Neulich bei meiner Schwiegermutter: Mein Schwager und ich diskutieren heiß über die Kleidungsindustrie, Arbeiterrechte, über verrückt hohen Wasserverbrauch und Pesitztideinsatz bei der Baumwollpflanzung, über Konsumwahn und Konsumentenmanipulation – plötzlich hebt er die Hände auf eine Art als wollte er einen auf ihn zusteuernden, schnell fahrenden Zug aufhalten:
„Ok, ok, ich stelle jetzt mal’ne Frage in den Raum: Stellt euch vor ich habe morgen ein Vorstellungsgespräch und ich brauche ein neues Hemd. Vor dem Hintergrund all der Sachen die wir jetzt besprochen haben – was tue ich?“ „Ach, das ist doch total unrealistisch“, werfe ich ein, „man erfährt doch nicht einen Tag vorher ob man zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen ist oder nicht!“ Aber er beharrt auf seinem Beispiel: „Doch, es passieren ganz verrückte Sachen! Gibt es eine Antwort auf meine Frage? Sagen wir mal: Mein anderes Hemd, das in Frage kommt, hat einen Fleck der nicht rausgeht, oder ein Loch – was tue ich dann? Ist es unethisch, wenn ich einfach in einen Laden spaziere und mir ein neues Hemd kaufe?“
Ist es das? Ist es unethisch? Generell finde ich, vor dem Hintergrund heutiger Mainstreamindustrien: Ja. Aber was tun? Wie kann man mit dieser Situation umgehen? Wir können ja jetzt nicht anfangen alle nackt herum zu laufen. Und wer würde das schon sehen wollen? Ich nicht.
Erst einmal: Es gibt nichts Einfacheres, als etwas zu tun, wovon man überzeugt ist. Bald ist Ramadan – jeder hat wahrscheinlich schon einmal die Frage von einem nichtmuslimischen Freund, oder Freundin gehört: „Wie schaffst du das bloß? Den ganzen Tag nichts essen und nichts trinken! Also ich könnte das nicht!“ Und jeder von uns weiß, dass Überzeugung eine große Rolle spielt – weil wir überzeugt sind, dass das Fasten gut und richtig für uns ist, wird es allein dadurch schon leichter für uns.
Das bedeutet: Es tun sich Wege auf für jemanden, der etwas aus Überzeugung tut oder nicht tut, die ein anderer gar nicht sehen würde. In einem sehr beliebten und bekannten Hadith heißt es nicht umsonst: Wer einen Schritt auf Allah zumacht, dem rennt Allah entgegen – es liegt also an jedem Einzelnen den ersten Schritt zu machen. Aber wenn der getan ist, dann können wir sicher auf Allahs Rechtleitung vertrauen.
Und mit dem Shoppen und Klamotten kaufen ist es tatsächlich ein bisschen so, wie mit dem Fasten: Zuerst einmal schadet es nicht, eine Pause einzulegen. Ganz genau: eine Shoppingpause. Als ich vor einigen Jahren bei der Ausstellung „Radical Advertising“ in Düsseldorf das Bandmitglied “Mieze” von der Band “Mia” interviewte, erzählte sie mir, dass sie sich vorgenommen hat, ein ganzes Jahr lang nichts Neues zu kaufen – keine Schuhe, keine Hosen, keine Taschen, nichts. Die Austellung, so Mia, habe sie richtig zum Nachdenken gebracht darüber, wie wir eigentlich alle beeinflusst würden, und, dass der Konsum uns in dem Maße nicht unbedingt gut täte.
Ein Jahr – Das ist ganz schön lang. Mein Schwager hat das auch einmal gemacht. Ich mache das seit etwa 5 Monaten. Es ist erstaunlich, wenn man dann auf einmal feststellt: Man braucht eigentlich gar nicht viel. Vieles in meinem Kleiderschrank habe ich wieder neu entdeckt. Anderes habe ich ausbessern müssen. Und dabei gelernt, dass Allah uns unglaublich reich gemacht hat. Und, dass es mir als Muslima ein Gefühl der Zufriedenheit bringt, wenn ich das, was Allah mir geschenkt hat, pflege, wertschätze und versuche, so lange wie möglich als Ressource zu nutzen.
Außerdem ist noch etwas interessantes passiert: Kleiderläden, Sale-Schilder und Schaufenster üben keine Anziehungskraft mehr auf mich aus. Stattdessen nehme ich diesen ganzen Zirkus fast nicht mehr wahr. Das heißt nicht, dass ich mich nicht für Mode interessiere, oder unansehnlich durch die Gegend renne. Es bedeutet nur, dass ich auf einer Art „Shopping-Fasten-Kur“ bin. Kennt ihr das Gefühl, nach den ersten drei, vier Tagen im Ramadan? Wie gut man sich fühlt und wie befreit? Das man zwar am Anfang tagsüber davon träumt, was man am Abend alles essen will, aber wenn das Fastenbrechen dann da ist, macht eine leckere, gehaltvolle Suppe, Brot und Datteln einen auf einmal schon total satt? Genauso geht es mir im Moment mit Klamotten. Kurzlebige Trends, Modewellen auf denen ich vorher mitgeschwommen bin, branden nun an mir vorbei.
Jeder kann das ausprobieren – und selber festlegen wie lang er oder sie sich von Klamottlenläden fernhalten will – drei Monate, ein halbes Jahr, eine Woche – jeder weiß selber am besten was zu ihm oder ihr passt. Vielleicht ist der Beginn des gesegneten Ramadan ein guter Zeitpunkt dafür. Wir verzichten äußerlich auf Nahrung und geben damit unserer Seele mehr Raum – nähren unsere Seele durch den äußerlichen Verzicht, sagen Gelehrte über den Ramadan. Vielleicht kann man mit Klamotten in der Hinsicht auch den Selbsttest machen.
Auf dem Weg zu einem gesünderen, islamischeren Konsum ist eine solche Phase sicher ein guter Start. Was man macht, wenn man dann wirklich morgen ein Vorstellungsgespräch hat und unbedingt ein Hemd braucht – das erzähle ich euch inshaAllah im nächsten Teil.
Ich wünsche allen einen gesegneten, erfolgreichen Ramadan!
von Ilhaam E.