Keine Angst vorm Sündersein…

Schon wieder hat ein Bundespräsident aufgegeben und sich von seinem Amt verabschiedet. Doch anders als beim letzten, war es im Fall von Christian Wulff für viele Menschen ein erwarteter, ja, gar ein „überfälliger“ Rücktritt. Viel wurde auch in christlichen Medien in den vergangenen Wochen darüber diskutiert, ob nicht auch für den höchsten Mann im Staat die „Unschuldsvermutung“ gelten müsse. Tatsächlich gilt diese für ihn – auch weiterhin. Das hat vorgestern ja sogar die Justiz bestätigt – daher ist so manche Aufregung über eine Vorverurteilung vielleicht doch übertrieben.

Aber es war noch mehr gefragt worden: Darf ein Bundespräsident keine Fehler machen? Darf er keine Freunde mehr haben? Und darf man ihm nicht verzeihen, auch wenn er sich entschuldigt? Viel wird darüber geschrieben und debattiert: Wie ist das mit der Sünde? Und war das überhaupt sündhaft, was der Bundespräsident in den letzten zwei Monaten den Bürgerinnen und Bürgern „zugemutet“ hat, wie es Einige formulieren?

Wie oft begegnen uns in der Beratung Menschen, die an wahrlich schweren Sünden zu tragen haben. Das seelsorgerliche Gespräch lebt davon, dass wir nicht pauschal auf die Vergebung all unserer Fehltritte verweisen können. Jesus hat uns keinen Freifahrtsschein ausgestellt. Und doch haben wir als Christen eine Gewissheit, die es uns zumindest erleichtert, ehrlich und aufrichtig zu dem zu stehen, was wir falsch gemacht haben.

Ein Bundespräsident darf wie jeder andere Mensch Fehler machen! Und natürlich dürfen und müssen wir ihm sogar vergeben – doch was nutzt Vergebung, wenn der Sünder seine Sünden nicht erkennen will? Was bringt Vergebung, wenn ein Sünder gar nicht darum bittet? Was ist Vergebung wert, wenn Reue, Einsicht und Buße fehlen? Zumindest können die, die zur Vergebung in der Lage sind, ihr eigenes Herz erleichtern. Und wenn man sich heute die vielen Reaktionen der Bürger auf der Straße angesehen hat, so haben viele von ihnen dem ehemaligen Bundespräsidenten bereits vergeben. Es lebt sich gesünder ohne Groll – und doch wünschen wir uns, dass Fehler eingestanden werden.

Aber: Wären wir bei uns auch so streng? Wie ist es mit der „Moral“, deren Ansprüche bei einem Bundespräsidenten angeblich höher angelegt werden müssen? Erkennen wir unsere Fehler rechtzeitig und entschuldigen wir uns immer glaubwürdig für das, was uns misslungen ist?

Die lange hingezogene Affäre um den Bundespräsidenten hat etwas Gutes: Sie hat uns selbst wieder aufmerksam gemacht auf das, was wir in unserem eigenen Leben an Fehlern begehen – und worüber wir vielleicht unbedacht hinweg gehen, ohne Entschuldigung und ohne das würdige Bitten um Verzeihung. Wulff hatte noch vor einigen Wochen selbst die Bibel zitiert – und von denen gesprochen, „die ohne Sünde sind…“. Niemand von uns wird in der Lage, noch des Willens sein, den „ersten Stein zu werfen“. Jesus hat ein Gleichnis aufgestellt, das von keinem Menschen erfüllt werden kann – und in diesem Wissen hat er den Weg frei gemacht für die Sünder, die in dieser Not stecken: Wir dürfen als Belastete zu ihm kommen.

Dieses Erbarmen, das Christus uns mit dieser Zusage erteilt, darf uns aber eben auch mutig machen, uns zu Fehlern zu bekennen. Vor Gott haben wir nichts zu befürchten, wenn wir uns im Klaren sind: Er weiß ohnehin um uns und unsere Sünden. Da brauchen wir uns weder verstecken, noch in Unehrlichkeit verfallen. Diese Zuversicht und Eindeutigkeit lässt von uns Lasten abfallen – anders, als sie gestern von denen abgefallen sind, die seit Wochen auf die einen Schlussstrich ziehende Pressekonferenz des Bundespräsidenten gewartet haben. Manch einer hätte sich mehr Demütigkeit in den Worten von Wulff gewünscht – und doch ist seine Situation keine einfache gewesen.

Vielleicht hilft ihm, seiner Familie und uns allen als fehlbaren Menschen die Verheißung von Erdmann Neumeister (1718): „Jesus nimmt die Sünder an. Saget doch dies Trostwort allen, welche von der rechten Bahn auf verkehrten Weg verfallen. Hier ist, was sie retten kann: Jesus nimmt die Sünder an“ (EG 353.1).

Dennis Riehle

 


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