" I don't want to survive. I want to live.” -
Steve McQueen widmete sich mittels seit seinen Existenzialdramen aus den Jahren 2009 und 2012, "Hunger” und "Shame, Hauptrolle Michael Fassbender ("Prometheus”), weniger dem klassischen Erzählkino in mehreren Akten, sondern mehr dem experimentell-künstlerischem als auch visuell-intelligentem Kino zu. Dieses vermittelt dem Publikum zwar vordergründig einige wichtige Fakten, verschreibt sich im Endeffekt aber immer wieder weniger der historischen Aufarbeitung diverser zu Grund liegender Themen. Sondern es bildet die eigenen Protagonisten verstärkt als Teil ihrer Umwelt mitsamt ihres Gefühlslebens ab, rückt diese also Dank ausgeklügelter Plansequenzen verstärkt in den inszenatorischen Vordergrund. Somit werden dem Publikum anekdotische Momentaufnahmen zu Teil: gleich einem Maler bzw. ehrgeizigem Künstler, der seine Gemälde sorgsam, also solange konstruiert, bis alle Elemente in einem stimmigen Verhältnis zueinander stehen, ordnet Steve McQueen, wie einst der verstorbene Ausnahmeregisseur Stanley Kubrick ("2001", "Clockwork Orange”), alle Komponenten seiner "künstlerischen” Exzesse auf bestimmte Art und Weise an, damit das Endprodukt zu einem für das Publikum sinnstiftenden und ausgewogenen Gesamtkunstwerk werden kann. Neben der ausgefeilten Bildsprache muß Steve McQueen´s bisherigen Filmen in diesem Kontext aber auch dem Einsatz der Musik eine größere Bedeutung beigemessen werden. In "Shame” beispielsweise transportierte Michael Fassbender im am stärksten nachwirkendem und von Harry Escott vertontem (also finalem) Moment zuletzt für ein größeres Publikum DAS Gefühl der "beschämenden” Situation, aus der eigenen, künstlich geschaffenen Welt herausgerissen worden zu sein und dabei realisiert zu haben, was mit der eigenen "Sexsucht” bis weilen alles schadhaftes angerichtet wurde. Es ging Steve McQueen als Regisseur also bislang darum zu ZEIGEN, wie Menschen andere Menschen als Produkt ihrer Umwelt behandeln und dabei zutiefst erniedrigen. Das Publikum machte dabei eine verstörende, psychologische Grenzerfahrung. Es durchlebte durch die gekonnte Verschmelzung von Bildern, Schnitt, Vertonung und Schauspiel in "Shame”, also ausgelöst durch die dargestellte "Sexsucht” von Michael Fassbender, der als "Sklave” seines eigenen geschaffenen Kosmos agieren durfte, einst den Verlust von seelischer Freiheit bzw. Individualität des Menschen in extremen Lebens-Situationen. Also die durch ein korrumpierendes Umfeld (gesellschaftliche Anerkennung fand nur in einem oberflächlichem Rahmen statt) entwickelte Unfähigkeit, sich an Menschen wieder auf gesunde Art und Weise binden zu können, sprich die persönliche Enteignung. Im nun folgendem Drama aus dem Jahre 2014, "12 years a slave”, wird das Publikum erneut nicht mittels der klassischen Erzählform, sondern Dank des bekannten, artifiziell-intellektuellen, künstlerischen Blickes Steve McQueens mit DEM beschämenden Gefühl konfrontiert, welche Konsequenzen die menschliche Sklaverei abseits von historischer Verortung nun einmal mit sich bringt. Diese trägt in "12 years a slave”, ähnlich wie in "Shame”, ebenso zum Verlust von Freiheit, Individualität bzw. Kontrolle über das eigene Leben zu Tage. Nur wird dieser Verlust / diese Enteignung nun stärker denn je durch die eigenen Mitmenschen zu Tage gefördert. Diese Abartigkeit des Menschen wird in "12 years a slave”, ähnlich wie in "Shame”, durch diverse Anamnesen der Gesellschaft hervorgerufen als auch genauestens skizziert. Und aktuell auch ellipsenhaft thematisiert, wenn sich Steve McQueen in chronologisch-analytischer Art und Weise mit den Lebensabschnitten Solomon Northups beschäftigt bzw. im nachhinein mit dem Erzählrythmus des klassischen Erzählkinos / des Biopic-Genres für das Publikum teilweise etwas überraschend und irritierenderweise bricht, wenn er die notwendige Koheränz