Fred Reed, ein ehemalige US-Soldat und Mitarbeiter von Militärzeitungen, setzt sich kritisch mit der Verklärung des Soldatentums auseinander.
Soldatenehre – als ehemaliger Marineinfanterist bestreite ich, dass es die überhaupt gibt
Von Fred Reed – INFORMATION CLEARING HOUSE, 02.11.11
Menschen mit schlecht entwickeltem Unterscheidungsvermögen reden häufig von der so genannte Soldatenehre und halten Mut, Zuverlässigkeit und Aufrichtigkeit für militärische Tugenden; sie behaupten sogar, in einer Zeit des moralischen Verfalls halte nur noch das Militär an diesen Tugenden fest, und unsere Truppen brächten auf Schlachtfeldern in Afghanistan oder anderswo hehre Opfer, um unsere Freiheit und unsere Demokratie zu verteidigen. Ist das nicht alles Nonsens? Soldatenehre? Ein Soldat ist doch nur ein Killer mit staatlicher Lizenz, der sich überhaupt nicht moralisch verhalten kann. Sobald er sich dem Militär anschließt, muss er dazu bereit sein, jeden umzubringen, der zum Feind erklärt wird, unabhängig davon, ob er jemals etwas über das Land gehört hat, in dem er morden muss, oder ob ihn dessen Einwohner persönlich bedrohen. Wie kann das ehrenhaft sein? Das ist doch eigentlich nur ein Grund, sich ein Leben lang zu schämen.
Es ist seltsam, dass so viele Soldaten behaupten, Christen zu sei. Der christliche Glaube ist mit dem Soldatenhandwerk unvereinbar; was Soldatenpfarrer unter Christentum verstehen, würde Christus mit Abscheu von sich weisen. Die Erklärung dafür liegt natürlich in der moralischen Schizophrenie des Soldaten. Innerhalb seines eigenen Stammesgebietes oder seiner gewohnten Umgebung, die er als „sein Land“ betrachtet, ist er oft ein Musterbeispiel für moralische Integrität. Er fällt nicht aus der Rolle, tritt weder seinen Hund, noch schlägt er seine Kinder; er ist höflich, achtet auf persönliche Hygiene und hilft uneigennützig bei Naturkatastrophen. Ein Zuverlässigkeit aus strahlender offener Blick und ein fester Händedruck verstärkten den äußeren Eindruck der Rechtschaffenheit. Aber im Konflikt mit Ausländern beginnt er sofort zu morden und zu brennen, zu vergewaltigen, alles zu zerstören und rücksichtslos zu foltern. Er verhält sich wie ein verwilderter Hund, der sich dem Verhalten des Menschen angepasst hat.
Bringen Soldaten Opfer? GIs bringen doch keine Opfer. Sie werden selbst geopfert – für egomanische Politiker, für dicke Verträge mit Rüstungsfirmen, für die Aktionäre der Rüstungsindustrie, für verweichlichte Patrioten, die sich in ihren Wohnzimmern räkeln, selbst aber niemals Soldatenstiefel getragen haben. Soldaten kämpfen nicht aus Liebe zu ihrem Vaterland, sondern um selbst am Leben zu bleiben, und aus Angst, als Deserteure bestraft zu werden. Wenn Sie das bezweifeln, müssten Sie nur den Männern in Afghanistan sagen, sie könnten straffrei mit dem nächsten Transporter nach Hause fliegen, und dann abwarten, wie viele bleiben würden. Die Soldaten werden manipuliert wie Hähne vor einem Hahnenkampf, die nur zwischen Kampf und Kochtopf wählen können.
