Die Zeit der Basta-Entscheidungen, so weiß Heiner Geißler zu berichten, sei nun vorbei. Diese Einsicht verkündete er mit weitsichtigem Mienenspiel, voller Überzeugung. Willkürliche Entscheidungen werde das politische Personal dieser Republik fortan nicht mehr treffen können - der begonnene Schlichtungsprozess zu Stuttgart sei ein Zeichen dafür. Was dabei zu kurz kommt, was Geißler so wenig wie die berichtende Zunft auf den Tisch bringt: eine scharfe Waffe gegen die politische Patronage und Korruption, vulgo auch Willkür genannt, wäre ein Wahlrecht, das Volksvertreter auch um ihr Mandat bringen kann. Und genau dort mangelt es in diesem Land der Scheinwahlen und abgekarteten Wahlergebnisse.
Von Scheinwahlen spricht nicht irgendwer; Hans Herbert von Arnim hat sich in seinem Buch"Volksparteien ohne Volk" solcherart geäußert. Es herrsche in dieser Republik eine Allmacht der Parteien und eine Ohnmacht der Bürger. Abgeordnete haben nicht selten zwölf, 16, 20 oder 24 Mandatsjahre auf dem Buckel - einmal Abgeordneter, immer Abgeordneter! Diätenerhöhung rechtfertige man stets, kommentiert von Arnim, mit der unsicheren Lage des Mandatsinhabers, was aber bei diesen Laufzeiten blanke Augenwischerei ist. Die lange Parlamentspräsenz liegt einerseits daran, dass ein Mandatsinhaber auch in Wahlkampfzeiten finanziell abgepolstert ist, obwohl da die parlamentarische Arbeit ruht, während etwaige Konkurrenten ohne ein Mandat, die aber um das zur Wahl stehende Mandat mitbuhlen, keinen Cent erhalten - die Folge ist, dass es innerhalb des politischen Betriebes und der Parteien gar nicht erst zu Konkurrenzsituationen kommt. Der finanziellen Potenz eines Mandatsträgers ist nur schwer beizukommen.
Die Ohnmacht der Bürger zeichne sich dadurch aus, dass sie eigentlich nicht das Souverän sind; sie wählen zwischen Kandidaten, die man ihnen vor die Nase setzt - und oftmals nicht mal das. Man schiebt Kandidaten, die man unbedingt ins Parlament hieven will, in sichere Wahlkreise, die man Hochburgen nennt, obwohl die zur Wahl stehenden Personen oft überhaupt keinen Bezug zu diesem Wahlkreis haben; unsichere Kandidaten, die in wackeligen Wahlkreisen kandidieren, sichert man als Listenkandidaten ab, positioniert sie dort weit oben, damit sie dennoch, quasi durch die Hintertüre, ins Parlament schleichen können. Stichhaltig legt von Arnim dar, dass es viele Wahlkreise gibt, die zwei, drei, vier und sogar fünf Abgeordnete im Bundestag sitzen haben - das heißt also, obwohl die zur Wahl stehenden Personen bei der Direktwahl unterlegen waren, erhielten diese Abgeordneten dennoch ein Mandat. Besonders bizarr ist die Situation bei den Nachrückern: scheidet ein Mandatsträger aus, so gibt es heute keine Nachwahl der vakant gewordenen Stelle mehr, so wie bis in die Sechzigerjahre hinein - die Parteien wählen frei aus, wen sie nachrücken lassen. Arnim führt als prominentes und bezeichnendes Beispiel den Nachrücker des Abgeordneten des Wahlkreises Ingolstadt, Horst Seehofer, an: ein Mann namens Matthäus Strebl rückte für ihn 2008 nach, obwohl dieser nach eigenen Bekunden von seinem Wahlkreis Ingolstadt noch nicht viel gesehen habe. Strebl scheint überdies ein Springer zu sein, war bereits zweimal zuvor als Nachrücker im Parlament gesessen.
Obendrauf kommen noch Überhangmandate, die de iure verfassungswidrig sind, weil sie den Wählerwillen nicht nur nicht abbilden, sondern ihn teilweise aufheben - das ist keine gewollte Entmündigung der Wähler seitens der Parteien, jedenfalls nicht direkt: aber es rappelt sich auch keine Partei auf, dieses verfassungswidrigen Missstand zu beseitigen. Die Union hat die Inangriffnahme der Überhangsmandat-Problematik sogar Anfang 2009 unter den Tisch fallen lassen, weil Demoskopen verkündeten, dass bei der Bundestagswahl wahrscheinlich viele solcher verfassungswidriger Mandate für die CDU und die CSU entstehen würden - und so kam es dann auch.
