Person A schreibt einen Tweet.
Person B passt das nicht. B fühlt sich persönlich angegriffen oder verletzt.
Vielleicht kommt es zum Schlagabtausch, vielleicht auch nicht.
Dann fallen oft immer die gleichen Sätze.
"Du hast keine Ahnung.", "Du bist doch nur neidisch.", "Was laberst du eigentlich für einen Bullshit.", "Haha, ich lach mich schlapp.", "Alter, du bist doch scheiße im Hirn.", "Pamp mich nicht an."
Egal, früher oder später wird dann A B oder B A blockieren. Oder beide sich gegenseitig.
Das ist leider die Gefahr an Twitter und Facebook, wo man keine "echten" Menschen, sondern nur deren Worte sieht. Ihre Stimmen, Mimik, Gestik, Blicke, Tonfall könnte man nur in einer Videoaufnahme sehen. So haben wir aber eben nur die Worte.
Je nach Laune kann ein ganz normaler Tweet vollkommen anders interpretiert werden. Das geht nicht nur mit Worten, selbst ein allein stehender Emoji lässt vollkommen verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu: Bin ich schlecht gelaunt und sehe einen Lachsmiley, könnte ich annehmen, es ginge darum, mich auszulachen. Geht es mir gut und ich sehe einen Lachsmiley, freue ich mich vielleicht darüber und schicke ein Lächeln oder Zwinkern zurück an den Absender. Kurzer Exkurs: Ich hasse persönlich Emojis ein wenig und möchte persönlich ohne sie auskommen, da ich diesen Smileyzwang persönlich nicht so mag. Vielleicht ist es einfach meine persönliche Einstellung, aber ein paar Worte können mehr ausdrücken als alle Emojis dieser Welt. Wenn ich was via Bild sagen will, dann mal ich es selber und fotografiere ich es ab.
Obwohl wir oft die Menschen hinter den Bildschirmen nicht kennen, stecken doch ectrem viele Emotionen hier im Internet: Frustration, Aggression, pure Euphorie - das Internet scheint einen direkten Draht zu unseren Emotionen zu finden.
Wieso ist das so?
Wenn Sid mir sagt: "Du hast aber auch in den letzten Wochen ein bisschen viel nachtisch gehabt!", dann lachen wir darüber und wenn ich meiner Kommilitonin sage, dass sie sich doch freuen soll, dass der Sommer da ist, weil Kleider einfach sie viel besser aussehen lassen als Schlabberhosen, mache ich ihr eine Freude damit. Aber sobald wir dann fremde Menschen da haben, wird es teils sehr ungemütlich. Berühmtestes Beispiel stammt nicht von mir, sondern von meiner Mutter. Diese ist seit einiger Zeit Vegetarierin aus moralischen Gründen und folgt diversen Vegan/Veggie Gruppen auf Facebook. Eine Vegangruppe postete vegangenen Sommer eine Rezeptesammlung zu veganen Grillen samt Ekelbilder der Massientierhaltung. Ein Mensch schrieb amüsiert: "Ich esse jetzt mal meine leckere Bratwurst." und schon erhielt er Todesdrohungen, man solle ihn doch aufschneiden und auf den Grill legen. Das Internet hat wirklich keine Grenzen ... und leider anscheinend auch eine Etiquette für Sinnhaftigkeit und einer gewissen konstruktiven Haltung bei einer Diskussion.
Allerdings ist es ja immer so: Gesagtes oder Geschriebenes kann man nicht rückgängig machen. So ist es leider viel zu oft im Internet - Person A ist von Person B genervt und schon wird blockiert, statt näher auf den potenziellen Störenfried einzugehen. Was man hier machen kann, weiß ich auch nicht so recht. Mein persönlicher Vorschlag wäre, bei Blockierungen ein Veto ab einem bestimmten Zeitpunkt einlegen zu dürfen, sodass man in mindestens 500 Zeichen der Person, die dich blockiert, mit etwas zeitlichen Abstand den Sachverhalt noch einmal erklären kann. Das ist aber wie gesagt nur ein Vorschlag meinerseits und ich habe auf keinem Social Network außer dem Sanft & Sorgfältig Forum das Sagen.
