Fragt man ältere Mitbürger nach den Kosten fürs Telefonieren so erinnern sie sich an Werbekampagnen der Deutschen Bundespost Telekom, die schlicht “Fasse Dich kurz” lauteten. Ja, Telefonieren war früher einmal richtig teuer.
Minutenpreise im Festnetz von 40 Cent (und mehr). Anrufe zu Handys (pardon zu Autotelefonen) kosteten knapp 90 Cent/Minute. Der Minutenpreis für Anrufe nach Amerika entsprachen heutigen Treibstoffpreisen an der Tankstelle.
Kostenloses Telefonieren, damals wie heute einfach “traumhaft”.
kostenlos telefonieren und texten, z.B. via Yuilop (Quelle Yuilop)
Die Einführung der kostenlosen Vorwahl 0130 (heute 0800) übernahm einen Trend aus den USA. In den USA sollen mehr als 50% des Telefonverkehrs über kostenfreie Rufnummern laufen, in Deutschland sind es weitaus weniger. Wo es Dinge kostenlos gibt, explodiert hierzulande die Neigung, das bis zum Endanschlag auszukosten. Und es gibt nun mal kein “Free Lunch”, wie schlaue Leute schon vor Jahren festgestellt haben, am Ende zahlt irgendjemand die Zeche.
Während wir früher gewöhnt waren, pro Minute zu denken und schlaue Menschen auch den Zeittakt berücksichtigten, haben wir uns heute an Flatrates gewöhnt, ein Preis, alles drin. Telefonieren ist an sich nichts mehr “wert”. Gefühlt telefonieren (sprechen) wir heute weniger, sondern daddeln in sozialen Netzwerken und lesen die Tageszeitung lieber online, während Redaktionen ausgedünnt, Druckereien geschlossen oder langjährige Publikationen von heute auf morgen geschlossen werden.
Umsonst?
Zurück zum Telefonieren. Kostenloses Telefonieren übt immer noch einen gewissen Reiz aus. Als vor Jahren auf einer Fachtagung jemand vom Geschäftsmodell “Google Telefonie” schwärmte, wurden die anwesenden Industrievertreter leichenblass. Die Idee: Die Kunden verraten möglichst viel über sich selbst (ihre Vorlieben, ihre Antipathien, ihre Gewohnheiten, ihr Einkaufsverhalten) und dafür dürfen sie umsonst telefonieren. Google-Mobile ist damit bislang nicht an den Start gegangen, vielleicht weil sie rechnen können.
Verschiedene Anbieter probierten es mit Werbetelefonie. Hör Dir unsere Werbung an, dann kannst Du 1,2,3 Minuten oder mehr kostenlos telefonieren.
Diese Geschichte hat einen entscheidenden Haken: Die Zielgruppe sind interessierte Jugendliche und junge Erwachsene, die kaum eigenes Einkommen haben und von daher sparen müssen oder ihr knappes Geld lieber für Konzertkarten, Klamotten oder was anderes ausgeben wollen. Diese Zielgruppe würde sich die Werbung anhören, aber bestimmt nix davon kaufen. Bereits im Kindesalter werden wir erzogen, nervige Werbung auf dem PC oder Handy weg zu klicken. Solange noch genügend “Käufer” der angebotenen Waren und Dienste übrig bleiben, mag das noch eine Weile funktionieren.
Nun also die Over the Top Player. Die besorgen sich eine mobile Internet-Verbindung, wofür der Kunde einen monatlichen Paketpreis an seinen Netzbetreiber oder Service-Provider bezahlt und pappen dann obendrauf eine eigene Nachrichtenverbindung. Was da telefoniert, getextet oder übertragen wird, geht den Netzbetreiber eigentlich nichts an, aber die Gerüchte, daß die Netzbetreiber in die Datenpakete “reinschauen”, um unliebsame Verkehre “bremsen” oder ganz “blockieren” zu können, wollen nicht verstummen.
OTT Modelle bedrohen die etablierten Netzbetreiber. Das ist Fakt. Bislang verdienten sie an Minuten, an SMS-Nachrichten und an Daten und an Mehrwertdiensten (was immer das auch sein mag). Künftig würden sie nur noch an Daten verdienen. Da aber jeder eine Flatrate gebucht hat, bleiben diese Einnahmen im überschaubaren Rahmen und sind nicht beliebig vermehrbar.
