Kommentar zu Eindrücke einer verlorenen Generation von seitenwandlerin

Pierre Drieu La Rochelle – Die Komödie von Charleroi

„Der Krieg ist niemals rein gewesen. Zum einen wurde er nie einzig von denen geführt, denen er gefiel, und diese waren immer versucht, ihn gegen die anderen zu führen statt gegen ihresgleichen.“

Sechs Novellen sind in diesem Buch vereint. Sie alle drehen sich um die Erfahrungen der „Verlorenen Generation“, um Erlebnisse in den Schützengräben während des Ersten Weltkriegs oder in den Straßen von Paris in den Jahren danach, in denen die überlebenden Heimkehrer ratlos durch diese friedliche Zeit taumeln.

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Die erste der Novellen, die dem Band ihren Namen leiht, folgt einem dieser Überlebenden Jahre nach Kriegsende zurück auf die Schlachtfelder. Im Schlepptau seiner Arbeitgeberin, der reichen Madame Pragen, bereist er die Gegend in der ihr Sohn, sein Kamerad, gefallen ist. Madame Pragen macht aus dieser persönlichen, fast intimen, Erfahrung, ein öfffentliches Ereignis. Sie spendet sein Jahren großzügig an die Dörfer in dieser Gegend damit die Erinnerung an ihren Jungen erhalten bleibt und will nun nicht nur sehen wo ihr einziges Kind gestorben ist, sondern auch die Überreste des Leichnams begutachten, bei dem man davon ausgeht, dass es ihr Sohn sein könnte. Einer Mutter dabei zuzusehen, wie sie sich krampfhaft und mit allen Mitteln bemüht, sich selbst davon zu überzeugen, dass ihr Sohn für eine große Sache und nicht umsonst gestorben ist, ist erschütternd.

Ebenso eindringlich sind die darauf folgenden Erzählungen. In „Der Hund der heiligen Schrift“ erinnert sich ein Rückkehrer an die Tage bevor seine Infanterieeinheit nach Verdun versetzt wird. Eine Verkettung unglücklicher Zufälle, vielleicht auch organisatorische Fehler, führen einen anderen Mann zu der Einheit. Dieser Mann stammt aus einer Familie die „alt, groß und im Allgemeinen sehr reich“ ist und er lässt seine Kontakte spielen um nicht mit den Männern an die Front zu müssen. Kurz vor dem Abmarsch nach Verdun verlässt er die Truppe und schließt sich einem Regiment an, das weniger direkten Feindkontakt hat.

In diesen sechs Novellen bringt Drieu La Rochelle die Gefühle einer ganzen Generation, vielleicht die eines ganzen Kontinents, auf den Punkt. Denn er beschreibt nicht nur die Irrsinnigkeit des Krieges, sondern eben auch die Naivität, mit der junge Männer auf beiden Seiten in die Schlacht gepeitscht werden, oder auch die Fassungslosigkeit, mit der altgediente Generäle verstehen lernen, dass eine Kavallerie in einem Krieg des 20. Jahrhunderts ausgedient hat:

„Es ist eher ein Krieg der Fabriken als ein Krieg der Menschen. In den Fabriken wird massenhaft Stahl hergestellt, und den wirft man sich dann von Weitem, ohne sich anzusehen, stöhnend an den Kopf […] Meine Vorfahren haben doch nicht auf eine Zivilisation hingearbeit, damit wir plötzlich nichts mehr ausrichten können und sich jede Bewegung im Mechanischen, Blinden, Absurden verliert? Eine Maschine, eine Kanone, die ohne Zutun ununterbrochen schießt – was ist das? Das ist weder ein Mensch noch ein Tier und auch kein Gott […] Es war eine unerwartete, grauenvolle Entfesselung. Als der Mensch die ersten Maschinen erfand, hat er seine Seele dem Teufel verkauft, und jetzt präsentierte der Teufel die Rechnung.“

Er klagt die dekadenten Entscheidungsträger an, die aus der Sicherheit ihrer Kabinettsräume heraus Krieg erklären und führen lassen und mit der Möglichkeit von Ruhm und Ehre locken. Dabei spricht er wieder und wieder darauf an, dass sich dieser Krieg von allen vorangegangenen Kriegen unterscheidet:

„Krieg ist nicht mehr Krieg. Ihr werdet es eines Tages sehen, Faschisten aller Länder, wenn ihr euch flach auf den Boden drückt mit eurer vollgeschissenen Hose. Dann wird es keine Federbüsche, Goldtressen, Sporen, Pferde, Trompeten, Worte geben, sondern bloß eine industrielle Ausdünstung, die euch die Lunge zerfrisst.“

Die kritische Anspielung auf „Faschisten aller Länder“ verdient zusätzliche Aufmerksamkeit. Pierre Drieu La Rochelle ist, so schrieb die Welt im Mai 2016, „mehr berüchtigt als berühmt“ (Krause). Der Titel des Artikels lautet „Für diesen Dichter was der Faschismus sexy“. Rochelle war nämlich, das muss man wissen, Kollaborateur unter der deutschen Besatzung Frankreichs zwischen 1940 und 1944. Dass der Faschismus ggf. nicht dauerhaft „sexy“ für La Rochelle war, wird in dem obigen Zitat deutlich. Sowohl der Artikel als auch das Nachwort zu dieser Novellen-Sammlung gehen darauf ein, dass La Rochelle weniger von einer politischen Ideologie seiner Zeit überzeugt war, sondern vielmehr von einer totalitären Ideologie zur anderen taumelte – „und wieder zurück“ (Krause). Konstant blieb da nur seine Verachtung für die Dritte Republik Frankreichs, die in seinen Erzählungen überall hervorscheint und die Krause wie folgt auf den Punkt bringt:

„Die alten Eliten hatten nicht nur im sinnlosen Gemetzel von 1914 bis 1918 kläglich versagt. Sie fuhren vielmehr in den Augen des smarten jungen Mannes aus gutem Hause fort, die Zeichen der Zeit zu verkennen und sich in ihren Korruptionsskandalen zu verheddern.“

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Pierre Drieu La Rochelle (1893-1945); Quelle: Ullstein Bild

Während des Ersten Weltkriegs und in den Jahren danach ist La Rochelle Pazifist – einige der oben angebrachten Zitate aus dem Erzählband sowie viele weitere Stellen in seinen Novellen weisen darauf hin. Sein Pazifismus weicht dem Faschismus um schließlich doch einer Begeisterung für den Kommunismus Platz zu machen. Über dieses Nicht-Festlegen wenn es um politische Positionen geht, schreibt auch Thomas Laux im Nachwort der Novellensammlung:

„Ab 1934 bezeichnete er sich in aller Öffentlichkeit als Faschisten – um sich gegen Ende seines Lebens, kurz vor seinem Selbstmord im März 1945 mit zweiundfünfzig Jahren, erneut für die kommunistische Idee zu begeistern […] Drieu ist also im Grunde zu keinem Zeitpunkt ein leicht einzuschätzender Mensch gewesen, seinen politischen Festlegungen war offenkundig ein Verfallsdatum eingeschrieben.“

Doch was in den Erzählungen konstant bleibt ist das Verdammen nationalistischen Gedankenguts: so bezeichnet er den Nationalismus als den „schändlichsten Aspekt des modernen Geistes“ und spricht von der nationalistischen „Raserei“ diesem „grotesken Wahnsinn“ seiner Zeit. Zugleich finden sich vereinzelt rassistische und antisemitische Aussprüche einiger Charaktere, die beim Lesen durchaus irritieren mögen (auch dies wieder Teil von La Rochelles Ambivalenz; seine erste Frau war Jüdin).Und doch fügen sie sich in die Geschichte mit ein und komplettieren das Portrait dieser Verlorenen Generation, die man kennen lernen (und zu einem gewissen Grad verstehen lernen) muss, damit Geschichte sich nicht einmal ansatzweise wiederholt.

La Rochelle selbst ist ein mir zutiefst suspekter und unsympathischer Mann, der, so scheint es mir, sein Fähnchen jeweils nach dem Wind gehangen hat und dem der Mumm gefehlt hat, für die richtige Sache (und somit gegen die Nationalsozialisten) einzustehen. Doch die Novellen die in Die Komödie von Charleroi vereint sind, sind beeindruckend dicht geschriebene Erzählungen, die Nationalismus und Krieg aufs schärfste verdammen. Und das macht sie lesenswert.

Kurzfazit: Erschütternde Erzählungen zum Ersten Weltkrieg.

Ich danke dem Manesse Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares.

Kategorien: Diverse | Tags: Erzählungen, Weltgeschichte, weltkrieg | Permanentlink.


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