Hier ist aber ein kleiner Leitfaden meinerseits für euren nächsten digitalen oder vielleicht sogar analogen Beef:
1. Jeder hat ein Recht darauf, andere zu kritisieren.Auch Menschen, die sich mit dem Thema nicht auskennen, dürfen ihre Meinung haben und diese äußern. Nicht umsonst sind viele Fragen, die in der Philosophie behandelt werden, sind auch beliebte Stammtischthemen. Aber dennoch gilt: Wenn man so absolut keine Ahnung hat, vielleicht nich besoffen mit Atomphysiker über das Hicksteilchen diskutieren.
2. Informieren ist die halbe Miete.
- Egal, ob eine Theorie, eine Sendung, ein Fach: Ein bisschen sollte man vielleicht an Wissen haben, wenn wir etwas kritisieren wollen. So ist vielleicht ein Bild, ein Spruch, ein Tweet, ein Blogpost komplett palle, aber im richtigen Kontext ergibt er einen Sinn und ist dadurch auch besser zu verstehen.
- Oft können wir erst im Kontext sagen, was da kritisierungswürig ist. Ein "Leck mich am Arsch" ist anders zu verstehen als das "Er solle mich im Arsche lecken" aus Götz von Berlichingen von Goethe.Und dadurch kann man einfach besser konstruktiv kritisieren. Dafür wichtig ist allerdings Kommunikation beider Streitparteien.
- Person A weiß ganz andere Dinge als Person B. Warum also nicht einfach mal als Kritiker B erklären, was man denn reininterpretiert in den Tweet. Und A schreibt: Ich hab aber das gemeint. B: Das könnte man so oder so besser formulieren. Durch Kommunikation kann man einfach viel Beef vermeiden.
- Früher wurden nur jene kritisiert, die Werke schufen und dies öffentlich präsentierten. Aber nun im Internet publizieren wir fast alle für die ganze Welt. Egal, ob Hobbyzeichner, Youtubestar oder Moderator - jeder kann kritisiert, ob Amateur oder Profi. Vielleicht sollte man eben dies berücksichtigen.
- Jeder von uns ist Publizist, wer das nicht möchte, sollte sein Twitter/Instagram- oder Facebookaccount auf privat schalten.
- Auch als Kritiker sollte ich mich immer fragen: Wie sinnvoll ist die Kritik? Kommt sie beim Adressaten an. Denn ein 40jähriger Akademiker wird anders mit Kritik angehen als ein 12jähriges Fangirl.
4. Kritik hat kein Schema F, aber gewisse Regeln der Höflichkeit.
- Wie wissen, wie ich am besten etwas kritisiere? Das muss man von Fall zu Fall neu entscheiden.
- Bleib freundlich, keine anstößigen Bemerkungen sind Pflicht. Diese Spitzen und Vorwürfe oder Belehrungen von oben herab erhitzen nur die Gemüter.
- Finde ggf. etwas Positives an der Aussage oder dem Video oder was immer du auch kritisieren möchtest.
- Signalisiere Kommunikationsbereitschaft. Erst jemanden mit 5 kritischen Kommentaren zuspammen und dann nicht zu reagieren, wenn die andere Partei darauf reagiert, ist wirklich nicht die feine, englische Art.
- Bleibe bei der Ehrlichkeit und versuche nicht Kritik im Nachhinein mit Arschkriecherei zu kompensieren.
- Mach keine Tirade und einen auf Oberlehrer - das darfst du als Theaterkritiker und selbst da werden die alten Herachien und Diktate der allmächtigen Theaterkritiker langsam bröckelnd. Ich freue mich schon auf die demokratische Revolution in der Theaterwelt.
