Kritik - Wer ist Hanna

Kritik - Wer ist Hanna

"I just missed your heart." -

Einem neuem Film von Joe Wright sieht man spätestens seit den Beiträgen im Historien-Genre, "Abbitte”, "Stolz und Vorurteil” und insbesondere "Anna Karenina", immer mit der richtigen und freudigen Erwartung entgegen.Denn nur in den seltensten Fällen gelingen dem talentierten Briten schon mal ein paar peinliche, filmische Ausrutscher. Und auch mit "Wer ist Hanna?” enttäuscht der überaus ambitionierte Filmemacher aktuell das (Heimkino)Publikum nicht. Denn seit 2011er Thriller sorgt für frischen Wind im Genre, tritt also allen "Kick-Ass” Vertretern und Konsorten, welche durch einfältige Gore-Goes-Gummibaerchen-Miniplayback-Show-Attitüde glänzen, also die zu durchleidende Gewalt und Schmerzen der Figuren unauthentisch, für das Publikum emotional limitiert-nachfühlbar erscheinen, also zum reinen Selbstzweck verkommen lassen, mit Anlauf in den Allerwertesten. Joe Wrights Coming-Of-Age-Thriller "Wer ist Hanna” gehört definitiv zu den besten Filmen des Jahres 2011, entpuppt sich als ideenreicher Film, der neben seines routinierten Plots mit einem entsprechendem Sinn für Ästhetik überzeugend in Szene gesetzt wurde. Die zweifelsohne phantastisch wirkenden Bilder aus "Wer ist Hanna” verkommen aber keineswegs nur zu einem reinem Selbstzweck. Denn Joe Wright inszenierte im Jahr 2011 mit "Wer ist Hanna" einen Mix aus Agenten-Thriller Anleihen und subtilem Coming-Of-Age Drama, der ebenso wie seine Vorbilder, beispielsweise "Das Bourne Ultimatum" von Paul Greengrass, cool, stylish und rhythmisch, also auf modernste Art inszeniert daher kommt.

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Viel wichtiger ist aber der Umstand, das der interessanten Geschichte, welche sich sich als märchenhafte Parabel auf die  Verantwortung der Erwachsenenwelt lesen lässt, die eigenen Kinder richtig erziehen und nicht im Stich lassen zu dürfen, genug Platz zum eigenem Atmen eingeräumt wird. Hensel und Gretel und diverse, thematisch-verarbeitete Märchenklassiker lassen bei Sichtung von "Wer ist Hanna" grüßen. Cate Blanchett beispielsweise verkörpert im übertragenen Sinne natürlich die böse Hexe. Diese trachtet Hanna immer wieder durch ihre Häscher, nach dem Leben. Das letztere an skurill-wirkende, britische Skinheads erinnern, ist aber nicht alleine dem reinen, angestrengten Kunstwillen Joe Wrights geschuldet. Denn Joe Wright verarbeitet in "Wer ist Hanna?" durch die titelgebende Heldin die eigenen Erinnerungen an das eigene Erwachsen werden in der britischen Heimat, in denen er auch in jungen Jahren mit verschiedenen, auch radikal-jugendlichen Gesellschaftsgruppierungen (darunter in der Schule) mit eigenwilligem, optischem Stil konfrontiert wurde, die es nicht immer gut mit ihm meinten. Und daher einen prägenden Eindruck bei ihm hinterließen. Gewissermaßen erzählt Joe Wright mit "Wer ist Hanna?" wie angesprochen vordergründig betrachtet ein Märchen mit entsprechender Moral. Darüber hinaus gerät "Wer ist Hanna" aber auch zu einer bemerkenswerten Aufarbeitung über Joe Wrights eigenen, schwierigen Prozess, den persönlichen Platz in der Welt, darunter auch im Filmgeschäft, endlich gefunden zu haben. Also am Ende, trotz einer etwas verkorksten und teils verlorengegangenen Kindheit, endlich erwachsen geworden und ganz bei sich angekommen zu sein: Titelheldin "Hanna" offenbart sich also als Joe Wrights formalästhetisches Abbild, wenn sie alles Übel im Finale endlich überwunden hat.