Wer die blutige Absurdität des Militärs verstehen will, muss sich an das ursprünglich vorherrschende Bedürfnis der Menschheit erinnern, Sippen zu bilden, die mit anderen Sippen um die Beute kämpfen. Das ist der einzige Trieb, der zuweilen stärker als der Sexualtrieb ist. Deshalb gibt es Stämme, Football-Teams, die Jugendbanden Crips und Bloods , Religionskriege, fanatische politische Parteien und den Patriotismus; letzterer ist überhaupt das Allerletzte. Besonders Männer sind so geprägt, dass sie kriegerische Horden bilden, um hirnlos über andere Horden herzufallen, dass sie Parolen brüllen, statt Argumente auszutauschen, dass sie sich um Vierzig-Yard-Pässe balgen und mit Schwertern, Schiffsgeschützen oder weißem Phosphor einander umbringen. Soldaten fallen wie Hunderudel oder Ameisenvölker übereinander her und wollen Menschen sein. Heutzutage werden moralinsaure Vorwände für Kriege erfunden, voller sacharinsüßer Versprechungen und ekelerregender Heuchelei. Wir töten Menschen, um sie frei zu machen, wir schlachten Familien ab, denen wir Demokratie versprochen haben. Die menschliche Rasse hat sich gerade so viel Zurückhaltung auferlegt, dass sie edle Motive vortäuscht, wenn sie Kinder verbrennt. Trotzdem bleibt die Feindseligkeit der Horde gegenüber Außenstehenden der primäre Antrieb für alle Kriege, und die dafür vorgebrachten Gründe erinnern an Christbaumschmuck.
Am schlimmsten ist, dass Kriege eigentlich um nichts geführt werden. Es geht nur darum, Krieg zu führen, und das Ausleben der Aggression ist wichtiger als die Kriegsbeute. Auch in der Politik werden Debatten häufig weniger um Inhalte als aus dem Bedürfnis heraus geführt, dem politischen Gegner seine Verachtung zu zeigen; wenn sich zum Beispiel, Grüne und Kapitalisten mit irrationalen Beleidigungen beschimpfen, gleichen sie Wilden die sich zum Kampf aufputschen. Das Aufplustern dient dabei als Vorspiel.
Armeen und Nationen brauchen Feinde. Da unsere Instinkte mehr auf Zweikämpfe oder Wirtshausprügeleien als auf ausufernde industriell geführte Kriege ausgerichtet sind, suchen Soldaten immer die atavistische, durch Adrenalin geförderte Befriedigung eines schnellen K.o.-Sieges. Sie sind stets optimistisch und glauben an einen glücklichen Ausgang. Sie hoffen auf schnelle Entscheidungsschlachten, Spaziergang-Feldzüge und Blitzsiege, selbst wenn sie aus Erfahrung wissen, dass es sie nicht geben wird. Soldaten wollen über die Bastarde – über irgendwelche Bastarde – herfallen, es ihnen zeigen und die Angelegenheit ein für allemal erledigen – brutal, wie im Rausch und im offenen Kampf. Wie in Azincourt , wie bei Piketts Angriff oder wie Themistokles – ganz genau so.
Wenn Sie nicht glauben, dass militärische Aktionen rauschhafte Zustände verursachen können, haben Sie noch keine nächtlichen Flugoperationen auf einer Flugzeugträger- Gruppe miterlebt;wenn die Tomcat-Jets mit lautem Knall vom Flugdeck katapultiert werden, wenn die starken Triebwerke aufheulen, wenn der Abgas-Strahl mit einer Geschwindigkeit von 30 Knoten (ca. 56 km/h) über das Flugdeck fegt, wenn es nach verbranntem Kerosin stinkt und wenn die Männer an Deck einen komplexen und gefährlich erscheinenden Tanz in den Weiten des Pazifiks aufführen, wirkt das wie eine Droge. Auch das ist ein Grund für immer neue Kriege. Als seine Kampfjets Kabul, Quang Tri oder Bagdad verwüstet haben, hat sich das Pentagon jedes Mal gewundert, dass zornige Männer mit Gewehren aus ihren Löchern krochen und sich zur Wehr setzten, und ist jedes Mal in ein unbegreifliches Desaster geschlittert, das Jahre später mit einer Niederlage geendet hat oder enden wird. Die Verführungen des Krieges sind mit Sachargumenten offensichtlich nicht auszubremsen. Die Armeen der Ersten Welt mussten immer wieder ihrer hormonell bedingte Selbstüberschätzung büßen: die Franzosen in Vietnam, die US-Amerikaner in Vietnam, die Russen in Afghanistan, die Franzosen in Algerien, die Israelis im Libanon, die US-Amerikaner im Irak und die US-Amerikaner in Afghanistan.