- Manches kann man komplett zerreißen - aber warum etwas zu Tode kritisieren, was vielleicht gar nicht eurem Geschmack entspricht?
- Einfach zu schreiben "Das ist scheiße.", reicht nicht - man muss schon genauer werden. "Mich stört an der Aussage, dass du dich selbst als dick bezeichnest, dass dick ein sehr negativ verwendeter Begriff ist." Darauf könnte die andere Partei dann wieder erwidern: "Ich empfinde persönlich im Gegenteil, dass man doch Menschen, die einfach dick sind, nicht als kruvig bezeichnen kann. Kurvig ist für mich die Figur von der und der Berühmtheit. Mein Körper ist aber dicker." usw.
- Neben einer Erläuterung sollte auch Präzision nicht fehlen. Besonders bei langen Texten, z. B. Blogposts, eignen sich Zitate.
- Es gibt auch bei Kritik kein eindeutiges falsch oder richtig wie bei Rechenaufgaben oder Rechtschreibfehlern.
- Es gibt verschiedene Weltsichten. Als Beispiel: A und B streiten sich darüber, ob man "geschminkt oder ungeschminkt das Haus verlassen sollte."
- A wurde als Einzelkind einer alleinerziehenden Friseurin so erzogen, dass Schönheit alles für ein Mädchen ist. A findet, dass ein Mädchen dünn, groß, immer zauberhaft aussehen muss. A findet sich nicht schön und geht daher nie ungeschminkt aus dem Haus. Da sie auch im Einzelhandel arbeitet und dort immer hübsch aussehen muss, gibt es eigentlich keinen Tag, an dem sie ungeschminkt das haus verlässt. Daher ist ihr der Gedanke völlig fremd, dass Menschen mit Augenringen und Pickeln aus dem Haus gehen.
- B ist als jüngste Tochter einer Familie aufgewachsen. Sie hatte nur große Brüder und hatte daher sowohl Jungen- als auch Frauenkleidung im Schrank. Sie wuchs anschließend auch sehr frei von Geschlechterkonventionen auf und machte erst eine Friseurlehre, studiert nun Kunst und möchte insgeheim noch eine Maskenbildnerausbildung ranhängen und hofft diese mit ihrer Kunst und Fotografie finanzieren zu können, da so eine Ausbildung teuer ist. Als Kunstschaffende hat sie es mit Menschen aller Art zu tun. Daher ist es ihr nicht wichtig, sich zu schminken. Schminke ist Verwandlung, aber in der echten Welt will sie doch sie selber sein. Und sie selbst, dass ist sie mit Pickeln und Augenringen. Ungeschönt liebt sie auch ihr Freund am liebsten.
- Dass diese beiden Menschen, A und B, Streit anfangen, ist quasi vorprogrammiert. Wichtig wäre nun, dass beide eben ihre Positionen anhand ihres Backgrounds begründen. Dieses ewige "Du hast deine Meinung, ich hab meine. Und jetzt blockier und ich ignoriere ich dich für den Rest meines Lebens." ist ja schön und gut. Aber so bleibt jeder in seiner eigenen Biedermeierwelt. Es findet kein kultureller Austausch statt, wenn man nicht gewillt ist, mal über den eigenen Tellerrand hinauszublicken.
- Auf Tippfehler freundlich hinweisen und nicht vergessen: Das passiert mal jedem! Auch einign superintelennten Germanistigstudennten.
- Auch ein Tonfall kann mal harsch sein. Das sollte man nicht überemotional bewerten. Wühlt einen ein Text zu sehr auf - einfach beiseite lesen, 24 Stunden warten und dann nochmal lesen. Dann betrachtet man alles vielleicht viel nüchterner und kann vielleicht besser kommentieren oder auf einen Kommentar antworten.
- Überschüttet niemanden mit Kritik! Nicht jedes Minidetail ist wichtig - findet die Punkte an Kritik, die euch am Wichtigsten sind.