Der Fluch der Flatrates
Flatrates sind toll, haben aber für den Anbieter und auch für den Kunden böse Nebenwirkungen. Mehrnutzung bedeuten nicht mehr automatisch Mehreinnahmen für den Netzbetreiber, weil die Flat ja weiter ihren festen Preis kostet. Sie bedeuten aber Mehrkosten für den Netzbetreiber, weil die Technik immer weiter ausgebaut werden muß, um genügend Kapazität zu haben.
Funklöcher, werden nicht mehr gestopft, weil nur Kosten für neue Sende-Stationen entstehen, die Einnahmen daraus (“Hurra jetzt kann ich hier endlich telefonieren”) steigen aber dadurch nicht oder nicht nennenswert, weil ja alles schon “flat” ist.
OTT – auf Dauer (k)eine Lösung?
Over the Top (OTT) Angebote sind nicht neu. Aus dem Nichts wurde “Whatsapp” populär, was viele Jugendliche heute als SMS-Ersatz verwenden. Rund vier Milliarden Nachrichten würden über das Netzwerk jeden Tag verschickt, sechs Milliarden Nachrichten empfangen, teilte Whatsapp mit. Offenbar lebt Whatsapp nur vom Verkauf der Apps an seine Nutzer, ob sie auch die Inhalte der Adressbücher und Kurznachrichten “auswerten” ist nicht bekannt.
Seit Whatsapp gibt’s bezahlbare SMS-Flats, die von grauen Anbietern für kommerzielle SMS-Dienste mißbraucht werden. Für die Netzbetreiber sind SMS-Flats ein verzweifelter Versuch, wenigstens etwas zu verkaufen, wenn viele Leute sonst fast gar nicht mehr SMSen würden.
Nur wie sicher ist Whatsapp? Da streiten sich die Geister. Geht man als Sparbrötchen nicht über den eigenen Mobilfunkanbieter, sondern über ein (öffentliches) WLAN ins Netz, können mitsurfende “nette” Menschen mit entsprechender Schnüffel-Technik mit geringem Aufwand diese Nachrichten im WLAN mitlesen und sogar das eigene Konto komplett kapern – ein Zurückholen des entführten Kontos sei dann nicht mehr möglich, berichtet z.B. die Pinger.com an. Dort stieg vor kurzem die Deutsche Telekom Tochter T-Ventures als Kapitalgeber mit ein. Das Konzept ist ähnlich wie Whatsapp, mit dem Zusatz, dass man auch telefonieren kann. Dazu vergab das Unternehmen zum Start Rufnummern des inzwischen insolventen virtuellen Netzbetreibers Telogic (früher vistream), wo aus dem Interconnect-Entgelt für eingehende Anrufe und SMS ein Punktekonto aufgefüllt wurde. Für diese Punkte konnte man im Gegenzug telefonieren und sms-en. Der Reiz: Auch Leute mit uralten Steinzeit-Telefonen (aus der Vor-Smartphone-Ära) konnten erreicht werden und einen selbst erreichen. Einzige Bedingung: Der Pinger-Nutzer brauchte eine gute WLAN oder stabile Mobilfunkversorgung nebst passender Flatrate.
Nach dem “Aus” von Telogic änderte man das Konzept: Nur noch zwischen Pinger-Teilnehmern soll kostenlose Kommunikation möglich sein, man möge doch möglichst vielen Leuten von Pinger erzählen. Wie das Geschäftsmodell von Pinger jetzt funktioniert? Vielleicht über Werbung im Pinger Client, vielleicht auch nur mit Sponsorgeldern von Investoren, die auf der verzweifelten Suche nach neuen lukrativen Geschäftsmodellen sind? Ein Kurztest zwischen zwei nebeneinander liegenden Handys mit dem aktuellen Pinger Client: Telefonieren könnte funktionieren, bei mir gings nicht. Viele Nutzer sind abgesprungen, auf iTunes liest man eindeutige Kommentare.
Da kam auf einmal Yuilop. Zunächst sah es nach einer 99% Pinger-Kopie aus. App installieren, eigene Rufnummer beantragen und viele ankommende Anrufe und SMS sammeln. Darüber hinaus kann man andere Apps herunterladen oder sich Werbevideos anschauen, wofür es Punkte, pardon “Energy” gibt. Na schön.
