Im Zusammenhang mit einem Artikel zum Massaker in Norwegen erhielt ich kürzlich einen Kommentar mit u.a. folgendem Wortlaut: „… daß Religion in den meisten Fällen zu Intoleranz und Gewalt führt, das beweisen mehr als 1000 Jahre christliche Gewalt … Das, was die christliche Kirche aus dem christlichen Gedanken gemacht hat, ist wirklich augenscheinlich häßlich.“
Dies passt gut in meine Besprechung von The Reason for God (Timothy Keller; Link zur dt. Übersetzung; sämtliche Artikel hier) und das nächste Kapitel, das sich genau mit diesem Vorwurf auseinander setzt:
Zunächst einmal kann und soll nicht wegdiskutiert werden, dass es einerseits in Geschichte und Gegenwart der christlichen Gemeinde viel Unrühmliches gibt und dass es anderseits manche unreligiöse Menschen gibt, die ein Leben führen, welches in mancher Hinsicht schlicht vorbildlich ist. Das „Problem“ bei beiden Gruppen ist dies: Man weiss nicht, wo und wie sie wären, wenn sie in Sachen Religion eine andere Wahl getroffen hätten — die einen dagegen, die anderen dafür. Wären die „guten Atheisten“ womöglich noch bessere Menschen, wenn sie Christen wären?
Den Religiösen im Allgemeinen und den Christen im Besonderen wird Intoleranz und Gewaltbereitschaft vorgeworfen. — Dass im Namen des Christentums Kriege geführt wurden, ist eine äusserst bedauerliche Sache! Aber, mitunter die schlimmsten Gräueltaten der vergangenen Jahrzehnte wurden von Atheisten begangen, wie z.B. Stalin, Hitler oder Pol Pot, und das gehört in diesem Zusammenhang auch gesagt. Anzufügen wäre ferner, dass heute weltweit die Christen die meistverfolgte Religionsgemeinschaft sind. Ist das nur irrelevantes Hintergrundrauschen der aktuellen Zeit?
Keller fährt weiter: Wenn Gewalttäter ihr Handeln mit christlichem Gedankengut legitimieren wollen, dann legen sie ihren Überlegungen ein falsches Verständnis des christlichen Glaubens zugrunde! — Wesentlich im biblischen Zeugnis ist die Idee der Gnade, welche jedem Verdienstgedanken diametral gegenüber steht. Wer seinen Glauben auf Gnade abstützt, kann sich keiner eigenen Leistung rühmen und kann sich foglich auch nicht besser oder „mehrwertig“ fühlen als seine Mitmenschen. Deshalb hat militanter Fanatismus im richtig verstandenen christlichen Glauben nichts zu suchen.
Wenn die Kirche von Machtgelüsten torpediert wird, dann ist das ein zu kritisierender Zustand. — Aber, so fragt Keller, woher haben wir überhaupt gelernt, dass Macht etwas zu Hinterfragendes oder gar etwas Schlechtes ist, wenn nicht aus der Bibel, deren Hauptfigur (Jesus) sich durch Dienst auszeichnete? Auch da ist wiederum ersichtlich, dass richtig verstandener und umgesetzter Glaube nicht in Machtgehabe mündet und das solches Machtgehabe in gewissen christlichen Kreisen durchaus an der Tagesordnung ist und zu allem Übel auch noch biblisch begründet wird…
Das richtig verstandenes Christentum jedoch in Dienst mündet, zeigte sich ganz deutlich in der Geschichte, wo es gerade die Christen waren, die sich für die Ärmsten und Schwächsten einsetzten: die Reformatoren entsetzten sich deshalb über die Irrwege und -lehren der Kirche, weil sie den wahren Sinn der biblischen Lehre erkannten; Wilberforce setzte sich aus christlicher Gesinnung für die Abschaffung der Sklaverei ein; die südafrikanische Apartheid wurde mit christlicher Motivation zu Boden gebracht und die allerrersten Christen waren berühmt wegen genau dieser Haltung. (Natürlich muss auch darauf hingewiesen werden, dass in vielen Fällen vor der guten Wende auch Christen am Werk waren und ihr Tun mit sog. christlichem Gedankengut untermauerten…).
Unter dem Strich, wenn man ehrlich hinschaut, kommt die christliche Glaubensgemeinschaft wesentlich besser weg, als die (vor)schnelle und populäre Kritik vorgaukelt.
[RFG]