Die ‚terra ukera’ wird seit dem Spätmittelalter als Uckermark bezeichnet eine historische Landschaft in Nordostdeutschland, die heute zum größten Teil im Bundesland Brandenburg liegt; wegen der hügligen Landschaft, die sich auch optisch von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern abhebt wird gelegentlich als die ‚Toskana des Nordens’ bezeichnet. In dieser beschaulichen Landschaft lag das Konzentrationslager Uckermark, eins der Konzentrationslager, dass eher zu den ‚vergessenen’ Lagern gehört, denn nicht nur die ehemaligen Täter und Täterinnen schwiegen um die Vorkommnisse in diesem Lager, was eher verständlich erscheint, auch die meisten überlebenden Opfer schwiegen bis heute, meistens aus Scham und Angst vor der Meinung der Gesellschaft. Doch auch Historiker haben sich bis heute um die Vorkommnisse in diesem Konzentrationslager wenig gekümmert, so gibt es kaum noch Unterlagen über diese Konzentrationslager und wissenschaftliche Aufarbeitungen sind mühsam zu finden.
Die Konzeption dieses Lagers war eine besondere, denn es war ein Lager für weibliche Jugendliche, die den Erziehungsidealen zum ‚deutschen Mädchen’, beziehungsweise zur ‚deutschen Frau’ widersprachen und somit zum Politikum im Nationalsozialismus wurden, das so drängend wurde, dass eigens für diese Personengruppe ein Konzentrationslager errichtet wurde, eben das Lager Uckermark, in der Nähe zum berüchtigten Frauenlager Ravensbrück, ungefähr 100 km nördlich von Berlin. Die ersten 70 Mädchen wurden im Juni 1942 in das Konzentrationslager Uckermark deportiert. Binnen weniger Wochen stieg die Zahl auf 200 Personen an. Bis zum Januar 1945 waren insgesamt bis zu 1200 Mädchen, junge Frauen sowie einige Jungen im KZ Uckermark inhaftiert. Die Haftgründe waren so willkürlich, wie auch unterschiedlich. Neben angeblichen Partisaninnen, kamen Mädchen wegen ‚Rassenschande’ ins Lager, diese hatten Kontakte mit Juden, Sinti, Roma oder ausländischen Zwangsarbeitern. Ferner wurde fast jedes Argument verwendet, wenn Mädchen sich dem System der Nationalsozialisten verweigerten, ob sie der Swingjugend angehörten, den Zeugen Jehovas oder sich für sogenannte ‚entartete’ Kunst interessierten, alles konnte zur Einweisung in das Lager führen. So ist von einem Mädchen bekannt, das sich dem örtlichen Blockwart verweigerte und diesen auch schlug, so das diese als ‚brutale’ Schlägerin denunziert ins Lager kam. Hinzu kamen Obdachlose, Herumtreiberinnen oder einfach junge Mädchen mit denen die Eltern oder ‚Schulbehörden’ nicht zu Recht kamen. Auch eine offene Ablehnung des BDM, des Bundes Deutscher Mädchen, konnte schon, je nach ‚schwere’ des Falls, zur Überstellung in das Konzentrationslager Uckermark führen. Den Mädchen wurde dort schnell klar gemacht, dass sie ein ‚Geschwür’ der nationalsozialistischen Gesellschaft wären und sie deshalb ausgesondert werden müssten, aber durch harte Arbeit und Disziplin ihre ‚Schande’ ausbügeln konnten, wenn sie denn nur wollten. Demütigungen der Mädchen, das Brechen ihrer Persönlichkeit und die Ausnutzung ihrer Arbeitkraft stand hier im Vordergrund der Leitung des Lagers durch die Kriminalrätin Lotte Toberentz, die später, also nach 1945 als leitende Beamtin der Kriminalpolizei unbehelligt weiterarbeitete. Anders erging es zum Beispiel Katharina, die bei ihrer Geburt am 27. Januar1924 in Wien, schon früh das Gefühl der Geborgenheit vermissen musste, denn die Eltern waren bereits geschieden als sie geboren wurde, zumal sie ständig wechselnd einmal beim Vater, dann wieder bei der Mutter leben musste. Im Jahr 1939 fiel sie den nationalsozialistischen Behörden der ‚Ostmark’ auf, weil sie als Gehilfin in einem jüdisch-christlichen Haushalt arbeitete. Bei einer entsprechenden Vorladung ermahnt, „dass ein deutsches Mädel nicht bei Juden zu arbeiten habe…“, entgegnete sie, dass sie sich nicht als Deutsche, sondern als Österreicherin empfinde. Ihre Aussage wurde in den Akten registriert. Einige Monate später wurde Katharina aufgrund zunehmender Spannungen im Elternhaus über die Freizeitgestaltung und das Taschengeld in ein Erziehungsheim überwiesen. Katharina war verzweifelt. Gemeinsam mit anderen Mädchen rebellierte sie im Heim. Sie zerstörten Hitler-Bilder und fertigten Zettel mit der Aufschrift ‚Heil Moskau!’ an. Deshalb wurde Katharina im Alter von 16 Jahren wegen ‚Vorbereitung zum Hochverrat’ zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Nach einer erneuten Heimeinweisung beschimpfte sie den Heimleiter als ‚Nazi-Schwein’. Wenig später erfolgte die Überstellung in das Jugend-Konzentrationslager Uckermark. Katharina überlebte die Haft mit schweren gesundheitlichen, körperlichen wie seelischen, Folgeschäden. Oder wie es Erna Bl., 1925 geboren erging. Sie wuchs als das dritte von insgesamt 7 Kindern eines Brauereiarbeiters im Hessischen auf. Im Alter von 14 Jahren nahm sie eine Stellung als Dienstmädchen und landwirtschaftliche Gehilfin auf einem Gutshof an. 1940 wurden diesem Hof fünf polnische Kriegsgefangene zugeteilt, Erna und der 24-jährige Kriegsgefangene Stefan L. verliebten sich ineinander. Als die junge Frau eine Schwangerschaft offenbarte, kam es zur Denunziation. Stefan L. wurde zunächst in das ‚Arbeitserziehungslager’ Breitenau verschleppt und 6 Wochen nach der Geburt der Tochter am 17.07.1942 von der Gestapo Kassel hingerichtet. Im September 1942 verhaftete die Gestapo auch Erna Bl. und internierte sie bis zum Mai 1944 im Jugend-Lager Uckermark, wo die junge Frau schwere Typhus- und Lungenerkrankungen erlitt, wo ihr Kind geblieben ist, erfuhr sie nie. Die bedingungslose Unterordnung unter das unmenschliche Regime des Nationalsozialismus war Lageralltag im Konzentrationslager Uckermark. Die Aufseherinnen der weiblichen SS forderten Zwangsarbeit sowie die eingeforderten Sekundärtugenden ‚Sauberkeit, Ordnung, Pünktlichkeit und Disziplin’, diese bildeten absolute Dogmen, die durch eine schier unübersehbare Vielzahl von Anordnungen, Appellen und Strafen rücksichtslos durchgesetzt wurden. Den zeitlich unmittelbarsten Eindruck zum Lageralltag in Uckermark schilderte die damals 19-jährige Ruth P., im Mai 1941 wegen einer Beziehung zu einem Franzosen verhaftet und später in das Jugend-Lager Uckermark überstellt, bei ihrer Aussage nach der Befreiung im Lager Bergen-Belsen am 04. Mai 1945 vor dem ‚War Investigation Team’ der britischen 21. Army Group machte: „Es war dort furchtbar schlecht. Es wurde nur von SS-Aufseherinnen geleitet. Die schlimmsten Aufseherinnen waren S., W. und W. Diese 3 haben furchtbar geschlagen und die Menschen zu Tode gehetzt.“ Sie berichtete vom täglichen Frühsport in Hemd und Bluse bei jeder Witterung und Jahreszeit sowie von der Zwangsarbeit im Lager: „Dann mussten wir die schwersten Arbeiten verrichten und jeden Tag 1-2 Stunden Appell stehen. Abends mussten wir dann unter die kalte Dusche. [...] Die Aufseherinnen haben mit Stiefeln getreten und mit Gummiknüppeln geschlagen. Wenn die Mädel nicht mehr arbeiten konnten, wurden sie mit kaltem Wasser übergossen. Wenn sich eine etwas, nur das Geringste, hatte zu Schulden kommen lassen, mussten die Mädel tagelang mit dem Gesicht zur Wand stehen und man hat ihnen 4 Tage nichts zu essen gegeben.