Die haargenau Ausarbeitung eines Wahlrechts, das Menschen einer Scheinwahl unterzieht, kann hier nicht erfolgen. Hans Herbert von Arnim hat das gewissenhaft in seinem Buch getan - dort erklärt er, dass der politische Betrieb seit Jahrzehnten darum bemüht ist, die eigenen Pfründe abzusichern. Die Politik modellierte ein Wahlrecht, dass die Abgeordneten vor Schicksalsschlägen bewahren sollte, davor abschirmen, des Mandats verlustig zu gehen. Außerdem wurden Ämter und Mandate geschaffen, die niemand braucht, die deshalb von der Verfassung auch gar nicht vorgesehen werden. All das geschah, um sich selbst abzusichern, um von den Launen der Bürger abgeschottet zu sein. Es geschah, damit man laut Basta sagen kann, ohne gleich in Angst zu verfallen zu müssen, vom wütenden Bürger abgestraft zu werden. Wenn man als Abgeordneter weiß, dass bei der nächsten Wahl ein hoher Listenplatz zur Absicherung von unkalkulierbaren Wählermassen wartet, dann ruft man auch mal lauter Basta, unterwirft sich dem Parteienzwang, segnet auch mal blind Patronage ab.
Mag sein, dass es zur Taktik gehört, die Stuttgarter Demonstranten einzulullen, sie zu Vorkämpfern einer neuen Demokratie zu machen, in der auch wieder das Begehren der Bürger abgefragt würde - Geißlers offen zur Schau gestellte Zuversicht diesbezüglich darf sicher als Clou aufgeschnappt werden; er schmiert den Demonstranten Honig ums Maul, macht sie zu Pionieren einer neuen Anti-Basta-Politik. Die Abkehr von einer Basta-Politik auszurufen, klingt absichtlich ein bisschen nach Lob, nach Beifall für die Demonstranten, stimmt milde, saugt die Aufgebrachtheit auf - ob es allerdings wahr ist, ob wirklich Aussichten bestehen, dass die Basta-Ära dem Ende entgegentaumelt, steht auf einem anderen Papier, steht in diversen Wahlgesetzen. Und dort steht, wenn schon nicht in gedruckter Tinte, so doch zwischen den Zeilen: die Willkür bleibt! Abgeordnete, die keine greifbare Angst vor dem Verlust ihres Mandates haben, müssen auch nicht umdenken lernen.
Beschränkte man die Mandatszeit zeitlich, beispielsweise auf zwei Legislaturperioden oder wahlweise auf acht Jahre, würde man dem Kalkül mit den Listenplätzen in die Quere kommen: ja dann könnte das Basta bröckeln - wahrscheinlich auch nicht gänzlich, weil die Wirtschaft ihre dann prekär gewordenen Delegierten aus dem Parlament finanziell unterstützen würde. Derzeit bezahlt der Steuerzahler noch für diese Interessenspolitik. Irrelevant sich darüber Gedanken zu machen, der politische Betrieb beschneidet ohnehin nicht jene Äste, auf dem er sitzt - und solange Geißler und die Presse vom absehbaren Ende der Basta-Mentalität erzählt, ist alles im Lot. Sie dürfen nur nicht konkret werden, nur nicht damit beginnen, an Wahlmodi zu mäkeln!
Von Scheinwahlen spricht nicht irgendwer; Hans Herbert von Arnim hat sich in seinem Buch"Volksparteien ohne Volk" solcherart geäußert. Es herrsche in dieser Republik eine Allmacht der Parteien und eine Ohnmacht der Bürger. Abgeordnete haben nicht selten zwölf, 16, 20 oder 24 Mandatsjahre auf dem Buckel - einmal Abgeordneter, immer Abgeordneter! Diätenerhöhung rechtfertige man stets, kommentiert von Arnim, mit der unsicheren Lage des Mandatsinhabers, was aber bei diesen Laufzeiten blanke Augenwischerei ist. Die lange Parlamentspräsenz liegt einerseits daran, dass ein Mandatsinhaber auch in Wahlkampfzeiten finanziell abgepolstert ist, obwohl da die parlamentarische Arbeit ruht, während etwaige Konkurrenten ohne ein Mandat, die aber um das zur Wahl stehende Mandat mitbuhlen, keinen Cent erhalten - die Folge ist, dass es innerhalb des politischen Betriebes und der Parteien gar nicht erst zu Konkurrenzsituationen kommt. Der finanziellen Potenz eines Mandatsträgers ist nur schwer beizukommen.