zwischen einzelnen Etappen des Lebens von Solomon Northup in "12 years a slave” zeitweilen / zunächst nicht herstellen möchte. Man bleibt immer nahe am Geschehen und den Protagonisten, Steve McQueen lässt sich zu Beginn seines aktuellen Dramas etwas mehr Zeit, um das Publikum nach und nach in ein aufrichtig anmutendes Horrorszenario bzw. eine (konstruierte) Welt zu versetzen, in der vordergründig betrachtet erst einmal alles ästhetisch geradezu verwöhnend erscheint. Das Licht der Kamera fällt in die Welt mit ihrer später thematisierten "Berechtigung” der Sklaverei immer richtig, welche sich immer am idealen Ort befindet. Das Publikum wird in eine aseptisch / optisch klinisch rein wirkende Welt versetzt, in der nichts falsch zu sein scheint. Und doch wirkt die gesamte Welt in "12 years a slave” wie von einer Blutarmut befallen, einfach ZU perfekt. Und das nicht ohne Grund. Sie ist nämlich eine verlogene, die immer zum unerwarteten Zeitpunkt in sich zusammenfallen muß. "12 years a slave" offenbart sich somit zum einen als versuchte Dekonstruktion Steven Spielbergs einstiger und Quentin Tarantinos aktuell (etwas) naiver Hollywood -Südstaaten- und Schwarzen-Abenteuer als auch Dramen wie zynischen Westernromantiken "Amistad" und "Django Unchained", welche in der Errettung der Welt nach Abschaffung der Sklaverei gipfeln, nachdem alle Hindernisse zur Zufriedenheit des Publikums beseitigt sind. Solomon Northup hat es "12 years a slave” im Gegensatz zu Cinqué aus "Amistad" als Feingeist zu Ruhm und Wohlstand gebracht, er beherrscht ein musikalisches Instrument beinahe meisterhaft. Und nebenbei schaut er Dank seiner feinen Kleidung ziemlich gut aus, eher wie ein moderner Vorzeigebürger, ja wie eine idealisierte Kunst- und weniger an die Historie angelehnte Figur, welche ALLE unterdrückten Gesellschaftsschichten (in einem metaphorischen Sinne) in einem Atemzug verkörpert. Auch wenn uns diese Figur zwecks eines Bezugs zum aktuellen Zeitrahmen als Mensch mit schwarzer Hautfarbe erscheint. Für den Barrack Obama unübersehbar Pate stand. Also den aktuellen, US-amerikanischen Kongressabgeordneten persönlich und der etablierten, weißen Oberschicht einer (vergangenen und aktuellen) Ära Konkurrenz machen könnte. Steve McQueen´s Intention in "12 years a slave" liegt also darin begründet, Dank Chiwetel Ejiofor´s Darbietung als Solomon Northup die verlogene, ehemalige und heutige Gartenzaun-Spießer-Idylle einer im engeren amerikanischen als auch im erweiterten Sinne heutigen, modern-globalen Gesellschaft zu entlarven, in der Menschen weißer und anderer Hautfarbe ihren Wohlstand eigentlich gleichermaßen genießen könnten. Und welche auch heute kein rechtes Verantwortungsgefühl für ihre Taten entwickeln im dargestelltem Falle der Entführung / Freiheitsberaubung Solomon Northups möchte. Welche vor allem durch die Furcht der weißen Gesellschaftsschicht begründet wird, das sich eine andere Gesellschaftsschicht in der Zukunft als weiser / kultivierter / in Sachen Menschlichkeit überlegener bzw. seelisch cleaner als man selbst entpuppen könnte. Und auch die Kleidung Solomon Northups trägt zum Ausdruck der persönlichen Kultivierung bei, welche ihm nach seiner Entführung und den ersten Demütigungen entwendet wird: der für kurze Zeit gesellschaftlich-gültige Status Quo zwischen der Titelfigur und Weiß wird aufgelöst, Weiß gewinnt wieder einmal die Oberhand und etabliert sich als Institution, als Quasi(Über)Macht. Regisseur Steve McQueen beschäftigt sich in "12 years a slave" also nur oberflächlich betrachtet mit der einfachen Ent-Existenzialisierung des armen und schwarzen Opfers, das nur Schläge und Schmerzen in der Sklaverei erdulden muss. Sklaverei ist eine schlimme Sache, das wissen wir ja alle. Viel interessanter erscheinen im Hinblick auf sein Existenzial-Drama "12 years a slave” eher seine gestellten Fragen und die