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Mittels meditativer Ruhe widmet sich Joe Wright zu Beginn der "Anti-Heldin” der Geschichte, Hanna, die aus ganz verschiedenen Gründen von ihrem Vater immer wieder in emotionalen Auseinandersetzungen auf ihr späteres Schicksal vorbereitet wird. Der pure Antrieb von Hanna zum eigenen Überleben ist der innere Wille, welcher im Verlauf immer wichtiger wird. Zwischen Hanna (grandios: Saoirse Ronan) und ihrem Vater Erik Heller (gut und charismatisch: Eric Bana) entwickelt sich trotz aller Einzug erhaltenden Härte unter der Oberfläche ein emotionales und herzliches Verhältnis. Beide (Anti)helden verfügen aber auch über eine bedrohliche Seite, die bei Bedarf zum Vorschein kommt. Und auch im weiteren Verlauf inszeniert Joe Wright sein Thriller-Drama "Wer ist Hanna" mit überraschend sicherem Händchen. Er nimmt seine Figuren trotz der bewußten, märchenhaften des zu Grunde liegenden Themas ernst und hält geschickt die inszenatorische Balance zwischen mitreißenden, impulsiven Actionsequenzen, die mit einem rhythmischen und treibendem Elektro-Score wie auch knallhartem Beat von den Chemical Brothers unterlegt sind, welche den virtuos inszenierten Verfolgungsjagden Marke "Bourne” den richtigen und notwendigen Kick geben, wie auch den notwendigen, ruhigen und auch leisen Momenten, die "Wer ist Hanna” den Touch eines richtigen Charakter- und Existenzialdramas verleihen. Selten wurde Coming-Of-Age authentisch-schmerzvoller als auch sensibler in Szene gesetzt. Saiorse Ronan blüht in ihrer Rolle als Hanna Dank eindringlich gespielter Orientierungslosigkeit als auch den ersten erlebten, sexuellen Kontakten mit den Mitmenschen, dem überzeugend vermitteltem Einsatz von Gewalt zum Zwecke des Überlebens und dem notwendigem Durchsetzen, um als Mensch seinen eigenen Platz in der Welt und der Mitte der Gesellschaft zu finden, förmlich auf.  Besonders in den intimen, zwischenmenschlichen Momenten zeigt Joe Wright seine wahre Stärke als Regisseur.  Das Publikum darf mit einer berührenden und sensiblen Szene vorlieb nehmen darf, wenn Hanna mit ihrer Altersgenossin Sophie (solide: Jessica Barden) auf  "Tuchfühlung” geht, welche dramaturgisch Sinn macht: Hanna ist zum Großteil auf der Flucht vor ihren überwiegend männlichen Häschern. Und auch ihr Vater kann ihr die doch vorhandene Liebe nicht offen zugestehen und erzieht sie etwas zu weltfremd. Saiorse fühlt sich in ihrer Rolle als Hanna also von der Männer dominierten Welt abgestoßen. Und wendet sich daher logischerweise jemand gleichgeschlechtlichem zu, von dem sie sich ungemein verstanden fühlt. Neben Cate Blanchett als eiskaltem "Dana Scully” Verschnitt und Kontrollfreak  vermag auch Tom Hollander als mit leichtem, homosexuellem Touch versehener Sidekick der CIA, der zunächst in einer märchenhaft anmutenden, verkommenden Stripbar haust, zu gefallen. Das beide Schauspieler jedoch nicht dem groteskem "Over-Acting" erliegen, sondern sich auf einem schmalen Grat exaltiertem Schauspiels an diesem geschickt vorbeihangeln, ist wieder einmal der Regie Joe Wrights am Ende selbst geschuldet.  Insbesondere Tom Hollander legt eine herrliche Schmierigkeit, Skrupellosigkeit und Verschlagenheit an den Tag. Er überzeugt als eiskalter, linker Hund, dem jedes Mittel Recht ist, um Hanna wieder dingfest zu machen. 

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"Wer ist Hanna?" entpuppt sich als ernstzunehmender Thriller, welcher geschickt die Fragen nach den entsprechenden Gründen der Schuld und Unschuld des Menschen bzw. der Entstehung  bzw. der eigentlichen Perspektive auf das Gute und Böse, also auch einen geschärften Blick auf die Entwicklung der Wiege der Zivilisation bietet, in der Kinder auf Grund diverser Ursachen heute manchmal eher freiwillig aus dem Haus gehen. Und mehr noch als in früheren Dekaden wichtige Erfahrungen machen, die ihnen als weitere Lebensgrundlage dienen müssen. Für die Erziehenden (in Wer ist Hannah verkörpert von Eric Bana) gilt heutzutage: Wer irgendwann, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr ausreichend für seine Schützlinge sorgen kann, der muß halt damit rechnen, daß sie ihren eigenen Weg finden müssen, der durch Gut und Böse definiert wird. Damit man vor allem vor sich selbst bestehen kann. Aber lässt man seinen Blick wie in der zu unternehmenden Reise in " Wer ist Hanna" von Kontinent zu Kontinent schweifen, wird man feststellen, das in Joe Wrights Drama einiges an thematischer Wahrheit steckt: Kinder aussetzen und Kinder verkaufen ist ein immer schlimmer Bestandteil unserer Welt gewesen. Und wird es in Zukunft in technisierteren und eventuell pervertierteren Formen vermutlich auch weiterhin bleiben. Entweder werden die Kinder, die man einst in den Wald geschickt hat, am Ende dann doch noch gegessen. Oder sie kehren mit allen Arten von Edelmetall voll beladen nach Hause zurück. Was passiert aber, wenn es kein Zuhause mehr für sie gibt? Und sie auch nur im Spreepark umherirren und ihrer eigentlichen Bestimmung folgen müssen? Dem Publikum wird also die Frage gestellt und vor Augen führt, was "Menschlichkeit" in ihren Grundwerten und unseren heutigen Zeiten noch wirklich bedeutet. Es wird mit einrollen der Endcredits also offen gelassen, ob die Titel gebende Antiheldin von ihrer Vergangenheit und Herkunft kuriert zu seien scheint oder doch der menschlichen, finsteren Kehrseite erliegen wird, nachdem ihre Gegner überwunden wurden. Also ob sie seelisch deformiert, für immer als Gefühl- und gewissenloses Monstrum zurückbleibt.

Fazit: "Wer ist Hanna” offenbart sich als zunächst leicht schräger und daher gewöhnungsbedürtiger Coming-Of-Age Road-Movie und Agenten-Thriller-Trip mit zivilisationskritischem Einschlag, im nachhinein aber als ein wunderbarer cineastischer Streich, den man sich aktuell im Heimkino auf keinen Fall entgehen lassen sollte. Für den Beitritt in den filmischen Olymp fehlt es zwar bis auf die Klärung von Hannas Herkunft, an einigen weiteren Überraschungsmoment der Geschichte und dem allerletztem Quäntchen charakterlichen Tiefgang der Figuren. Dafür wird man mit vielerlei überzeugen gespielten, emotionalen Momenten entschädigt.  "Wer ist Hanna” erweist sich als ein harmonisches  Endprodukt, welches das Arthouse-Gefühl ein wenig neu definiert und sich die im Schnitt guten Kritiken verdient hat.

Wertung: 8.5/10 Punkte



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