Die Ohnmacht der Bürger zeichne sich dadurch aus, dass sie eigentlich nicht das Souverän sind; sie wählen zwischen Kandidaten, die man ihnen vor die Nase setzt - und oftmals nicht mal das. Man schiebt Kandidaten, die man unbedingt ins Parlament hieven will, in sichere Wahlkreise, die man Hochburgen nennt, obwohl die zur Wahl stehenden Personen oft überhaupt keinen Bezug zu diesem Wahlkreis haben; unsichere Kandidaten, die in wackeligen Wahlkreisen kandidieren, sichert man als Listenkandidaten ab, positioniert sie dort weit oben, damit sie dennoch, quasi durch die Hintertüre, ins Parlament schleichen können. Stichhaltig legt von Arnim dar, dass es viele Wahlkreise gibt, die zwei, drei, vier und sogar fünf Abgeordnete im Bundestag sitzen haben - das heißt also, obwohl die zur Wahl stehenden Personen bei der Direktwahl unterlegen waren, erhielten diese Abgeordneten dennoch ein Mandat. Besonders bizarr ist die Situation bei den Nachrückern: scheidet ein Mandatsträger aus, so gibt es heute keine Nachwahl der vakant gewordenen Stelle mehr, so wie bis in die Sechzigerjahre hinein - die Parteien wählen frei aus, wen sie nachrücken lassen. Arnim führt als prominentes und bezeichnendes Beispiel den Nachrücker des Abgeordneten des Wahlkreises Ingolstadt, Horst Seehofer, an: ein Mann namens Matthäus Strebl rückte für ihn 2008 nach, obwohl dieser nach eigenen Bekunden von seinem Wahlkreis Ingolstadt noch nicht viel gesehen habe. Strebl scheint überdies ein Springer zu sein, war bereits zweimal zuvor als Nachrücker im Parlament gesessen.
Obendrauf kommen noch Überhangmandate, die de iure verfassungswidrig sind, weil sie den Wählerwillen nicht nur nicht abbilden, sondern ihn teilweise aufheben - das ist keine gewollte Entmündigung der Wähler seitens der Parteien, jedenfalls nicht direkt: aber es rappelt sich auch keine Partei auf, dieses verfassungswidrigen Missstand zu beseitigen. Die Union hat die Inangriffnahme der Überhangsmandat-Problematik sogar Anfang 2009 unter den Tisch fallen lassen, weil Demoskopen verkündeten, dass bei der Bundestagswahl wahrscheinlich viele solcher verfassungswidriger Mandate für die CDU und die CSU entstehen würden - und so kam es dann auch.
Die haargenau Ausarbeitung eines Wahlrechts, das Menschen einer Scheinwahl unterzieht, kann hier nicht erfolgen. Hans Herbert von Arnim hat das gewissenhaft in seinem Buch getan - dort erklärt er, dass der politische Betrieb seit Jahrzehnten darum bemüht ist, die eigenen Pfründe abzusichern. Die Politik modellierte ein Wahlrecht, dass die Abgeordneten vor Schicksalsschlägen bewahren sollte, davor abschirmen, des Mandats verlustig zu gehen. Außerdem wurden Ämter und Mandate geschaffen, die niemand braucht, die deshalb von der Verfassung auch gar nicht vorgesehen werden. All das geschah, um sich selbst abzusichern, um von den Launen der Bürger abgeschottet zu sein. Es geschah, damit man laut Basta sagen kann, ohne gleich in Angst zu verfallen zu müssen, vom wütenden Bürger abgestraft zu werden. Wenn man als Abgeordneter weiß, dass bei der nächsten Wahl ein hoher Listenplatz zur Absicherung von unkalkulierbaren Wählermassen wartet, dann ruft man auch mal lauter Basta, unterwirft sich dem Parteienzwang, segnet auch mal blind Patronage ab.
Mag sein, dass es zur Taktik gehört, die Stuttgarter Demonstranten einzulullen, sie zu Vorkämpfern einer neuen Demokratie zu machen, in der auch wieder das Begehren der Bürger abgefragt würde - Geißlers offen zur Schau gestellte Zuversicht diesbezüglich darf sicher als Clou aufgeschnappt werden; er schmiert den Demonstranten Honig ums Maul, macht sie zu Pionieren einer neuen Anti-Basta-Politik. Die Abkehr von einer Basta-Politik auszurufen, klingt absichtlich ein bisschen nach Lob, nach Beifall für die Demonstranten, stimmt milde, saugt die Aufgebrachtheit auf - ob es allerdings wahr ist, ob wirklich Aussichten bestehen, dass die Basta-Ära dem Ende entgegentaumelt, steht auf einem anderen Papier, steht in diversen Wahlgesetzen. Und dort steht, wenn schon nicht in gedruckter Tinte, so doch zwischen den Zeilen: die Willkür bleibt! Abgeordnete, die keine greifbare Angst vor dem Verlust ihres Mandates haben, müssen auch nicht umdenken lernen.
Beschränkte man die Mandatszeit zeitlich, beispielsweise auf zwei Legislaturperioden oder wahlweise auf acht Jahre, würde man dem Kalkül mit den Listenplätzen in die Quere kommen: ja dann könnte das Basta bröckeln - wahrscheinlich auch nicht gänzlich, weil die Wirtschaft ihre dann prekär gewordenen Delegierten aus dem Parlament finanziell unterstützen würde. Derzeit bezahlt der Steuerzahler noch für diese Interessenspolitik. Irrelevant sich darüber Gedanken zu machen, der politische Betrieb beschneidet ohnehin nicht jene Äste, auf dem er sitzt - und solange Geißler und die Presse vom absehbaren Ende der Basta-Mentalität erzählt, ist alles im Lot. Sie dürfen nur nicht konkret werden, nur nicht damit beginnen, an Wahlmodi zu mäkeln!