(von: Monique Ligtenberg / Sarah Schmidlin)
In jedem Hochsommer, dieses Mal zum 43. Mal gibt es für mehr als eine Woche Musikgenuss eingebettet in die hübsche Altstadt Winterthurs. Die Winterthurer Musikfestwochen sind bereits in vollem Gange und durften bereits mit einigen Highlights auffahren. Am Mittwoch waren das die deutschen Indie-Rocker Von Wegen Lisbeth und am Donnerstag, darüber wollen wir nun reden. Da gab es auch zwei Acts deren Tiefgang wir nun etwas vertiefen wollen: Matt Maltese und Ghostpoet.
Matt Maltese – Kirchplatz, 20.30 Uhr
Gerade beim Übergang von Regen zu Abendrot spielte der britische Singer/Songwriter Matt Maltese auf dem Kirchplatz (2min von der Hauptbühne an der Steinberggasse entfernt). „Brexit Pop“ hiess es in der Beschreibung – vom Politischen fehlt in seiner Musik allerdings jede Spur. Ausser man dehnt den Begriff „Politik“ so weit aus, sodass alles als Politik bezeichnet werden kann, so auch beispielsweise die Spannungsfelder menschlicher Beziehungen: Matt Maltese und seine Band klingen in etwa so wie die verwandten Süssigkeiten (no sponsorship, leider). Sie sind von zuckersüssen Melodien und Instrumentierung umrandet und haben einen krossen Kern. Viele Songs gehen inhaltlich um Verzweiflung, Drogenkonsum und Hilflosigkeit und klingen gleichzeitig wie die Zuckerschicht auf einer hausgemachten Crème brûlée.
Matt Maltese wird bislang als versteckte Perle, als Newcomer gehandelt. Die Songs vom Debutalbum „Bad Contestant“ waren live sehr schön umgesetzt Hört man sich jedoch Songs an wie „As The Wold Caves In“ (den er fast zum Schluss gespielt hatte), dann fühlt man vor allen Dingen ein Grossformat, das seinesgleichen sucht.
Nach diesem Konzert suchten wir weiter – und es verschlug uns auf die Steinberggasse.
Ghostpoet – Steinberggasse, 21.30 Uhr
Vom überschaubaren Kirchplatz begeben wir uns gleich im Anschluss zur Steinberggasse, wo uns das nächste Highlight erwarten soll: der britische Sänger Ghostpoet.
In der Programmbeschreibung der Musikfestwoche wird Ghostpoet unter der Kategorie „Various/Poet“ aufgeführt. Und tatsächlich lässt sich sein musikalisches Schaffen nicht problemlos in übliche Genrekorsett zwängen. Obaro Ejimiwe – wie Ghostpoet mit bürgerlichem Namen heisst – ist bekanntlich selbst kein grosser Fan von Stil-Labels.
Durchaus zutreffend ist hingegen auf alle Fälle die (Selbst-)Bezeichnung „Poet“. Und die Atmosphäre an der Steinberggasse ist definitiv eines grossen Dichters würdig: Von charmanten Altbauhäuschen umgeben und mit bunten Lampen beleuchtet, erstrahlt die Konzertlocation in ihrer vollen Pracht. Selbst Ghostpoet unterbricht etwa in der Mitte des Konzerts seine musikalische Darbietung, um die Vorzüge der Winterthurer Altstadt zu kommentieren: „Wow. This is really beautiful here.“
Ähnlich poetisch ist auch der Beginn des Konzerts: Mit dem ersten des Abends „Many Moods At Midnight“ – der Titel selbst schon eine Alliteration wie aus dem Schulbuch – bietet Ghostpoet einen sehr sphärischen Einstieg. Mit seiner tiefen, angenehmen Stimme und begleitet von Geige, Keyboard, Schlagzeug, Gitarre und Bass zieht er das Publikum sofort in seinen Bann. Obwohl die Gasse gut gefüllt ist, kommt eine intime Atmosphäre auf, was nicht nur am umliegenden Altbaucharme liegt, sondern auch an der Tatsache, dass der britische Sänger die Kontaktaufnahme mit dem Publikum zu keinem Zeitpunkt scheut.
Doch poetische Tiefgründigkeit ist nicht das einzige Credo des Abends. Denn auch tanzbare Titel werden zu Genüge dargeboten. So etwa „Cash and Carry Me Home“, eine Singleauskopplung aus dem ersten Ghostpoet-Album „Peanut Butter Blues & Melancholy Jam“. Das Attribut „tanzbar“, das der Song mit sich bringt, verleitet nicht nur das Publikum zu mehr Bewegung, sondern auch Ghostpoet selbst: Mit gewagten Sprüngen und gekonnten Dancemoves bringt er Energie in seine Show. Spätestens in diesem Moment wissen wir: Ghostpoet ist eben nicht nur Poet, sondern auch Rockstar.
Eine nachdenkliche Stimmung kommt auf, als Obaro Ejimiwe, der selbst in Nigeria geboren wurde, den „Immigrant Boogie“ anstimmt. Der 2017 veröffentlichte Song, der sich mit gegenwärtigen Flüchtlingsbewegungen auseinandersetzt, nimmt traurigerweise laufend an Aktualität zu.
I was dreaming of a better life
With my two kids and my lovely wife
But I can’t swim and water’s in my lungs
So, here it ends, well, life has just begun
Nicht lange lässt und Ghostpoet jedoch in unserer Nachdenklichkeit verweilen. Denn mit „Freakshow“ folgt schon bald ein Hit, den zumindest in den vorderen Reihen des Publikums jedem bekannt sein sollte. Das Encore „Off Peak Dreams“ bildet einen runden Abschluss des gelungenen Abends.
Ghostpoet bot ein Konzert, an dem sowohl getanzt, „gefühlt“ und nachgedacht werden kann – was könnte man sich an einem Donnerstagabend mehr wünschen? In diesem Sinne: ganz viel Wintilove für Ghostpoet und die Musikfestwochen!