Man sieht sie noch recht häufig auf Korsika: Hôtel des Touristes. Hôtel du Tourisme (auch hier). Hôtel des Étrangers. Meist in Dörfern oder Kleinstädten, wo sie früher das einzige Haus am Ort waren, in dem Reisende Herberge fanden. Früher, als das Wort Tourist noch einen gänzlich anderen Klang gehabt haben musste. Touristen, das waren Menschen, die einige Beschwernisse auf sich nahmen und einen gehörigen Aufwand betrieben, um in diese kleinen Orte zu reisen. Zur Erholung, zum Durchlüften, zum Tapetenwechsel. Touristen waren höchst willkommen. Schließlich brachten sie Geld ins Dorf. Man baute ihnen solide, gut geführte Hotels, sie sind es zum großen Teil bis heute – in ihnen abzusteigen, da kann man nichts falsch machen.
Im wunderbaren, alten Hôtel de la Poste in Aullène, im Süden der Insel, hatte der Patron Jeannot vor gut 20 Jahren Broschüren für die Gäste angefertigt, in denen er Wander-, Fahrrad- und Autotouren beschrieb. Komplett mit Skizzen und Höhenprofilen. Er legt sie Gästen gern heute noch auf den Tisch, zerlesene, mit der Zeit dunkel gewordene Hefte – mit seinen besten Empfehlungen. Seine Vorworte beginnen stets mit der Anrede: Chers amis touristes,… Kann man sich das heute noch vorstellen, mit “Lieber Freund Tourist” angesprochen zu werden?
Dieses Foto entstand an einem Abend in Calvi, im Nordwesten Korsikas. Plötzlich zog eine lange Schlange älterer Herrschaften durch die Altstadt. Die Rollkoffer schepperten und klackerten über das Kopfsteinpflaster. Sie waren auf dem Weg zu ihrem Hotel. Wahrscheinlich hatte man der Gruppe, offenbar eine Busbesatzung, ein Hotel im Herzen der Altstadt oder etwas in der Art versprochen. Was man ihnen nicht angekündigt hatte, war, dass sie dorthin ein paar hundert Meter zu Fuß gehen mussten, samt Gepäck. Und das mitten über die touristische Hauptmeile des Städtchens. Es war ein Spießrutenlauf. Ihr Weg führte durch ein Spalier arroganter Verkäufer von Touristennippes und Fast Food. Vorbei an Caféterrassen, auf denen andere Touristen bei einem späten Cappuccino oder einem Aperitif saßen und die kofferziehenden Neuankömmlingen feixend und hämisch begafften. Damit hatte diese Reisegruppe nicht rechnen können: Dass man sie fast offen auslachen, mit höhnischem Grinsen auf ihrem Weg begleiten würde.
Als sich der Zug vor dem Hotel staute, waren die guten Leute fertig mit den Nerven. Gut 50 Gäste auf einen Schlag einzuchecken, das dauerte. So blieben sie stehen wie auf einer Präsentierbühne. Wortwechsel zischten hin und her. Von hinten wurde gedrängelt, was die Situation nicht besser machte. Man konnte die Entrüstung und die Empörung über diese demütigende Anreise mit den Händen greifen.
Vom cher ami touriste zum verspotteten Kofferschlepper – auch eine Geschichte des Reisens.