Militärs sind einfach nicht lernfähig. Soldaten lernen nichts dazu, weil sie sich mehr für rauschhafte Gemütszustände als für sachliche Erwägungen interessieren. Ihre kriegerischen Unternehmungen sind immer romantisierend verklärt. Der begeisternde Tiefflug einer bombardierenden F-16, das Überwintern der Legionen am Limes, Fahnen, Sturmangriffe, die Poesie und die intensiven Gefühle, die darin stecken. „Hurra!“ – „Der Tod kommt von oben!“ – „Die gefährlichste Sache der Welt ist ein Marineinfanterist mit seinem Gewehr.“ – „Zerquetscht ihre Schädel und esst ihre Gesichter.“ Mit solchen Slogans, die eher zu Elfjährigen passen, putschen sie sich auf. Man wird an die Erregung erinnert, die einem bei einem Basketball-Spiel in der Schule befallen hat. Lichter, gespannte Erwartung, wirbelnde Cheerleader-Mädchen, die den Spielern Unbesiegbarkeit suggerieren sollen. „He, he, was zögerst du, nimm den Ball und mach in rein!“ – „Ricky, Ricky, das ist unser Mann! Wenn er’s nicht kann, wer denn dann?“ – „Hurra!“
Diejenigen, die Soldaten ausbilden und bewaffnen, lassen sich nicht von Illusionen leiten. Hinter den Kulissen wird alles getan, damit das Metzgerhandwerk des Soldaten möglichst blutig bleibt. Als ich beim Militär war, gab es Versuche mit Schrapnells aus blutrotem Plastik, deren Splitter, wenn sie in den menschlichen Körper eindrangen, auf Röntgenbildern nicht zu sehen waren; damit wollte man es dem Feind schwerer machen, seine verwundeten Soldaten zu retten. In einem Handbuch zum Atomkrieg gab es die Anweisung, tödlich verstrahlte Soldaten bis zum letzten Atemzug weiterkämpfen zu lassen. Wie konnte erreicht werden, dass sie weiter schossen, bevor sie kotzend in den Tod taumelten? Dafür wurde der entlarvende Ausdruck „Gelände-Bereinigung“ benutzt. Soldaten sind zwar so leicht wie Kampfhähne zum Hass auf alle anzustacheln, die zu Feinden erklärt wurden, sie wissen aber auch, dass ihre Taten zu Hause nicht so gut ankommen. Bilder von einem Verwundeten mit einem Bauchschuss, dem die Eingeweide heraushängen, oder von einer Frau, die sich über einen blutigen Fleischklumpen beugt, der einmal ihr Kind war, könnten die Anwerbung von Rekruten erschweren. Deshalb sind alle Armeen verzweifelt bemüht, die Verbreitung von Fotos zu verhindern, auf denen von ihnen gefolterte oder verstümmelte Menschen zu sehen sind, und stellen alltägliche Gräueltaten, wenn sie bekannt werden, als „bedauerliche Einzelfälle“ dar. Auch Bilder von schrecklich entstellten Soldaten werden aus den Zeitungen ferngehalten. Bei extremer Empfindsamkeit könnten sie vielleicht auch bei „Hurra-Schreiern“ manchmal moralische Skrupel hervorrufen. Während des Vietnam-Kriegs wurden solche schädlichen Fotos noch veröffentlicht. Bei der gut kontrollierten Presse von heute gibt es dieses Problem nicht mehr. Wenn das unter Ehre zu verstehen ist, kann ich darauf verzichten. Oo.rah!
(Oo.rah ist der Schlachtruf der US-Marineinfanterie)
Fred Reed beschreibt sich selbst als ehemaligen Lohnschreiber mit widersprüchlicher Vergangenheit. Früher hat er für die Army Times, The Washingtonian, Soldier of Fortune, Federal Computer Week und die Washington Times gearbeitet. Heute betreibt er den Blog fredoneverything.net.
Quelle:
- Mit freundlichem Dank an Luftpost KL