Er ist nicht freundlich. Er macht Witze über meinen deutschen Akzent und stellt mir idiotische Fragen über das Dritte Reich, zum Beispiel: "Kannst Du mir mal sagen, warum ihr damals in Polen einmarschiert seid?" Ich mache einen schwachen Witz über Autos, den Kameel nur mit einem grimmigen Kopfschütteln abtut. "Deutschen Humor habe ich noch nie verstanden."
Er ist angespannt und übel gelaunt. Über dem Kragen seines regenbogengeringelten Pullovers schaut er mich mit scharfem Blick an und legt die Hand auf das Buch vor uns auf dem Tisch. "Das sind eineinhalb Jahre meines Lebens!", und fügt in einem plumpen Versuch zum Understatement hinzu: "Wahrscheinlich pure Zeitverschwendung." Adam und ich blättern in den Testdrucken des Reiseführers herum und schütteln die Köpfe: "Nein, das ist hervorragende Arbeit!"
Die Informationen über den Südosten der Türkei, die Kameel mit einem kleinen Team von 14 Leuten zusammengetragen hat, sind in dem Umfang bislang nicht veröffentlicht. Knappe 700 Seiten hat der Reiseführer, den man in englischer und türkischer Sprache kostenfrei bei der Stadtverwaltung in Diyarbakir erhält. Eine beeindruckende Leistung. Das einzige Problem dabei: Die Regionsbezeichnung "Kurdistan" hat sich auffällig häufig in den Text eingeschlichen. Der türkische Staat ist davon wenig begeistert. "Nächste Woche kommt der Reiseführer raus," sagt Kameel. "Und in drei Wochen habe ich Gerichtstermin. Aber da bin ich schon nicht mehr hier." Wo denn? "Iran, Pakistan vielleicht. Mich zieht's weiter nach Osten. Ich werde immer verrückter, siehst Du?"
Seine Gesellschaft ist alles andere als angenehm. Er ist besserwisserisch, zynisch und verletzend. Aber man kann darüber hinwegsehen und von einer Begegnung mit Kameel eine Menge mitnehmen. Der Mensch ist energiegeladen und hochintelligent. Er hat eine Webseite mit hervorragenden bis mäßigen Photographien und unzähligen Artikeln. Geboren als iranischer Kurde sind kurdische Ethnizität und Identität seine Hauptthemen. Obwohl von hohem akademischem Anspruch ist seine Arbeit nicht als objektiv zu bezeichnen. Mein Mitbewohner Ozan war von der Homepage, die ich ihm wegen der schönen Photographien zeigen wollte, wenig angetan: "Der Typ ist doch ein kurdischer Nationalist!"
Nachdem wir bei Bier und Mezze ausgiebig über die Nazis, den Sozialismus und Beziehungen im allgemeinen diskutiert haben, verabschieden wir uns im strömenden Regen. "War gut, Dich zu sehen, deutsches Mädel!", sagt Kameel, und drückt mir mit seinem knotigen Gesicht links und rechts einen Kuss auf die Wangen. "Lass wieder von Dir hören!" Dann verschwindet sein regenbogenfarbener Pullover im Gedränge der Seitenstraßen.