Laila Lalami – The Moor’s Account (liegt noch nicht in Deutsch vor)
1527 entsandte der spanische König eine Expedition in die Neue Welt, nach Florida. Die sogenannte Narváez Expedition, benannt nach dem Mann, der die mehreren Hundert teilnehmenden Soldaten, Priester und Siedler ins Ungewisse führte, war eine Katastrophe. Die Entsandten verloren schnell Kontakt zu ihren Schiffen, verloren einander, starben. Acht Jahre später stieß ein Überlebender der Gruppe, Cabeza de Vaca, im Gebiet des heutigen Kaliforniens gemeinsam mit drei weiteren Überlebenden auf spanische Landsleute. De Vaca verfasste einen Reisebericht in dem er für König und Hof beschrieb, wie die Narváez Expedition verlaufen war. Auch von den insgesamt vier Überlebenden schreibt er; eine Zeile erläutert „Der vierte [Überlebende] ist Estevanico, ein Araber aus Azamor“.
Diese Zeile hat Laila Lalami für ihren grandiosen historischen Roman The Moor’s Account als Grundlage gewählt. Erzähler ihrer Geschichte ist nämlich jener Estebanico, geborener Mustafa ibn Abdussalam al-Zamori, der als Sklave nach Kastillien gelangt ist und von seinem Herren, dem spanischen Edelmann Señor Dorantes, mit in die Neue Welt genommen wird. Als die Expedition mehr und mehr im Chaos versinkt und die beiden Männer aufeinander angewiesen sind um zu überleben, lösen sich die Grenzen zwischen dem Sklaven und seinem Herren zunehmend auf.
Der Reisebericht des Estebanico ist komplett fiktiv, auch wenn er auf tatsächlich stattgefundenen Ereignissen basiert. Jedes Kapitel des Romans ist als eigene Geschichte deklariert:“The Story of La Florida“ erzählt davon, wie die Gruppe an Land geht und wie der Fund eines kleinen Goldnuggets und die Aussage der gefangengenommenen Indianer, dass es mehr Gold im Landesinneren gebe, Narváez dazu verleitet, die Schiffe zurückzulassen und sich mit seiner Expedition in Floridas Sumpfgebiete zu schlagen. „The Story of the Sale“ beschreibt Estebanicos Entscheidung, sich als Sklave zu verkaufen um die Familie finanziell abzusichern. In „The Story of Seville“ erzählt er von seinen ersten Tagen und Wochen in Spanien, von der Zwangstaufe, die ihm denn Namen Esteban einbringt, den Dorantes später in die Verniedlichung Estebanico umwandelt („A name is precious; it carries inside it a language, a history, a set of traditions, a particular way of looking at the world. Losing it meant losing my ties to all those things too“). Besonders in der ersten Hälfte des Buches wechseln sich die Kapitel über die Expedition und solche über Estebanicos Werdegang ab.
Die Art und Weise, auf die Laila Lalami aus einer Zeile in einem historischen Bericht so viele Geschichten, Personen und Schicksale erschaffen hat, ist bewundernswert. Mit Estebanico hat sie außerdem eine Erzählstimme kreiert, die in Klarheit und Bescheidenheit ihresgleichen sucht. Unaufgeregt und trotzdem aufwühlend schreibt Estebanico da von der Art und Weise in der die Portugiesen in seiner Heimat mit den Einheimischen umgehen. Offen beschreibt er, dass er vor seiner Zeit als Sklave erfolgreicher Händler war und selbst am Sklavenhandel verdient hat. Und zuguterletzt ist es faszinierend zu beobachten, wie er und seine Gefährten sich wandeln während sie immer tiefer in den fremden Kontinent eindringen und dabei auf die unterschiedlichsten Kulturen treffen.
Kurzfazit: Eine spannende Verknüpfung von Schicksalen, Kulturen und Historien die kaum unterschiedlicher sein könnten.
Lieblingssatz: Telling a story is like sowing a seed – you always hope to see it become a beautiful tree, with firm roots and branches that soar up in the sky. But it is a peculiar sowing, for you will never know whether your seed sprouts or dies.
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