Kapitalismuskritik: Es gibt keine Alternative

Wenn man unsere Gesellschaft, das System oder gar den Kapitalismus kritisiert, begegnet einem immer wieder das universale Totschlagargument: „… und was wäre denn die Alternative?!“

Nun ist es keineswegs so, dass ich die Weisheit mit Löffeln gefressen hätte – ich muss zugeben, dass ich auch als erstes nach der Alternative gefragt habe, als mir zum ersten Mal mal so richtig radikale Kapitalismuskritik zu Ohren kam. Mit diesen schlackerte ich dann auch gehörig, als mir auf meine ebenso selbstverständliche wie naive Frage an den Kopf geworfen wurde: „Wir haben keine, denk halt selbst drüber nach!“

Das war ja der Hammer! Ich war doch absolut guten Willens und wollte wirklich wissen, was man besser machen kann! Und dann das….! Schockiert von der Vehemenz dieser Abfuhr fing ich tatsächlich an nachzudenken. Denn die Kritik am Kapitalismus, an der Bürgerlichen Gesellschaft und all ihren kleinen und großen Gemeinheiten leuchtete mir durchaus ein. Hatten diese ganzen klugen Leute, mit denen ich abendelang diskutierte und die da so viel so zu recht und so zutreffend kritisierten, tatsächlich keine Ahnung von dem, was sie wollten? Das konnte doch nicht wahr sein!

Es war auch nicht wahr. Es war viel schlimmer: Sie meinten total ernst, dass ich selbst denken sollte! Nicht, dass ich im Denken ungeübt gewesen wäre – ich habe schließlich ein gutes Abitur, mein Studium, sogar ein glänzendes Diplom geschafft – aber ich hatte immer in den Bahnen gedacht, die ich von Kindesbeinen an gelernt hatte. Schließlich war meine ganze Ausbildung, ach was: meine ganze Menschwerdung daraufhin angelegt, in dieser Gesellschaft, in diesem System zu funktionieren.

Obwohl ich durchaus als „Querdenker“ galt, wie man heute jemand nennt, der es schafft, eine alte Idee in einem neuen Zusammenhang als neu zu verkaufen. Oder irgendetwas ausspricht, was zwar nicht ganz politically correct sein mag, aber offensichtlich stimmt. Sonst hätte ich mich kaum so elegant durch Oberstufe und Studium schlaumeiern können. Und es schadet auch nicht im Job, so ganz nebenbei. Aber jetzt hatten sie mich kalt erwischt – mit dem ganzen bekannten Rumgedenke würde ich hier nicht mehr weiter kommen. Das tat weh. Richtig weh. Um hier weiter zu kommen, musste ich mein bisheriges Weltbild total zerstören – das ist nicht schön. Das erfordert Entschlossenheit und den Mut, ganz von vorn anzufangen. Und ein Schutz genau davor ist es, diese blöde Frage zu stellen – „Wenn der Kapitalismus total scheiße ist – was ist denn dann die Alternative?!“

Mit großer Freude möchte ich deshalb auf eine Veranstaltung der Destruktiven Kritik hinweisen, die ich via Contradictio gefunden habe. Es geht dabei um die Frage, warum die Kritiker nicht einfach mit einem „durchdachten planwirtschaftlichem Konzept“ für den Kommunismus werben. Genau diese Diskussion flammt auch hier im Forum ja auch gelegentlich auf (gern immer wieder!). Ich kann nur eindringlich darum werben, sich diese Argumente gegen die Alternative einmal ernsthaft anzusehen.

Vereinfacht kann man es auf die Formel bringen: Wer behauptet, ein Patent-Rezept zu haben, lügt. Es gibt nämlich keins. Es gibt weder eine menschenfreundliche Marktwirtschaft, die man dazu bringen kann, alle Menschen auf unserem Planeten menschenwürdig zu versorgen, obwohl man ihre Arbeitskraft dazu gar nicht braucht, noch gibt es einen großen Plan, nach dem alles perfekt zu organisieren wäre. Natürlich nicht. Es gibt nur jede Menge Menschen, die weder alle gut noch schlecht sind, die sich irgendwie einigen müssten, wie denn alles für alle am besten zu bewerkstelligen wäre.

Genau hier ist aber schon der Punkt: Die meisten Menschen werden gar nicht gefragt! Konservative werden einwenden, dass das auch gut so sei, denn man könne es ohnehin nicht allen recht machen. Progressive dagegen denken durchaus, dass man die Leute nur fragen müsste, um eine bessere Welt zu erreichen – etwa die Piraten, die jetzt alles ganz furchtbar transparent und demokratisch machen wollen. Diese Idee finde ich gar nicht so schlecht – allerdings frage ich mich, wie das funktionieren soll, solange die Leute doch alle vom herrschenden System hirngewaschen sind und dieses nicht infrage stellen.

Einfach wird es nicht, so viel ist klar. Solange beispielsweise als Gemeinwissen verinnerlicht ist, dass Kommunismus zwar als menschenfreundliche Idee ganz nett, aber mit der eigentlich auf Privatbesitz fixierten Natur des Menschen nicht vereinbar ist, braucht man über diese Alternative gar nicht ernsthaft nachzudenken. Genauso ist das mit den Zwängen der Marktwirtschaft – die bringt ihre Sachzwänge nämlich „naturgegeben“ mit sich. Wenn ein System offensichtlich Zwang exekutiert, dann ist das ein unmenschliches Zwangssystem und wird „Kommunismus“ genannt – siehe China oder Nordkorea. Anders ist das selbstverständlich, wenn die Zwangsausübung irgendwie vom demokratischen Rechtssystem gedeckt wird, welches sich ein Kapitalismus unbedingt leisten muss, weil er ja das Privateigentum und die Freiheit effektiv zu beschützen hat (und nicht die jeweiligen heiligen Individuen, auch wenn sie das gern glauben wollen, es wäre ihnen zuliebe alles so trefflich eingerichtet). Natürlich ist auch der Kapitalismus gewalttätig ist wie nur was – aber in diesem Fall ist die Gewalt nun einmal notwendig.

Und: Wer nach einer Alternative verlangt, denkt als braver Bürger und als Konsument – und will sich aus dem Katalog der Herrschaftssysteme das für ihn angenehmere Angebot aussuchen. Als demokratischer Untertan hat man immer jemand anders, der zuständig ist – diese Verantwortung will dem Bürger aber kein aufrechter Kapitalismuskritiker abnehmen. Im Gegenteil: Kapitalismuskritik will den Leuten beibringen, dass nur sie selbst sich ihre Lebensbedingungen dauerhaft vernünftig einrichten können, und nicht irgendwelche Figuren, denen sie – auf so demokratische Weise wie auch immer – Macht über sich und ihre Lebensverhältnisse verleihen.



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