Vorgestern war der deutschlandweite Kinostart des Dokumentarfilms Fremd / Foreign, in Frankfurt im MalSehn, in Anwesenheit der jungen Kamerafrau und Regisseurin Miriam Faßbender. Glücklicher Zufall, dass ich am gleichen Tag davon erfuhr, via Perlentaucher.
Es geht in diesem Film um junge Afrikaner, die ihre Heimat verlassen und eine jahrelange Reise voller Gefahren und existentieller Prüfungen antreten: Ins gelobte Land, nach Europa! In Mali, Algerien und Marokko traf Miriam Faßbender ihre beiden Protagonisten, Mohamed aus Mali und Jerry aus Kamerun, in zweieinhalb Jahren insgesamt drei Mal. Sie übte sich in Geduld, warb um Vertrauen, durfte die Migranten filmen, gab ihnen Kameras, und verwendete das Material für eine außergewöhnliche Dokumentation, in der wir Menschen kennenlernen, die für uns sonst als Teil einer gesichtslosen Masse seit Jahrzehnten zu Tausenden im Mittelmeer ertrinken oder von Frontex zur Umkehr gezwungen werden.
Brettspiel und Landkarte, zwei mehrmals wiederkehrende Motive, verweisen auf den mythischen Strang dieser Reise. Wir Menschen sind Migranten, die immer wieder zu neuen Lebensräumen aufbrechen. Wir umsegeln die Welt, bis wir den Seeweg nach Indien gefunden haben. Wir besteigen den Mount Everest so lang, bis einer, oder auch einer aus jeder Gemeinschaft, ihn bezwungen hat. Die Migranten aus Afrika, die Erstgeborenen, die Begabten, die Hoffnungsvollen, die Zähen, suchen die Freiheit, die die Moderne verheißt: Sie wollen aus ihrem Leben was machen, selbstgesteckte Ziele erreichen, ihren Leuten helfen.
Unterwegs, in steter Angst, bauen sie eine eigene Welt, mit sozialen Strukturen, provisorischen Zeltbauten und gemieteten Unterkünften außerhalb der Legalität, mit einem Kommunikationsnetzwerk via Mobiltelefon, mit einer eigenen Sprache, zusammengesetzt aus Französisch, Spanisch, Bambara: Beng heißen die, die unterwegs sind nach Europa, Co die auf dem Weg zurück. In diesen quasi-nomadische Gemeinschaften scheint ein besonderes Beziehungsgeflecht zwischen Menschen aus verschiedenen Staaten Afrikas zu entstehen. Welche Geschichten werden sie sich später über die Zeit der Migration und ihre Erfahrungen in Europa erzählen? Wahrscheinlich andere als die, die über sie erzählt werden, eher Gründungsepen und nicht Geschichten über verlorene Seelen, die den fatalen Vorspiegelungen des Kapitalismus erlegen sind.
Nach dem Film stellte sich die Regisseurin den Fragen des Publikums, vielleicht 20 Leute, überwiegend älter, fast nur Frauen, alle mehr oder weniger „weiß“. Was ist aus den beiden Protagonisten geworden? Mohamed war in Europa, wurde abgeschoben, lebt jetzt als Busfahrer in Mali, kann aber als Gescheiterter nicht zurück in sein Dorf. Jerry schwamm über die Meerenge nach Spanien, wurde aufgegriffen und zurückgebracht, schaffte es in einem späteren Anlauf, lebt jetzt in Frankreich, findet aber keine Arbeit. Wie ist sie persönlich damit umgegangen, jederzeit nach Europa einreisen und wieder ausreisen zu können, während ihre Protagonisten in ihrer elenden Lage zurückbleiben mussten? Wie hat sie sich ihre „professionelle Distanz“ erhalten, ohne ihre Empathie aufzugeben? Die Antworten klangen sympathisch hilflos. Anzunehmen, dass Miriam Faßbender durch diese Arbeit eine andere geworden ist. Im taz-Interview sagt sie, dass Europa diese Menschen aufnehmen sollte. Ich finde das auch: Es sind junge Helden, und daran mangelt es hierzulande. Europa altert.