­lich sur­rea­lis­ti­schen Collagen von Uli Trostowitsch. 172. S. Paperback. Verlag Freiheitsbaum. 2. Aufl. Heidenheim 2011. 12,00 Euro. ISBN 978-3-922589-34-1

[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]


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