KLANK in der Stadt / Netzwerk Neue Musik mobil

Ensemble KLANK
Gestern war mal wieder so ein Nachmittag, an dem sich alles Unvorhergesehene knäulte und irgendwie erledigt werden wollte – ein später Arzttermin, den ich zusammen mit einem müde gespielten Kind nach der Kita absolvieren musste, ein Buch, das dringend vom Dealer meines Vertrauens abgeholt werden sollte, und etwas zum Abendessen wollte auch noch organisiert werden. Die Stadt war voll und ich versuchte, mein quengelndes Kind bei Laune zu halten und im Kopf zu sortieren, welche Prioritäten zu setzen waren. Und dann waren da auf einmal diese Klänge, ein paar rote Luftballons, und wie durch Zauberhand waren wir aus dem Trott herausgerissen und durften einige Minuten staunen.

Auf dem Marktplatz stand ein alter blauer Doppeldeckerbus und davor hatten sich vier Männer aufgestellt, umringt von Musikinstrumenten und allen möglichen anderen Gerätschaften wie einer Lampe, Kochtöpfen, Blechdosen oder Klebeband. Auch das Kopfsteinpflaster und sogar der Bus selbst wurden einbezogen, um vielgestaltige Klänge und Rhythmen zu erzeugen. Mit den roten Luftballons wurde gequietscht, gezupft, gebrummt und geschnalzt. Die vier Männer gehören zum Ensemble „KLANK“ aus Bremen, das im Rahmen des „Netzwerk mobil“ vom Netzwerk Neue Musik Baden-Württemberg mit seinem umgebauten Londonbus mehrere Tage durch das Land tourt. Da werden klassische Instrumente wie Geige und Kontrabass gespielt, aber auch mit einem Blechdosendeckel übers Pflaster geratscht oder in einer Kuchenform geraschelt. Das Ganze bewegt sich irgendwo zwischen Konzert und Performance. So kommt es auch vor, dass einer der Akteure mit der geschulterten Schreibtischlampe um den Bus rennt und einen Monolog vor sich hin ruft. Auch die menschliche Stimme ist in diesem Fall „Musikinstrument“, das weniger Sprache als Klang erzeugt.

„KLANK“ – das hört sich eher hart und scheppernd an, klingt nach Aufprall oder blechernem Schlag, rau und gerade nicht anschmiegsam. Hinter diesem sprechenden Namen verbergen sich die vier Musiker Reinhart Hammerschmidt, Christoph Ogiermann, Tim Schomacker und Hainer Wörmann, die sich 2008 zusammenschlossen, um einen eigenen Weg zwischen klassischer Musik, Experiment und Performance zu beschreiten. Auf ihrer Webseite beziehen sie sich auf eine Wendung von Jean Paul, um ihre Selbstdefinition zu verbildlichen: „Musik durch bratende Äpfel“. (Könnte meinem Kind auch gefallen.) Das heißt: Der Schwerpunkt liegt auf Alltagsgegenständen, die erst mal von uns nicht als „Musikinstrumente“ oder Klangobjekte wahrgenommen werden. Und am meisten Spaß scheint es den Musikern zu machen, beide Welten miteinander zu verbinden: die der klassischen Musikinstrumente und die der Alltagsgegenstände. Außerdem treten die Vier vorzugsweise in ungewohnten Räumlich- oder Örtlichkeiten auf, im öffentlichen Raum wie hier in Mannheim, in Mensen, alten Landgasthöfen oder auf Firmengeländen.

Mit der Neuen Musik ist das ja so eine Sache. Sie ist nicht leicht zugänglich und man kann sich nicht ohne Weiteres von ihr berieseln lassen. Dieses Genre fordert den Zuhörern etwas ab: Interesse und Konzentration. Das Netzwerk Neue Musik Baden-Württemberg, ein Zusammenschluss unterschiedlicher Künstler und Initiativen, hat sich nun also zum Ziel gesetzt, die Sparte, der allgemein eher mit – sagen wir mal: Scheu – begegnet wird, auf breiter Basis gesellschaftlich zu vermitteln. Bei „Netzwerk mobil“ gehen die Künstler mit dem blauen Bus ganz gezielt in den öffentlichen Raum und nicht auf die Konzertbühne. Gleichzeitig soll auch die Vielfalt der Szene präsentiert werden. So gibt es bis zum 8. November noch eine Wasserklanginstallation, einen klingenden Schrottplatz, eine Klangexkursion in einer Waschmittelfabrik und ein großes Konzert des Landesjugendensembles Neue Musik in der Stuttgarter Musikhochschule. Das Programm zeigt das Interesse, gerade auch Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu den experimentellen Klangwelten zu vermitteln und sie vor allem neugierig darauf zu machen.

Bei meinem Kind ist das innerhalb weniger Minuten gelungen: Es sperrt Augen und Ohren weit auf, um ganz genau mitzukriegen, wie die vier Männer von „KLANK“ mit ihren roten Luftballons Musik machen. Und ich selbst denke mir insgeheim, dass ich der Neuen Musik mal wieder ein paar mehr Chancen geben sollte … Ansonsten können wir ja erst mal unsere eigene „Klank“-Expedition unternehmen. Was lädt mehr dazu ein als der Herbst mit raschelnden Blättern, herabfallenden Nüssen, knisternden Kerzen oder plitschplatschenden Pfützen? Ich nehme mir jedenfalls vor, meine Ohren gerade im Alltag zu schärfen. Und wer weiß, wo der nächste rote Luftballon wartet …


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