Jussuf, sei ein braver Asylant und leg den Hörer weg!

Ach, was schwatzten sie sich wieder den Mund fusselig. Diesmal ging es um Handyverträge, die Asylbewerber nicht mehr bezahlen könnten. Die armen Anbieter blieben auf ihren Kosten hocken. Und was müssen Asylanten auch ein Handy haben, Mensch? »Wo habtn ihr den Scheiß schon wieder her?«, habe ich gefragt. Sie hatten es aus dem Radio und tobten weiter.

Jussuf, sei ein braver Asylant und leg den Hörer weg!

Quelle: stern.de

Ich argumentierte ein bisschen dagegen, aber es war sinnlos. Sie hatten ihre Meinung und wollten glauben, was sie glauben wollten. Man kann in diesen Zeiten »Argument« und »Vergeblichkeit« synonym benutzen, es würde kaum jemanden auffallen. Ich sagte zunächst so Dinge wie »Die Frage ist doch, welche Gründe machen diese Menschen glauben, einen Handyvertrag haben zu müssen« oder »Zu einem Vertragsabschluss braucht es immer zwei Seiten«. Aber sie mokierten sich nur, weil Asylanten sich von ihrem Steuergeld ein Mobiltelefon zulegten.
   »Hört mal, das klingt so, als müsstet ihr Extravaganzen bezahlen.«
   »Wenn man angeblich so in Not ist, muss man da ein Handy auf fremde Kosten haben?«
   »Wieso, den Vertrag bezahlen sie vermutlich von ihrem monatlichen Sozialgeld. Ein Handy-Bonus ist nicht vorgesehen.«
   Da dämmerte mir, dass die gar keine Ahnung hatten, dass Asylbewerber einen Regelsatz beziehen. Sie glaubten, sie gingen einkaufen und die Kommune bezahlt unbesehen. Können sie es nicht bezahlen davon, hat der Mobilfunkbieter eben Pech. Unternehmerisches Risiko.
   »Und außerdem, seien wir mal nicht so kleinlich, ein Mobiltelefon ist heute kein Luxus mehr.«
   »Aber wenn man doch angeblich so in Not ist. Muss da ein Handy sein?«
   Wie gesagt, Argumente auf eine andere Sichtweise kann man sich sparen.

Aber noch einen, für mich den zentralen Aspekt wollte ich kurz beleuchten. Ich sagte, dass in Asylbewerberheimen oft keine Telefone seien. Manchmal liest man in Zeitungen, dass die wenigen Apparate, die es gibt, nur für Notrufe funktionierten. Oder sie sind defekt und niemand will sie reparieren lassen. Geht ein Telefon, ist es sozusagen dauerbelegt, weil dann jeder telefonieren will. Internet sei auch kein Regelfall. Man müsse es ja so sehen: Die Leute haben ihre Familie zurückgelassen. Die Heimat aufzugeben, vertrieben zu werden, das ist ein Trauma. Wenn man dann nicht mal Kontakt zu den Eltern oder Geschwistern halten könnte, würde man die psychische Belastung nur verschärfen. Und dann kommt ihr und sagt: »Jussuf, vergiss jetzt mal deine Mutter und benimm dich wie ein anständiger Asylant!« Seine Mutter vergessen kann er aber nicht so einfach. Also besorgt er sich eben ein Handy, das er selbstverständlich total überteuert aufgeschwatzt bekommt.
Handyläden sind ja keine Goldgruben mehr; sie kämpfen um jeden Kunden und Euro. Und wenn da eben ein Syrer kommt, der einen Vertrag abschließt, dann ist man nur zu gerne bereit dazu. Soll er doch blechen. Die Provision ist sicher, die monatliche Zahlung, die er sich dann nicht leisten kann, ist dann das Problem des Kunden. Den Typen im Handyladen kümmert das nicht mehr. Das ist die Sache des Konzerns und seine Rechtsabteilung. Es gibt in einigen Städten Vereine, die Asylbewerbern bei Abschluss solcher Verträge helfen, sagte ich. Sie tun das, weil man die Erfahrung machte, dass man Asylbewerber gerne übers Ohr haut.
Alles fruchtete nicht. Es kamen immer dieselben Ausflüchte. Muss man denn ein Handy besitzen, wenn es einem so schlecht geht und lauter solcher Unfug. Es gibt in Deutschland wirklich Neiddebatten. Man neidet dem Habenichts sein Telefon. Erbärmlich. Aber so ist nun mal die deutsche Realität. Es war jedenfalls alles zwecklos. Es gab keine Empathie. Nur Verbitterung. Einer meinte dann, dass die Kommunen schwer belastet würden. Bei ihnen im Ort könne man die Flüchtlinge kaum unterhalten. Asylgegner kommen ja oft mit dem Argument der Unbezahlbarkeit um die Ecke. Dass der Einwurf erst so spät in den Disput geschmissen wurde, bestätigte nur, dass es darum nur am Rande ging.
   »Die Kommunen werden alleine gelassen. Das stimmt schon«, sagte ich. »Aber warum richtet sich deine Wut gegen die Flüchtlinge und nicht gegen die Bundesregierung, die nicht endlich anpackt? Oder gegen die Rüstungsindustrie, die den Exodus anheizte?«
   »Wenn wir doch mal ehrlich sind, dann sind da auch viele Schmarotzer dabei, die nach Deutschland kommen, weil sie ein besseres Leben haben wollen.«
   Aha, da hatten wir also die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Nicht die, die wirklich wahr war, sondern die, die hinter dieser Ablehnung steckte: Vorurteile und  Klischees.
   »Niemand geht weg von Familie und Freunden, nimmt eine Odyssee auf sich, nur um eine eventuelle Aussicht auf ein besseres Leben zu haben.«
   Ich wollte noch so viel dazu sagen, habe ja in den letzten Jahren nicht wenig dazu geschrieben. Aber für was? Lohnte es sich noch zu kämpfen? Die Linke ist in der Defensive.
Wohin ist die Empathie gegangen? Sie fehlt mir so. Mein Umfeld ist wie der Südpol. Ich friere viel. Keine Jacke hilft. Ich weiß, ich habe euch Leser erst kürzlich mit diesem Rechtsruck konfrontiert, den ich täglich am eigenen Leib erfahre. Es tut mir leid, ich will euch nicht langweilen. Aber so sieht es eben aus ...
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