Shakespeare schrieb keines seiner Werke selber – mit dieser These lockt der Film Anonymous seine Zuschauer in die Kinosäle. Denn William Shakespeare ist wahrscheinlich der einzige Autor, bei dem es eine starke „Gegnerschaft“ gibt, d.h. Personen, welche die Urheberschaft seiner Werke anzweifeln. Diese Anti-Stratfordianer (Shakespeare soll auf die Schule in Stratford gegangen sein, aber es existieren keine handfesten Belege) kritisierten Jahrhundertelang vor allem den Punkt der Bildung: wie sollte ein Mann aus dem normalen Volke eine solch hohe Bildung erhalten, um solche Stücke zu schreiben, einen solchen Wortschatz zu besitzen und auch solche Kenntnisse fremder Länder sein zu nennen, wie sie der Autor der Werke offenbart.
Unter dieser Gruppe von Kritikern gibt es dann auch noch Aufspaltungen, die zu wissen glauben, wer der wirkliche Urheber eines Romeo und Julia beispielsweise ist. So wird beispielsweise Francis Bacon in den Topf geworfen. Aber das hätten wir Philosophen wohl gerne.
Populärste Theorie handelt von Edward de Vere, dem Grafen von Oxford. Er besaß all die Bildung, die ein Dichter solcher Art besitzen sollte, und Schriftstücke von ihm wurden in Sprache und Stil als auffällig ähnlich zu Shakespeare beschrieben. Von genau diesem Edward de Vere handelt der Film Anonymous. Ein Historiendrama so voller Soap, dass sie nur aus der Feder eines Roland Emmerich stammen können…
Edward de Vere, Graf von Oxford, (Rhys Ifans) ist Poet und Stückeschreiber. Doch sein Stand verlangt von ihm andere Verpflichtungen. Dazu nahm ihn auch noch mit William Cecil (David Thewlis) ein Puritaner unter seine Fittiche und er verachtet die Dichtkunst. Für ihn ist sie Teufelsanbeterei. Doch irgendwann schafft de Vere es, seine Stücke zu veröffentlichen. Der Analphabet und Theaterschauspieler William Shakespeare (Rafe Spall) setzt seinen Namen unter dessen Werke. Doch was dies auslöst, ist erschütternd…
Anonymous darf man durchaus als etwas Besonderes bezeichnen. Wenn man der Fachwelt glauben schenken darf. Da wird Anonymous nämlich als erstes Drama des cineastischen Zerstörers Roland Emmerich gefeiert. Allerdings vergisst man dann gerne, das bereits Der Patriot ein guter, historisch-dramatischer Streifen war. Egal – was zählt ist das hier und jetzt. Was zählt, sind nicht die ollen Fachjournalisten da draußen, die nicht mal wissen, dass The Dark Knight nicht Heath Ledgers Film war. Es zählt Anonymous.
Nach Der Patriot verließ Roland Emmerich ein wenig das Glück und mit The day after tomorrow, 10.000 B.C. und vor allem 2012 gelangen ihm zwar ästhetisch wunderbare Filme, aber mit soviel Nährwert wie ein zerbröckeltes Knäckebrot. Und so wagt sich der Spielbergle aus dem Schwabenländle wieder an einer etwas feineren Kost. Zwar ist Anonymous noch lange kein Kavier, aber zu einem deftigen Wiener Schnitzel hat es durchaus gereicht.
Verlassen wir die Küche und brutzeln uns lieber eine ordentliche Kritik zusammen: Anonymous ist gut, aber mit starken Abstrichen. Von den Bildern und auch von den Schauspielern bin ich unfassbar beeindruckt. Emmerich lässt das London im frühen 17.Jahrhundert wahrlich wieder auferstehen. Die Schauspieler, vor allem Rhys Ifans als Graf von Oxford, brillieren durch ihre Kunst. Lediglich Rafe Spall als Shakespeare fällt sehr stark ab. Der Charakter des weltberühmten Dichters ist so stark überzeichnet und kann in keinster Weise Sympathie hervorrufen. Das liegt aber eindeutig nicht am Schauspieler, der seine Sache den Umständen zum Trotz sehr gut macht.
Es ist das Drehbuch in diesem Film, das für Probleme sorgt. Die Inszenierung von Emmerich lässt sich wirklich sehen, aber inhaltlich bewegt sich das Script von John Orloff auf einem sehr dünnen Eis. Natürlich gestaltet sich der Film letztendlich als Lobpreis für die Werke Shakespears, aber es darf auch mehr sein. Anderthalb Stunden ist das Tempo sehr zäh. Und gerade die erste Hälfte wird auch ein wenig schwerer gemacht, als sie eigentlich ist, wenn die Rückblende der Rückblende der Rückblende gezeigt wird. Plötzlich haut der Film dann ein solch unfassbares Ende raus. Die letzte halbe Stunde ist grandios und der Twist um Edward de Vere und das Königshaus ist unfassbar. Das ist, wie Edward Hogg als Robert Cecil in diesen Szenen so treffend formulierte „eine wahre, antike Tragödie“. Toll. Schade, dass sich das wirklich nur auf das Ende bezieht, aber toll.
Lieber Roland Emmerich,
mit Freuden habe ich ihren Film Anonymous geschaut und man kann sehr deutlich erkennen, dass sie mehr können als New York zerstören. Kriegen sie jetzt noch ein durchgängig gutes Drehbuch in die Hände, können sie mehr als „gute Filme“ machen, sondern vielleicht auch mal die ein oder andere Filmperle zaubern. Es wäre wirklich schön, denn von der Atmosphäre her war dieses verfallene London einmalig.