Kulturinfarkt! Werden Kulturexperten überfördert?

Da haben sich vier Gutverdiener zusammengesetzt, mal so richtig quer gedacht und die Ergebnisse dieser neoliberalen Gedankensause wohlfeil zwischen zwei Buchdeckeln verpackt. Heraus gekommen ist ein Buch, das schon vor dem Erscheinen für empört-hysterisches Geschrei in sämtlichen Kulturmedien sorgt. Es heißt “Der Kulturinfarkt: Von Allem zu viel und überall das Gleiche. Eine Polemik über Kulturpolitik, Kulturstaat, Kultursubvention.”

Der Aufschrei ist auch kein Wunder, denn die eingebildete Kulturnation lässt sich ihre Hochkultur was kosten, und genau da wollen die vier Querdenker ran. Sie schlagen vor, die ganze Kulturförderung um die Hälfte zu kürzen. Es sei zu viel Geld im System, um das sich die Institutionen schlagen, das sorge für Verkrustungen und sei schlecht für Wettbewerb und Innovation. Das in den 70er Jahren aufgelegte Projekt “Kultur für alle” sei ohnehin gescheitert. Mit Opernaufführungen würden die Kinder bildungsferner Schichten ohnehin nicht erreicht. Und wo schon überall mehr Markt gefordert werden, dürfe man ausgerechnet die Kulturindustrie nicht ausnehmen. Die Autoren plädieren also für eine irgendwie marktgerechtere Kulturlandschaft.

An der Überförderung bestimmter Institutionen zu Ungunsten populärerer Angebote ist tatsächlich etwas dran, wie ich gleich mal recherchiert habe: Im Jahr 2010 förderte der Bund allein die Wagner-Festspiele mit 2,3 Millionen Euro. Die Initiative Musik, zuständig für die Förderung populärer Musik wie Pop, Rock, Jazz, Techno und so weiter, bekam 1,5 Millionen Euro. Dabei verdienen die Kulturschaffenden jämmerlich wenig: Das jährliche Durchschnittseinkommen von Musikern lag 2010 bei 11.780 Euro – pro Jahr!

Warum muss ein Gutverdiener-Event wie die Wagner-Festspiele in Bayreuth überhaupt mit öffentlichen Geldern gefördert werden? Bei Kartenpreisen bis zu 280 Euro und einem großen und engagierten Förderverein (Die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth e.V. mit über 5.000 Mitgliedern) sollte das doch überhaupt nicht nötig sein. Statt dessen könnte man Kulturprojekte für Jugendliche fördern, Streetdance-Kurse, Gitarren-Unterricht, konkrete Angebote, mit denen die Zielgruppe etwas anfangen kann. Insofern ist das mit dem Kulturinfarkt gar nicht so abwegig. Zu befürchten ist allerdings, dass nicht an der “richtigen Hälfte” gespart wird, die hat nämlich ihre Lobby, sondern, dass einmal mehr Projekte gestrichen werden, bei denen es keinen mächtigen Liebhaber-Verein gibt. Und überhaupt, was soll denn mit der eingesparten Kohle alternativ gefördert werden? Einmal mehr die armen Banken? Oder Auslandseinsätze der Bundeswehr? Dann doch lieber noch eine Wagner-Oper!

Nachtrag:

Damit man sich ein besseres Bild machen kann, habe ich hier kurz zusammengestellt, um wen es sich bei den vier Kulturförderungskritikern überhaupt handelt. Von den Jungs muss jedenfalls keiner mit einem durchschnittlichen Musiker-Gehalt auskommen. Die haben offenbar Zeit und Geld genug, um neben ihrem Job Bücher schreiben zu können.

Dieter Haselbach ist seit 1999 Partner, ab 2007 Geschäftsführer der ICG culturplan Unternehmensberatung GmbH und dort als Berater für Unternehmenskonzepte, Strategieberatung, Organisationsentwicklung, Moderation von Veränderungsprozessen sowie im Führungs- und Konfliktcoaching tätig. Nach seinem Studium der Soziologie, in der er seine Dissertation und Habilitation abschloss, lehrte er u. a. in Darmstadt, Graz und Marburg. 1992 bis 1995 war er als DAAD Associate Professor in Victoria, B.C. Kanada tätig, danach als Reader an der Aston University, Birmingham, England. Seit 2001 ist er apl. Professor für Soziologie an der Universität Marburg.

Armin Klein: Studium der Germanistik, Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Mainz; Promotion zum Dr. phil.; Leitender Dramaturg am Theater am Turm in Frankfurt am Main (1979-81), anschließend Kulturreferent der Universitätsstadt Marburg/Lahn (1981-94); seit 1994 Professor für Kulturwissenschaft und Kulturmanagement an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, Leiter  des Master-Aufbaustudiengangs und des Kontaktstudiums Kulturmanagement, Vorsitzender des Prüfungsausschusses. Gastdozent Nachdiplom-Studiengang Kulturmanagement der Universitäten Basel und Freiburg. Zahlreiche Vorträge und Workshops.

Pius Knüsel ist seit 2002 Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia. Nach dem Studium der Germanistik, Philosophie und Literaturkritik an der Universität Zürich arbeitete er zunächst als Kulturredakteur für das Schweizer Fernsehen. Er war Programmleiter des Jazz Clubs MOODS, des ersten Jazznojazz-Festivals in Zürich, und war bis 2002 Mitglied des Boards des Europe Jazz Network. Als Leiter des Kultursponsorings der Credit Suisse Schweiz engagiert sich Pius Knüsel seit 1998 vermehrt im Bereich Kulturmanagement. Seit 1999 ist er Mitglied des Steuerungsausschusses und des Beirats für den Nachdiplomstudiengang „Kulturmanagement“ der Zürcher Hochschule Winterthur. Im Jahr 2000 war er Mitbegründer des Forums Kultur und Ökonomie und leitete 2001 bis 2002 das weltweite Kultursponsoring der Credit Suisse Financial Services. Von ihm sind diverse Aufsätze und Publikationen zum Thema Kulturförderung erschienen, u.a. ”Geld und Geist. Zur Zukunft der Vergangenheit”, Rede anlässlich der Jahrestagung der ICOMOS Schweiz, Nov. 2006.

Stephan Opitz: Seit September 99 Stv. Leiter der Kulturabteilung und Leiter des Referates für Kulturelle Grundsatzangelegenheiten im Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein; seit April 2005 in der Staatskanzlei des Landes Schleswig- Holstein, seit September 2009 im Ministerium für Bildung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein. Dezember 2009: Ernennung zum Professor für Kulturmanagement an der Philosophischen Fakultät der Christian Albrechts Universität zu Kiel.

Kleines Medienecho zum Kulturinfarkt:

“Die Thesen sind völlig absurd!“

Jede zweite Kulturinstitution kann weg!

Baut den Apparat um!



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