Kate Tempest
„Let Them Eat Chaos“
(Fiction)
Junge Menschen kennenzulernen, die von der Zukunft nicht mehr viel erwarten, kann eine verdammt traurige Erfahrung sein. Das gilt selbst für den Fall, wenn diese Weltsicht in wortgewaltige Poesie verpackt ist. Wie bei Kate Tempest. Die dreißigjährigen Londonerin, einem kleineren Publikum bekanntgeworden durch ihre Gedichte, Theaterstücke und Poetry-Slams, hat gerade ein zweites Soloalbum veröffentlicht und schafft es mit diesem ein weiteres Mal, ihre Zuhörer nachhaltig zu beeindrucken. Der Kniff auf “Let Them Eat Chaos”: Die Erzählerin nimmt uns im bleischweren Dunkel der zu Ende gehenden Nacht mit in ein altes Mietshaus und dort hinter die Türen von sieben Parteien, deren hervorstechendste Gemeinsamkeit es ist, daß sie kein Auge zutun können, sich schlaflos mit Sorgen und Nöten plagen. Auf diese persönlichen Geschichten setzt Tempest ihre dringlichen, leidenschaftlichen Proklamationen an die Welt auf, hetzt sie ihre Reime durch’s muffig-modrige Halbdunkel einer tristen Vorstadtkulisse.
Eingedenk des Umstands, daß zwischen diesem und dem vorangegangenen Album “Everybody Down” der besonders für ihre Generation schmerzhafte Brexit liegt, ist die alles umfassende Düsternis, die Kälte, die einen aus jeder der bedrückenden Kurzgeschichten anweht, keineswegs verwunderlich. Was Tempest als Stimme des jungen und weltoffenen Teils ihrer Heimat, dem man die Tür Richtung Europa mit einem Mal vor der Nase zugeschlagen hat, zur Sprache bringt, läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, ist deprimierend und ergreifend zugleich: “Europe is lost, America lost, London lost, still we are clamouring victory, all that is meaningless rules we have learned nothing from history. People are dead in their lifetimes, dazed in the shine of the streets…” und weiter: “It’s big business baby and its smile is hideous, top down violence, a structural viciousness, your kids are doped up on medical sedatives, but don’t worry bout that, man. Worry bout terrorists.”
Stilistisch bedient sie sich dabei eigentlich der gleichen Mittel wie die Sleaford Mods aus Nottingham, quasi die beiden großen, bösen Brüder im Geiste. Wo diese allerdings mit dreckiger working class rudeness, Punk und schnellen Beats dem Publikum ihre ungeschliffenen Reime um die Ohren hauen, bringt Tempest ihre Anklagen mit der frostigen Künstlichkeit einer Anne Clark zu Gehör (die einstige Dark-Wave-Ikone ist im Übrigen fünfundzwanzig Jahre vor ihr im Stadtteil nebenan aufgewachsen). Weil Tempest sich dazu nicht scheut, öfters zwischen Rap-Stakkato, lyrischem Vortrag und etwas eingängigerer Liedform (wie zum Beispiel bei “Whoops”) hin- und herzuwechseln, erscheint das Ganze im Ergebnis weit weniger wie ein klassisches Hip-Hop-Album, sondern eher als kunstvolle Performance mit sorgsam gesponnener Dramaturgie. Und ist deshalb nicht weniger faszinierend. Eine zärtliche, eine wütende, eine krasse Vorstellung – Vorhang, aus.
29.10. Düsseldorf, New Fall Festival
30.10. Hamburg, Mojo Club
01.11. Frankfurt, Sankt Peter
02.11. Berlin, Astra Kulturhaus
03.11. München, Muffathalle
06.11. Zürich, Mascotte
„Let Them Eat Chaos“
(Fiction)
Junge Menschen kennenzulernen, die von der Zukunft nicht mehr viel erwarten, kann eine verdammt traurige Erfahrung sein. Das gilt selbst für den Fall, wenn diese Weltsicht in wortgewaltige Poesie verpackt ist. Wie bei Kate Tempest. Die dreißigjährigen Londonerin, einem kleineren Publikum bekanntgeworden durch ihre Gedichte, Theaterstücke und Poetry-Slams, hat gerade ein zweites Soloalbum veröffentlicht und schafft es mit diesem ein weiteres Mal, ihre Zuhörer nachhaltig zu beeindrucken. Der Kniff auf “Let Them Eat Chaos”: Die Erzählerin nimmt uns im bleischweren Dunkel der zu Ende gehenden Nacht mit in ein altes Mietshaus und dort hinter die Türen von sieben Parteien, deren hervorstechendste Gemeinsamkeit es ist, daß sie kein Auge zutun können, sich schlaflos mit Sorgen und Nöten plagen. Auf diese persönlichen Geschichten setzt Tempest ihre dringlichen, leidenschaftlichen Proklamationen an die Welt auf, hetzt sie ihre Reime durch’s muffig-modrige Halbdunkel einer tristen Vorstadtkulisse.
Eingedenk des Umstands, daß zwischen diesem und dem vorangegangenen Album “Everybody Down” der besonders für ihre Generation schmerzhafte Brexit liegt, ist die alles umfassende Düsternis, die Kälte, die einen aus jeder der bedrückenden Kurzgeschichten anweht, keineswegs verwunderlich. Was Tempest als Stimme des jungen und weltoffenen Teils ihrer Heimat, dem man die Tür Richtung Europa mit einem Mal vor der Nase zugeschlagen hat, zur Sprache bringt, läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, ist deprimierend und ergreifend zugleich: “Europe is lost, America lost, London lost, still we are clamouring victory, all that is meaningless rules we have learned nothing from history. People are dead in their lifetimes, dazed in the shine of the streets…” und weiter: “It’s big business baby and its smile is hideous, top down violence, a structural viciousness, your kids are doped up on medical sedatives, but don’t worry bout that, man. Worry bout terrorists.”
Stilistisch bedient sie sich dabei eigentlich der gleichen Mittel wie die Sleaford Mods aus Nottingham, quasi die beiden großen, bösen Brüder im Geiste. Wo diese allerdings mit dreckiger working class rudeness, Punk und schnellen Beats dem Publikum ihre ungeschliffenen Reime um die Ohren hauen, bringt Tempest ihre Anklagen mit der frostigen Künstlichkeit einer Anne Clark zu Gehör (die einstige Dark-Wave-Ikone ist im Übrigen fünfundzwanzig Jahre vor ihr im Stadtteil nebenan aufgewachsen). Weil Tempest sich dazu nicht scheut, öfters zwischen Rap-Stakkato, lyrischem Vortrag und etwas eingängigerer Liedform (wie zum Beispiel bei “Whoops”) hin- und herzuwechseln, erscheint das Ganze im Ergebnis weit weniger wie ein klassisches Hip-Hop-Album, sondern eher als kunstvolle Performance mit sorgsam gesponnener Dramaturgie. Und ist deshalb nicht weniger faszinierend. Eine zärtliche, eine wütende, eine krasse Vorstellung – Vorhang, aus.
29.10. Düsseldorf, New Fall Festival
30.10. Hamburg, Mojo Club
01.11. Frankfurt, Sankt Peter
02.11. Berlin, Astra Kulturhaus
03.11. München, Muffathalle
06.11. Zürich, Mascotte