Kann nicht sein, was nicht sein darf?

Kann nicht sein, was nicht sein darf? Nichts erregt derzeit mehr Aufmerksamkeit, als die Debatte um das Gedicht von Günter Grass zum Thema Israel. Verständlich, denn es kommt nicht oft vor, dass eine Person, die in der Öffentlichkeit steht, zu einem derart heiklen Thema Stellung bezieht. Kaum jemand traut sich, zu riskieren, sich die Finger zu verbrennen und damit Reputation und Karriere aufs Spiel zu setzen. So ist es sicherlich kein Zufall, dass sich (wie zuvor im Fall Sarrazin) jemand aus der Deckung wagt, der in Sachen Fortsetzung der Karriere und finanzieller Sicherheit schon allein aufgrund seines Alters nicht mehr viel zu befürchten hat.
Und so kam es, wie es kommen musste - eine Welle der Betroffenheitsrhetorik schwappt durch das Land - oder besser gesagt, durch die Massenmedien und einer reagiert empörter, als der Andere. Jeder Intimfeind von Grass und jeder auf der Suche nach Profilierung darf öffentlich Stellung beziehen und sich unsachlich, mit unsäglicher Polemik echauffieren. Sei es ein Hendrik Broder, Marcel Reich-Ranicki, Guido Westerwelle - keiner von ihnen hat Grass' Gedicht inhaltlich entkräftet, oder gar widerlegt und doch stellt man Grass als einen Hass predigenden Antisemiten dar.
Die ganze Kritik also zu unrecht? Nicht ganz. Günter Grass hat einige Fehler gemacht, durch welche er angreifbar wurde und seinen Kritikern eine Zielscheibe bot. Beispielsweise sprach er von "Israel" als Ganzem, nicht von der politischen Führung des Landes um Benjamin Netanjahu. Des Weiteren darf man die Bezeichnung Ahmadinedschads als einen "Maulhelden" durchaus als unglücklich werten. Dies impliziert, dass es sich beim iranischen Staatschef lediglich um einen Halbstarken handele, welchem man nur begrenzt Aufmerksamkeit widmen dürfe. Auch Formulierungen von "Auslöschung" des iranischen Volkes waren sicher alles andere als angemessen.
Dennoch - die Kernpunkte seines lyrischen Ergusses (Lieferung atomwaffenfähiger deutscher U-Boote, Bedrohung des Friedens durch einen israelischen Erstschlag) kommen der Wahrheit sehr nahe und die Tatsache, dass man selbst in israelischen Medien, wie der Zeitung "Haaretz" seine Zeilen differenzierter betrachtet und diskutiert, als dies hierzulande der Fall ist, spricht nicht gerade für die "Meinungsfreiheit" in unserem Land. Bemerkenswert ist auch, dass eine breite Mehrheit des deutschen Volkes (aktuell etwa 80%) Grass in der Sache Recht gibt. Zumindest kommt man zu diesem Schluss, wenn man die Online-Umfragen bei "T-Online" und "Financial Times Deutschland" mit zehntausenden von Teilnehmern betrachtet.
Ist die Mehrheit der Deutschen etwa generell antisemitisch?! Wohl kaum. Warum musste man beispielsweise bei "n-tv" und anderen wichtigen Nachrichtenorganen Tag für Tag unzählige Telefon-Teds über die Frage zum Rücktritt Christian Wullfs über sich ergehen lassen und warum gibt es diese nicht in der Form zum Thema Günter Grass? Nun, die Antwort scheint offensichtlich...

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