“ Den Schwerpunkt der Häftlingsarbeit bildete im Lager Uckermark die Landwirtschaft. Die Jugendlichen arbeiteten hier auf den großflächigen Ländereien benachbarter Gutshöfe, sowohl bei der Aussaat als auch bei der Ernte. Zur Einrichtung einer lagereigenen Gemüsegärtnerei mussten die Mädchen über Jahre hinweg unter großen Strapazen Sumpfwiesen an der Havel urbar machen. In den Sommermonaten wurden die Minderjährigen unter SS-Bewachung zum Beerenpflücken im Wald eingesetzt. Zu den Außenarbeiten zählte ferner, neben dem Be- und Entladen von Kähnen an der Havel, das Fällen und Zersägen von Bäumen zum Zweck der Heizmaterialbeschaffung. Dabei hatten die Mädchen die schweren Stämme auf den Schultern also ohne Inanspruchnahme von Transportmitteln, ins Lager zu schleppen. Im Lager selbst waren die Häftlinge zeitweilig in einer Werkstatt, wo sie Puppen für ‚… Kinder gefallener SS-Männer…’ mit Holzwolle ausstopften und mit der Hand bemalten. Daneben bestand auch eine mit Maschinen ausgestattete Näherei, in der die Jugendlichen im Firmenauftrag Kleidung herstellten und ausbesserten, Strümpfe strickten sowie Uniformrangabzeichen fertigten. Ferner kommandierte man die Mädchen in private Haushalte von SS-Angehörigen ab, sie arbeiteten in der außerhalb des Lagers untergebrachten Küche sowie in der SS-Verwaltung. Ein weiteres Häftlingskontingent war den großen Zuchtbetrieben für Angorakaninchen und Mäuse auf dem Gelände des Jugend-Lagers zugeordnet. Zwei Baracken waren Arbeitsstätten der Firma Siemens, hier wurden Lötarbeiten verrichtet.
Im Januar 1945 wurde das Mädchenlager insofern aufgelöst, dass die Mädchen auf andere Frauenkonzentrationslager verteilt wurden, wie zum Beispiel nach Ravensbrück oder Bergen-Belsen. In den letzten Monaten vor der Befreiung durch die Rote Armee, wurde im Lager Uckermark eine Vernichtungsmaschinerie installiert, Frauen zumeist aus dem Konzentrationslager Ravensbrück wurden hier per Giftspritze, Genickschuss oder durch den Strang ermordet. Man geht heute von einer Zahl zwischen fünf und sechstausend ermordeten Frauen aus, nur für die Zeit der letzten Monate…
Aus Scham und Angst vor der Meinung der Gesellschaft schwiegen viele, ja, die meisten der Opfer des Mädchenlagers Uckermark, öffentlich machten nur eine Handvoll junger Frauen ihr Leid in der Zeit der Internierung, eine Anerkennung als Verfolgte des NS-Regimes, erfolgte äußerst selten, überhaupt dann wenn keine Unterlagen beigebracht werden konnten, oder ein ‚krimineller’ Hintergrund zur Verwahrung vorlag. Sterilisationen wurden nicht als ‚körperliche Beeinträchtigung’ gewertet. Manche Frauen vertrauten sich erst im Alter anderen an, um ihre Erlebnisse zu schildern.
Da die Rote Armee das Lager Uckermark gleich nach der Befreiung der nationalsozialistischen Häftlinge als Kriegsgefangenenlager benutzten und später, bis 1993, als militärischen Stützpunkt, sind alle Unterlagen, einschließlich der Bilder, nicht mehr auffindbar. Heute ist das Gelände verwüstet, eine Gedenkstätte ist noch nicht errichtet, obwohl EU-Gelder dafür durchaus bereitstehen. Historisch sind die Vorkommnisse im ehemaligen Konzentrationslager Uckermark nie gänzlich aufgearbeitet worden, so gehört das Lager heute zu den sogenannten ‚Vergessenen Konzentrationslagern’ und deren Opfer zu einer zumeist unbekannten Größe …
Ein Gedenkstein wurde vor vier Jahren unter großem öffentlichen Druck errichtet.
Weiterlesen:
➼ Das ehemalige Konzentrationslager Lichtenburg
➼ Ort der Zermürbung + Ausbeutung · Das Jugend KZ Moringen
➼ Die ♫ ‚Swinging-Kids’ ♫ im Nationalsozialismus
➼ Sterilisation – Vorstufe der Euthanasie
darüber hinaus:
➼ Die Säuglinge von Indersdorf • Geboren um zu sterben
➼ Frauen im Nationalsozialismus und die Sexualität
➼ Frauen im Nationalsozialismus • Täterinnen in Auschwitz
Bild 1: Plan des KZ Uckermark – Quelle: wikimedia.org · Bild 2: Arbeitrinnen im KZ Uckermark – Quelle: mgf-kulmbach.de · Bild 3: Plakat KZ Uckermark – Quelle: gedenkort-uckermark.de · Bild 4: Gedenkstein KZ Uckermark -Quelle: wikimedia.org