ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 515
Immer wieder brechen Künstler in für sie fremde Welten auf. Wohl immer dann, wenn das Gefühl aufkommt, die eigene Welt könnte zum Gefängnis werden, könnte sich all zu schnell etablieren oder könnte sich viel zu früh verfestigen. Wenn der Raum für Phantasie zu eng wird, entsteht so gesehen die Sehnsucht nach anderen Welten. Es ist die Fremde, die plötzlich zum Wunschszenario erkoren wird und in der gerade Künstler ihr Heil suchen und, falls sie nicht scheitern, manchmal auch finden.
Beispielgebend sei der Künstler Paul Gauguin (1848 – 1903) genannt, der im Sommer 1887 nach Martinique fuhr, dort malte, sich später auf Tahiti niederließ und vor Ort, wenn auch nicht ohne Widersprüche, seine Sehnsuchtsorte fand. In seinen Arbeiten manifestierte er eine zwar schon gefährdete, aber noch zu erlebende ursprüngliche, archaische Welt, die er in berührenden, formal neuartigen Bildern und Schnitzereien bannte, die ihn in Europa schlagartig und nur wenig später weltweit berühmt machen sollten. Gauguin flüchtete auch vor dem blutleeren Akademismus bzw. einer unseligen Ateliermalerei, die »durch Feinarbeit, durch handwerksmäßige Vollendung« immer nur schönt und glättet.
Was den West-Berliner Rüdiger Moegelin zu ersten Malreisen nach Sylt, in die Toscana, in die Provence, ins Tessin und ab 1989 in die Karibik nach Martinique verschlug, hat er bei der Eröffnung seiner umfangreichen Orangerie-Ausstellung provokant lächelnd mit der »Flucht vor dem Winter« begründet.
Das mag ihm abnehmen wer will. Ich tippe da eher auf seine eigenen Worte in dem auch in Putbus vorliegenden DABIDU-Katalog: »Diese Bilder erzählen von tiefen Eindrücken einer fremden Welt, deren Geheimnisse sich mit Erfahrungen und Phantasien (eigener) Welt vermischen.« Raimund Hoffmann verweist (ebenfalls nachzulesen im Katalog!) auf die Moegelinschen »Inspirationen aus der Karibik«, die eine bis in die achtziger Jahre »überwiegend pleinairistisch und vor dem Motiv gemalt(e)« Herangehensweise ablöst durch »Schöpfungen, die aus dem Innern des Malers heraus zur Form wurden und sehr intensiv subjektiv Erlebtes und Empfundenes reflektieren.«
Bei Rüdiger Moegelin ist es anders als bei Gauguin, gerade das Arbeiten im Atelier, bei dem das Karibik-Erlebnis »ohne direkten motivischen Vorwurf« aufgearbeitet, vertieft bzw. verfremdet wird, hin zu einer originären Erweiterung des eigenen bildnerisch verfügbaren Sprachrepertoires und zu einer auf den Betrachter übergehenden Aussage, die vom Zauber des Gesehenen beispielhaft Kunde gibt. Ein Zugewinn nicht nur für das OEuvre Rüdiger Moegelins, auch für den aufgeschlossenen Betrachter, der in der zweiten Ausstellung der Galerie des Landkreises Rügen auf der Suche nach seinen Paradiesen Ausschau hält. ARTus
Der Berliner Maler Rüdiger Moegelin, geboren 1942, stellt seine »nachkaribischen« Arbeiten in der Orangerie aus. Zeichnung: ARTus