Denn sie wissen, was sie tun
„Im zeitgenössischen Horrorfilm ist die Gesellschaft monströs geworden. »They are us«, heißt es in George A. Romeros genrestiftenden Zombie-Filmen leitmotivisch. Die Monster sind hier keine Rebellen mehr, die das System aus dem Gleichschritt zu bringen drohen, sondern Repräsentanten eines durch und durch gierigen, gewalttätigen, selbstzerstörerischen kapitalistischen Systems – entsprechend materialisieren sie sich auch nicht mehr als riesige Solitäre, King Kong, Godzilla et alii, die fulminant auf den Putz hauen, sondern als gesichtslose, uniforme, konditionierte Masse. Sie sind wir!
Spätestens nach Romeros »Dawn of the Dead« hat sich diese antikapitalistische Lesart des Sujets durchgesetzt. Wenn die Welt grundsätzlich nur dazu da ist, im Sinne von Kapitalinteressen erschöpfend verwurstet zu werden, dann erscheint es nur konsequent, den Verwurstungszusammenhang auf den Menschen selbst auszudehnen. Romeros Ingenium offenbart sich nicht zuletzt bei der Wahl seines zentralen Handlungsorts: Die letzten Menschen verschanzen sich in einer Shopping Mall, dem geweihten Ort, der religiösen Begegnungsstätte des Konsumismus. Und hier werden sie dann konsumiert. Die Begründung für all das Grauen ist so schlicht wie treffend – und manchen Teenager hat das Pathos auf dem Filmplakat damals schier umgehauen: »Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist, kehren die Toten auf die Erde zurück.«
Auch die Religion hat als Ordnungsinstanz ausgespielt. Ihre himmlischen Verheißungen werden verhöhnt: Alle kommen wieder. Romeros »Dawn of the Dead« ist insofern auch eine Anti-Theodizee. Eindringlicher läßt sich kaum versichern, daß es den guten Gott des Kapitals nicht gibt. Mit der metaphysischen Ordnung fällt die institutionelle.
»Es gibt keine Regierung mehr. Keinen Supermarkt. Kein Internet. Kein Kabelfernsehen« – in der TV-Serie »The Walking Dead«, die auf Comics von Robert Kirkman basiert, herrscht Anarchie. Vermutlich macht das einen großen Teil der Suggestivität und Popularität des Stoffes aus, der mittlerweile ein eigenes Schaufenster im kleinen Horrorladen einnimmt. Es sind nicht umsonst vor allem maskulin Pubertierende, die sich in diesem Genre kannibalisch wohlfühlen. Teenage Rebellion und Horrorfilm gehören unmittelbar zusammen.
Zum einen nämlich spiegelt sich in diesem Kosmos der Vogelfreiheit ihre eigene Renegatenpose, ihr lebensabschnittsgemäßer Widerstand gegen die repressive gesellschaftliche Norm. Überdies können sie hier Schmerz und Gewalt, die die Erwachsenen ihnen angetan haben, zurückgeben, wenn auch nur symbolisch und in grotesker Überzeichnung, dafür aber ganz ohne Sanktionen. Rache wird simuliert, anders ist die tiefe Befriedigung angesichts des allgemeinen Mordens gar nicht zu verstehen, an die sich jeder erinnern wird, der einen Zombie-Film zur rechten Zeit gesehen hat.
Zum anderen dürfen sich Heranwachsende hier wunderbar bequem, nämlich in sicherer Distanz und mit der Kanne Pils in Griffweite, in Regressionsphantasien lümmeln. Alles ist wunderbar einfach: »Die oder wir!« Man kann sich noch atavistisch bewähren. »In einer Welt, die von den Toten regiert wird, sind wir gezwungen, endlich unser Leben selbst in die Hand zu nehmen«, heißt es in »The Walking Dead«. Das »endlich« verrät die Lust beim Baden in der lauwarmen Ursuppe.
Der Zombie-Stoff versteckt also im Unterfutter zwei einander widersprechende Rebellionsmuster. Er ist genauso progressiv wie reaktionär. Die als aggressiv, gewalttätig, entindividualisierend und letztlich übermächtig empfundene kapitalistische Gesellschaft wird hier mit Schmackes zu Klump gehauen und geschossen, damit endlich etwas Besseres daraus entstehen möge. Zugleich bleibt dabei aber auch die Zivilisation als solche auf der Strecke, und zwar nicht nur narrativ. Zur Suggestionspotenz des Sujets gehört schlicht die vorzivilisatorische Verlockung, einmal so richtig seinen Mann zu stehen. Am liebsten natürlich im Kampf.
Daß es im Zombie-Genre immer unentschieden ausgeht, daß man die Plage weder eindämmen noch mit Anstand untergehen kann, ist dann wieder dem alles fressenden kapitalistischen System geschuldet, das selbst noch aus der zombiesken Fundamentalkritik ein Geschäft zu machen versteht – mit dem immer nächsten Sequel. Der Mythos kennt da nur einen einzigen radikalen Ausweg: Man muß ihnen die Köpfe abschlagen, erst dann geben sie Ruhe.“
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