Dann kam, wie schon erwähnt, der Nummernlieferant Telogic ins Schlingern, die Nummern waren futsch. Da Yuilop mit “Fördergeldern” aus der “Venture-Capital”-Kriegskasse von KPN (der Mami von E-Plus) finanziert wurde, trafen sich die Verantwortlichen und E-Plus öffnete ihnen seine große Wundertüte mit frischen Rufnummern. Damit unterstützt E-Plus ein Geschäftsmodell, was sie eigentlich gar nicht so mögen, vermutlich mit dem Hintergedanken “Da bleiben die Interconnect-Gelder wenigstens in der eigenen Familie und vielleicht wird’s ja doch noch irgendwie erfolgreich.”
Von Sicherheitsbedenken bei Whatsapp hochgeschreckte Anwender warfen schnell einen Blick auf Yuilop. Ist das eine ernstzunehmende Alternative? Zunächst sah es in der Tat so aus. Doch dann erschienen Berichte, beispielsweise bei Golem.de wonach es möglich sein soll, die Yuilop-Kommunikation im “öffentlichen” WLAN einfach im Klartext mitzulesen. Beim “eigenen” (privaten) WLAN sollte man ja in der Regel “wissen”, wer da alles drin rum turnt – aber in öffentlichen WLANs ist Vorsicht geboten.
Laut Golem.de beteuern die Verantwortlichen bei Yuilop, dass alles “verschlüsselt” sei. Wobei “verschlüsselt” vielleicht eine reine Definitionsfrage ist, denn mit mehr oder weniger Aufwand ist jeder “Schlüssel” irgendwann zu knacken. Bei der Mehrzahl der Nachrichten, die über solche Systeme getippt werden, wäre der Aufwand zum Mitlesen allerdings verschenkt, da sie kaum oder keinen “Nährwert” haben… (je nach Auge des Betrachters)
Ob Pinger (alt) oder Yuilop (neu): Das Geschäftsmodell freies Telefonieren oder SMSen, wenn genügend Außenstehende durch eingehende Anrufe/SMS das Teil “aufladen”, kann auf die Dauer nicht wirklich funktionieren!
Spielen wir das mal durch: Stellen wir uns vor, rein theoretisch sind eines Tages alle bei Yuilop. Dann gäbe es keinerlei Interconnect-Einnahmen “von außen” mehr… (Zugegeben das ist ziemlich theoretisch, aber es gibt einen Grenzwert, ab wann das Modell nicht mehr vernünftig funktioniert.) Ok, sie leben ja auch von Interaktion und Promotionen (sprich Werbung) Gut: Am Anfang seiner Karriere in einem solchen Dienst klickt man dieses Video und lädt jenes Spiel aber auch das wird irgendwann langweilig.
Das “Ausnutzen” der gesammelten Daten durch den Anbieter mag anfangs noch möglich sein, aber irgendwann stehen die Datenschützer auf der Matte und spätestens dann wird’s unattraktiv. Das musste Telefonica o2 gerade lernen, die aus mehr oder weniger anonymen Nutzerdaten zielgerichtete Werbung aufs Handy schicken wollten (Kunde ist regelmäßig in einer Zelle bei einem Burger-Brater eingebucht, vielleicht mag er ein paar Gutscheine oder Werbeangebote aufs Handy dazu?)
Zurück zu Pinger und Yuilop: Um das Werkzeug im Alltag nutzen zu können, müssten sie irgendwann die Möglichkeit einräumen, das Guthaben durch “Einzahlungen” (in echtem Geld) aufzuladen, dann aber verlangen die Kunden ein super zuverlässiges System mit Super Service. Nur sind alle Over-the-Top-Konstruktionen wie Yuilop, Pinger & Co. auf Gedeih und Verderb von der “Lust” der Netze / Carrier darunter abhängig. Wenn dann die Minute Telefonieren über OTT nicht mehr viel weniger als beim Original Netzbetreiber kostet, gehe ich bleibe ich beim/zum Original… Zumal ich in jedem Fall eine ausreichende Datenflat brauche und die gibts auch nicht zum Nulltarif.
Kann “Joyn” den OTT Anbietern den Garaus machen?
