Karlsruhe nicht mit Hoffnung verwechseln

Karlsruhe ist keine Opposition - das ist wahrlich richtig. Es scheint dieser Tage viel mehr zu sein als das, viel mehr als Kontrollinstanz. Das Bundesverfassungsgericht ist der Statthalter eines Staates, aus dem sich Regierung und Parlament verabschiedet haben. Karlsruhe ist vielleicht keine Regierung, durchaus aber Platzhalter und Korrektiv von einer Regierungsarbeit, die als solche nicht zu bezeichnen ist, weil sie sich strikt weigert, ihre Entscheidungen und Vorhaben an Grundgesetz, sozialen Anstand und Wahrheitsansprüche zu knüpfen.
Dass man sich in Baden der Republik annimmt, ist weder anmaßend, wie man manchmal im konservativen Feuilleton liest, noch ist es heldenhaft, wie das wiederum mancher Optimist verlautbart. Dass es so ist, hat sich einfach so ergeben - aus einer Haltung heraus, die pragmatische Schnellschüsse als Politik verkauft und die die Anpassung an Verfassungsstandards in Karlsruhe erarbeitet und nicht vorher schon in ausgiebigen Ausschüssen. Diesen teils asozialen, teils ignoranten Aktionismus nennt man engagierte oder unbürokratische Politik - und die landet dann in Karlsruhe.

Welche Gesetze wurden denn in den letzten Jahren nicht mindestens von Karlsruhe aus der Überarbeitung überstellt? Ganz ohne Bedenken ging es selten vonstatten. Und genau diese Bedenken sind es, die Karlsruhe für viele so nervig macht. Man kann in diesem Lande nicht mal in gepflegter Ruhe gewissenhafte Regierungsarbeit verweigern, nicht als Schattenregierung höherer Interessen walten, ohne dass die robierten Bedenkenträger ihren Senf dazu auf die armen Würstchen schmieren, die wir Minister nennen.
Das BVerfG ist die bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Ohne Karlsruhe ist gewissenhafte, sprich: verfassungskonforme Regierungsarbeit heute nicht mehr denkbar. Es ist die heimliche Kapitale geworden. Und in der wird nicht so aktionistisch gearbeitet, nicht so übereilt verabschiedet und entschieden - was die Clique, die sich Regierung nennt, als einen Affront gegen das Gebot der Eile versteht und als unverantwortlich hinstellt.
Die Karlsbader Beschlüsse waren einst Maßnahmen zur Überwachung und Erstickung liberaler und nationaler Tendenzen - die Karsruher Beschlüsse sind heute überwachende Anweisungen, um zu liberale und zu nationale Tendenzen zu ersticken. Und was haben sie alles beanstandet und kassiert in den letzten Jahren. Arbeitsmarkt- und Sozialgesetze, Überwachungsgesetze, Asylgesetz... immer gibt es etwas zu korrigieren, immer gibt es etwas der Verfassungswirklichkeit anzugleichen.
Karlsruhe ist dabei keine Hoffnung; es ist ja nicht die Heimat des Sozialen und Gerechten, sondern einfach nur die Hauptwache des Grundgesetzes. Die Richter gehen nicht mit der Absicht heran, den Entrechteten und Benachteiligten Entlastung zu erteilen - sie legen Gesetzeswirklichkeit und Verfassungsideale übereinander, prüfen die Deckungsgleichheit, lassen aber auch mal Ränder stehen, weil Ideale ja nicht absolutistisch sein dürfen und sich Wirklichkeiten zuweilen nicht besser arrangieren lassen. In Karlsruhe sitzt nicht der passionierte Gerechtigkeitssinn dem Gerichte vor - das meint man dieser Tage nur oft, weil es das Gebilde, das noch als Regierung und Parlament firmiert, nicht schafft, verfassungskonforme Gesetze zu kreieren. Diese Unfähigkeit, die freilich keine ist, sondern Kalkül und die Erledigung der politischen Drecksarbeit, die das Großkapital einigen in Anzug gesteckten Typen zugewiesen hat... diese kalkulierte Unfähigkeit also, sie verklärt das Bundesverfassungsgericht nachhaltig. Denn neben einem Tölpel sieht jeder zwangsläufig wie ein gebildeter Mensch aus.
Es ist eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, wann eine Regierung die Karlsruher Beschlüsse wegwischt und dennoch durchsetzt, was sie für angebracht hält. Den stillen Verfassungsbruch hat man in der heutigen Zeit als politische Möglichkeit schon enttabuisiert - nur wenn die Richter ihn benennen, duckt man sich noch weg; irgendwann fällt auch dieses Tabu und man wird meinen, es sei zwar schade, wenn es so sei, aber da wir keine Alternative haben, müsse man eben mit gebrochener Verfassung leben. Denn die Politik muß sich schließlich wieder über ihr Primat bewusst werden - und das geschieht voraussichtlich nicht, indem sie Gesetze macht, die den Geist des Grundgesetzes entsprechen; das geschieht, indem sie die Wacht über das Grundgesetz zur postdemokratischen Einrichtung macht, zu einer Institution, die es gibt, die bezahlt wird, die urteilen darf, deren Urteile aber als warme und unverbindliche Empfehlungen, nicht als Auftrag verstanden werden.
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