dazugehörigen Antworten auf das wieso, weshalb, warum die Mittel der Sklaverei nicht nur im üblichen Rahmen der eigenen, aufgestellten Regeln und (wenigen) Gesetze vergangener Dekaden, sondern über das Bedürfnis von politisch-wirtschaftlichen Interessen hinaus ihre Existenzberechtigung haben. "12 years a slave" verströmt innerhalb von 135 Laufzeit den Gestus einer unterkühlt wirkenden, manchesmal leicht selbstzweckhaften-psychologischen Analyse, ja den Sexappeal einer akademischen Versuchsanordnung, an dem das Publikum wie bei(m) sogenannten, berühmt- berüchtigtem Milgrant-Experiment und einem filmischen Essay-Versuch teilnehmen darf. Welches nun in einem digitalen Umfeld (Bild und Ton) transferiert stattfindet. Um primär herauszufinden, wo die Grenze der EIGENEN, menschlichen Hemmschwelle liegen, um anderen Mitmenschen ernsthaften (körperlichen und psychischen) Schaden zu zufügen: dazu benötigt man jemanden, der dieses Experiment leiten kann (Steve McQueen als Regisseur), jemanden der dieses wie mit chirugischer Präzision durch eine Peitsche ausführt (Michael Fassbender als im Verlaufe teuflischer Sklaventreiber) und zu guter letzt diejenigen, die gefügsam sind (das Publikum selbst). Und bei diesem werden dann die entsprechenden Regler, ab und an sogar bis zum maximalen Anschlag hin bedient, so das es sich durch die Verschmelzung von Schauspiel (die drei Formen der Kommunikation), Bild, Vertonung und Filmschnitt bei Beobachtung zeitweilen entsetzt alleine vom Geschehen entweder abwendet (weil es noch nicht vollständig abgestumpft ist), wenn Michael Fassbender als Edwin Epps Dank einer Vielzahl von zunächst knallharten, dann immer unmenschlich werdenden Peitschenhieben zum Beispiel zur Tendenz neigt, Sklavin Patsey (überzeugend: Lupita Nyong'o) Dank eines Stück entwendeten Stück Seifes zu ermorden. Aber geht es in diesem gezeigtem Fall wirklich nur um ein Stück Seife? Was bedeutet es eigentlich für unterdrückte Menschen, ein Stück Seife zu besitzen, welche Konsequenzen werden dadurch gefürchtet? Der Besitz von Seife gilt als Zeichen von Reinlichkeit, Humanität, welche zur gesellschaftlichen Anerkennung führt. Durch gesellschaftliche Anerkennung ist der soziale Aufstieg problemlos möglich. Ein sozialer Aufstieg führt widerum zu mehr Macht und Einfluss, welcher gefürchtet und im nachhinein religiös-fundamentalisiert (teilweise wie im gespielten Fieberwahnsinn Michael Fassbenders) vom System im gesellschaftlichen System abgewendet werden muss. Gegen das auch ein vermeintlich "guter" Sklavenaufseher wie William Ford (gut: Benedict Cumberbatch) am Ende den kürzeren zieht. "Die schwarze Agenda ist die linke Agenda, die fortschrittliche Agenda und war immer die beste Agenda für die USA." - 12 years a slave ist also Steve McQueens Analyse der eigenen Angst vor dem (notwendigen) aufbrechen des bisherigen Glauben an eine bestimmte Art von Fortschritt, welche auch Solomon Northup länger an korruptes System innerhalb eines Systems fesselt als auch nach 12 Jahren nicht mehr loslassen möchte. Und was geschieht nebenbei mit dem Rest des Publikums, das, beobachtet man es bei Sichtung von "12 years a slave" sorgfältig, auch viele weitere, einstürzende Geschehnisse recht interessiert, aber emotional eher unbeteiligt weiterverfolgt, etwa wenn Solomon Northup mehrere Tage an einem Ast hängend von allen, die sein Schicksal auf einer Sklavereiplantage teilen, ignoriert um sein Leben kämpft? Und dieses teilweise auch bereits kurz davor stand, den Kinosaal seines Vertrauens zu verlassen, wenn es mit Szenen härtester, zwischenmenschlicher Gewalt konfrontiert wurde? Warum hat es sich nicht entgültig vom Geschehen abgewendet, was hielt es im innersten davon ab? Ist es etwa Steve McQueens inszenatorischen Unvermögen geschuldet, einen anderen Teil des Publikums emotional nicht erreicht zu haben, obwohl er dafür nur Dinge wie