Der kometenhafte Erfolg von “Whatsapp” schockierte die etabliere Netzbetreiberszene, die über ihren Dachverband “GSMA” nach Abhilfe sannen. Unter dem sperrigen Begriff “RCS-e” für “Rich Communication Suite enhanced” wurde etwas “Neues” erfunden, was den Namen “Joyn” bekam und “Whatsapp” ziemlich ähnelt: Man kann Texte und Nachrichten mit medialen Anhängen austauschen oder Videotelefonieren.
Joyn wurde erstmals in Spanien zum mobilen Weltkongress 2012 in Barcelona gestart, bei Vodafone D2 läuft bereits ein öffentlicher Beta-Testbetrieb, bei der Telekom ist der gleiche Test noch “intern”. Zwar geisterte dieser Tage ein Download Link durch die Szene, wo der neueste “Joyn” Client der Telekom heruntergeladen werden kann, doch der funktioniert für normale Kunden solange nicht, solange die Telekom die einzelnen SIM-Karten-Kennungen (IMSI) nicht freigibt. Vor dem offiziellen Startdatum (geplant ist der 3.12.2012) dürfen aber nur ganz wenige ausgewählte Leute von der Telekom selbst intern testen, Ausnahmen für “friendly user” gibt’s nicht.
Das Plus von Joyn wäre, daß der eigene Netzbetreiber die Telefonbuch-Daten und Nachrichten hochwahrscheinlich nicht weiterverkauft, somit ein höherer Datenschutz gewährleistet ist. Da Joyn auf einem Standard beruht, ist die Chance hoch, irgendwann Leute in allen Netzen erreichen zu können. Wenn die Gegenstelle noch kein Joyn kann, verschickt das Programm automatisch (kostenpflichtige) SMS-Nachrichten, das können Whatsapp beispielsweise nicht und Pinger nicht mehr. Aber Joyn wird nicht kostenlos sein, eine Datenflatrate ist die Mindestanforderung, aber die braucht man für Whatsapp, Pinger & Co. schließlich auch.
Das Problem hierzulande ist im Moment, dass E-Plus wenig Neigung zeigt, von Anfang bei Joyn mitzumachen. Als “Smart-Follower” warten sie den Zeitpunkt, wo es die Technik zum Discount-Preis an jeder Ecke zu kaufen gibt, falls nicht ein Sponsor, wie die chinesische ZTE, die mit Macht auf den Markt möchte, die passenden Gerätschaften mitbringen sollte.
Wie geht’s weiter?
Ich wiederhole mich: Die Branche bräuchte mehr Offenheit und Klarheit. Sie müsste ehrlicher werden, damit der Kunde sieht, was genau, er für sein Geld bekommt und was nicht. Bei mehr Transparenz bestünden gewisse Chancen, wieder kostendeckende Tarife einführen zu können, wo der Kunde genau weiß, was er für sein Geld bekommt und was nicht.
Solange aber immer noch Tarife gestrickt werden, die auf den ersten Blick “gut” aussehen und dann mit 200 Fußnoten und Falltüren versehen werden, erziehen die Netzbetreiber ihre Kunden zum Run auf no-Frills-Discounter, wo ausser günstigen Telefonpreisen nichts richtig funktioniert. Wird das Chaos zu schlimm, wechseln die Kunden zum nächsten Discounter.
Selbst langjährige Kunden, die gerne etwas mehr bezahlt haben, flüchten in Scharen aus ihren Verträgen, weil sie sich nicht mehr ernstgenommen fühlen. Hotlines versprechen das Blaue vom Himmel, sind überlastet, hilflos oder haben schlicht keine Ahnung von dem Produkt, was den Kunden verkauft wird. Viele Shops sind gezwungen, ihren Kunden unnötige Verträge und Optionen aufzudrängen oder haben schon geschlossen oder denken ernsthaft darüber nach.
Regionale Vertriebsbeauftragte zwingen ihre Verkäufer, jedem zufällig vorbei kommenden Kunden mit aller Gewalt irgendwelche Optionen oder Zusatz-Verträge verkaufen zu müssen, die der gar nicht braucht oder nutzen kann (z.B. eine LTE-Option in gar nicht mit LTE versorgten Regionen). Wenn der Kunde es irgendwann merkt, ist er sauer und… weg.
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