Die BKW nimmt das AKW Mühleberg fünf Wochen vor der geplanten Revision vom Netz, weil das bisher als «sicher» gepriesene Notstandssystem SUSAN eben doch nicht so sicher ist. Danach soll Mühleberg bis 2020 betrieben werden – wenn nichts dazwischen kommt.
© Reinder Heijs
Kinder, wie die Zeit vergeht. Fast kommt es einem vor, als läge der 17. März 2011 schon Jahre und nicht erst gut drei Monate zurück. Aufgeschreckt von den Ereignissen in Fukushima organisierte damals die BKW für eine Schar ausgewählter Journalisten eiligst eine Besichtigung des AKWs Mühleberg. Damit verbunden war auch eine Führung durch den SUSAN-Bunker, um zu demonstrieren, dass das «Subsidiäre unabhängige System zur Abführung der Nachzerfallswärme» jeder denkbaren Katastrophe trotzen würde. Tags darauf las das Publikum in den verschiedenen Schweizer Zeitungen etwa folgende Sätze:«Sollte beispielsweise das Stauwehr im Wohlensee brechen, wird der Wasserpegel in der Anlage etwa vier bis fünf Meter erreichen. Deshalb wurden alle relevanten Sicherheitsbauten oberhalb dieser Höhe gebaut.» (BKW-Geschäftsleitungsmitglied Martin Pfisterer in der «Südostschweiz».)
«Wir sind damit sogar über die verlangten Sicherheitsmassnahmen hinausgegangen. SUSAN schützt vor Erdbeben, Überflutung, Blitzschlag, der Einwirkung Dritter und dem Bruch der Kernsprühleitung.» (Patrick Miazza, Betriebsleiter des AKWs Mühleberg, im «Bund»)
«Die Ereignisse könnten beherrscht werden.» (BKW-Geschäftsleitungsmitglied Hermann Ineichen in der «NZZ» über Gefahren wie Erdbeben, Bruch des Wohlensee-Staudamms und eine fünf Meter hohe Flutwelle.)
Und jetzt, zufälligerweise einen Tag bevor die BKW dem Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) in einem Bericht aufzeigen muss, dass das AKW Mühleberg auch ein Hochwasser überstehen würde, wie es nur alle 10 000 Jahre einmal vorkommt, ausgerechnet da ist plötzlich nichts mehr, wie es vorher war: Die BKW nimmt ihren Uralt-Meiler fünf Wochen vor der geplanten Revision vom Netz, um «Massnahmen zur Erhöhung der Sicherheit» zu treffen. Konkret: Das jahrzehntelang als sicher gepriesene SUSAN soll eine verstopfungssichere Kühlwasserversorgung erhalten. Die BKW nennt dies «einen Schritt zur Verbesserung der Sicherheit».
Die atomkritische Gruppe Fokus Anti-Atom hatte schon im Januar auf genau dieses Problem bei SUSAN aufmerksam gemacht – und war sowohl bei der BKW als auch beim ENSI abgeblitzt. Auch auf einen entsprechenden Bericht im «Beobachter» blieb die Reaktion aus.
Wer den Berner Stromkonzern kennt, weiss, dass die Verantwortlichen das AKW Mühleberg nicht ohne grösste Not ausser Betrieb nehmen. Die 20 Millionen Franken Einnahmen, die der BKW durch den Stillstand entgehen, dürften sie über die Massen schmerzen.
Wer jedoch meint, die BKW suche mit der selbst initiierten Betriebspause bloss einen Weg, den Meiler stillzulegen, ohne dabei gänzlich das Gesicht zu verlieren, dürfte sich massiv täuschen. Wer zehn Millionen Franken investiert und zusätzlich Einbussen von 20 Millionen in Kauf nimmt, will seinen Goldesel so lange wie nur möglich weiterbetreiben. Die letzte Kilowattstunde Strom soll in Mühleberg nach dem Willen der BKW erst etwa im Jahr 2020 produziert werden – wenn denn nichts dazwischen kommt. Denn mittlerweile traut offenbar selbst die BKW-Spitze den eigenen Plänen und Beteuerungen nicht mehr uneingeschränkt. Darauf weist der Disclaimer am Schluss der Medienmitteilung hin: «Die in diesem Text geäusserten Erwartungen und vorausschauenden Aussagen beruhen auf Annahmen und sind Risiken und Unsicherheiten unterworfen. Die tatsächlichen Ergebnisse können von den in diesem Text geäusserten Erwartungen und vorausschauenden Aussagen abweichen.»
Risiken ? Unsicherheiten? Das sagen wir doch schon lange.