Bild, Ton, Schnitt und Schauspiel zur Verfügung hat, die miteinander verschmelzen, um Gefühle wie körperlichen, seelischen Schmerz und Verantwortungsgefühl zu erzeugen? Nein. Es gibt dafür einfach keine anderen Mittel wie die klassischen, bekannten Formen der Kommunikation im hier und jetzt und auch in Zukunft nicht, egal ob man sich der üblichen, epischen Erzählweise Hollywoods verschreibt oder nicht. Wir haben es bei Sichtung von "12 years a slave" also eher mit einem interessanten Phänomen zu tun, das Steve McQueen einfach nur analysieren / tiefer ergründen möchte: "12 years a slave" ist die konsequente Dechiffierung der gesellschaftlichen Abartigkeit innerhalb der gesellschaftlichen Abartigkeit im Breitwand-Kinoformat. Steve McQueens Drama "12 years a slave" sagt uns über unser scheinheiliges, gesellschaftliches Verhalten bei Sichtung eine Menge aus. WIR sind die Teufel der Gesellschaft, denn die Sklaverei ist in mittlerweile ideologisierter Form auch in der Moderne immer noch präsent. Und niemand weiß, wie lange dies noch anhalten wird. Folgerichtig kann es am Ende von "12 years a slave" , wenn Solomon Northup nach Hause zurückkehrt, kein Happy End, keine wirkliche, sondern nur eine vermeintliche Freiheit / Erlösung geben."Unable to testify against whites in the nations capital, he lost the case against the slave pen power, James Burch..." -
Die finalen Texttafeln machen dies sogar noch einmal deutlich. Aber neue populärwissenschaftliche Erkenntnisse zum entsprechenden Thema, also zur Perversion der menschlichen Natur, bleiben trotz Steve McQueens Aufrichtigkeit, der vordergründigen inszenatorischen Makellosigkeit und dem Ehrgeiz, dem Publikum am Ende etwas ganz wichtiges mitteilen zu wollen, am Ende von "12 years" a slave leider dann doch Mangelware. Steve McQueen koch letzten Endes auch nur mit Wasser. Er ist als Regisseur nun einmal kein Prophet, kein geistiger Vordenker wie einst Stanley Kubrick, der uns am Ende eine durch die pure Kraft der Bilder vemittelte Vision davon präsentiert, wie die Menschheit sich entwickeln sollte. Oder ein Jean-Luc Godard, dessen Gesellschaftskritik uns noch süffisant-prägnanter erscheint. Sondern nur ein zweifelsfrei talentierter Regisseur, der trotz aller inszenatorischen Trockenheit / leichten Sterilität von "12 years a slave" sich in Interviews gebückt auf einem Stuhl, ja sich eher wie zu guter letzt verwunded verhält. Und (zu Recht) eher zu einer wichtigen, gesellschaftlich kontrovers geführten Debatte beitragen, sprich eher wie ein kleiner Orson Welles eine entsprechende Moral unter die Menschen bringen möchte. Auch wenn sie in "12 years a slave" zunächst nicht immer allzudeutlich, durch Brad Pitts (gespielte) und gut gemeinte Auseinandersetzung mit Michael Fassbender später aber sehr deutlich vorgetragen wird. Und Dank eingestreuten Dialogen etwas zu sehr an der eigenen Oberfläche kleben bleibt. Unsere Gesellschaft schaut dem Geschehen (auch den überlebenden) in "12 years a slave" als Abbild unseres vergangenen und gegenwärtigen befindens teilweise entsetzt zu. Und versucht auch den morgigen Tag wieder einmal zu überleben. Aber lebt sie ihr Leben wirklich so, wie es eigentlich im innersten vorschwebt? Am Ende wohl kaum. Fazit: Unter dem Strich präsentiert uns Steve McQueen mit seinem ambitionierten Drama "12 years a slave " also einen sehr sehenswerten, filmischen Essay über unsere eigene verdorbene, menschliche Natur, der es handwerklich problemlos mit den besten den US-amerikanischen Filmen der letzten Jahre aufnehmen kann. Dennoch wird mit der eigenen Hochglanz-Optik am Ende kein neuer Akzent im Genre gesetzt. Dem vorherrschenden Hype wird "12 years a slave" zwar zu keiner Zeit gerecht, dennoch darf sich Steve McQueens neben neben den zwei besten Filmen im Genre, die sich mit dem Thema Sklaverei näher beschäftigen, positionieren.Wertung: 7.5/10 Punkte